God Save the Queen

Die Briten haben für ihre konstitutionelle Monarchie eher Desinteresse als Ablehnung übrig. von matthias becker

Als 1977 in England der Punk ausbrach, taugten die Zeilen noch für einen Skandal. »God save the Queen, the fascist regime, they made you a moron, a potential H-bomb. God save the Queen, she ain’t no human being«, sang Johnny Rotten, gefolgt von einem Chor, der immer wieder »No Future!« intonierte, weder verzweifelt noch besonders wütend, eher wie eine simple Tatsachenfeststellung. Die Single der Sex Pistols, mit der die Band damals das silberne Jubiläum der Königin kommentierte, kam auf Platz eins der Hitparade, obwohl manche Angestellten im Presswerk von CBS, der damaligen Plattenfirma der Pistols, die Arbeit verweigerten, als sie herausfanden, was für eine Platte sie eigentlich herstellten. In dem von den Boulevardzeitungen aufgeheizten Klima wurde Johnny Rotten mehrmals auf der Straße attackiert, einmal sogar mit einem Messer verletzt. »Ich dachte zuerst, das seien Nazis«, erzählte er später: »Aber dann schrien sie immer wieder: ›Wir lieben unsere Königin, du Bastard!‹«

25 Jahre später, als die Königin ihr goldenes Jubiläum feiern durfte, war von solch militantem Engagement für die Königsfamilie wenig übrig geblieben. Nur 300 Gemeinden stellten im Jahr 2002 Anträge auf Straßenfeiern, 1977 waren es noch mehr als 12 000 gewesen. Die proletarische Begeisterung für die Königsfamilie gehört zu den Merkwürdigkeiten des alten Englands, die langsam ihr verdientes Ende finden. Noch in den fünfziger Jahren fanden anlässlich von königlichen Geburtstagen und Jubiläen Straßenfeiern auch in den ärmlichsten Vierteln der nordenglischen Industriestädte statt. Die Kinder wurden gerne vor Transparenten aufgereiht, auf denen stand, man sei »arm, aber treu«. Was dann mit Punk in den siebziger und achtziger Jahren durchbrach, war ein radikaler Individualismus und rücksichtsloser Utilitarismus, der für Pomp und Nostalgie keine Geduld mehr hatte. »Es gibt keine Gesellschaft, nur Individuen«, erklärte die damalige Premierministerin Margaret Thatcher Anfang der achtziger Jahre, und Punks wie Rotten stimmten voller Überzeugung zu.

»Ich schwöre bei Gott, dass ich ehrlich und voller Treue zu Königin Elisabeth stehen werde und zu ihren Erben und Nachfolgern.« So lautet immer noch der Schwur, mit dem die britischen Parlamentarier ihr Amt antreten. Die politische Macht der Windsors ist dennoch vor allem eine symbolische, ihre repräsentative Rolle ist mit der des deutschen Bundespräsidenten vergleichbar. Mehr als der politische Einfluss stört viele Briten inzwischen der Reichtum der Windsors. Und nach wie vor gehören der königlichen Familie riesige Ländereien, die sie profitabel zu nutzen versteht. Die Königin verdiente im vergangenen Jahr an ihrer Grafschaft in Lancaster acht Millionen Pfund (etwa zwölf Millionen Euro), Prinz Charles’ Landbesitz in Cornwall brachte ihm sogar etwa 18 Millionen Euro ein. Außerdem war die königliche Familie bis vor kurzem von der Einkommens- und Erbschaftssteuer befreit.

Als ideologischer Kitt spielt die Monarchie heute keine bedeutende Rolle mehr. Viele Lebensmittel, die früher stolz mit ihren königlichen Privilegien warben, verzichten heute auf den Hinweis. Sogar sich über die »königlichen Nichtstuer« aufzuregen, scheint vielen offensichtlich zu viel Aufwand zu sein. Eine regelrechte republikanische Bewegung gibt es nicht. Nur kleinere Organisationen wie die »Kampagne für ein gewähltes Staatsoberhaupt« sind dieser Sache verpflichtet. John Pratt von der Bürgerinitiative »Centre for Citizenship« erläutert den republikanischen Standpunkt: »Natürlich ist die Monarchie heute vor allem eine symbolische Angelegenheit, aber auch Symbole sind wichtig. Die Königin steht für eine rigide Klassengesellschaft, für Ehrerbietung und Unterwürfigkeit.«

Die verschiedenen Spielarten des irischen, schottischen und walisischen Nationalismus haben aus nahe liegenden Gründen keine Sympathie für die Windsors. Auch in Nationen wie Australien oder Kanada, deren Oberhaupt immer noch Königin Elisabeth ist, gibt es Kritiker. In einem Referendum lehnten 1999 die Australier trotzdem eine Abschaffung der konstitutionellen Monarchie ab.

Die Arbeiterbewegung, aus der die Labour Party hervorging, steht natürlich theoretisch der Monarchie feindlich gegenüber, in der aktuellen Tagespolitik spielt das allerdings keine Rolle. Überhaupt beschränkt sich das republikanische Bewusstsein großer Teile der englischen Arbeiterklasse auf Sonn- und Parteitagsreden. Durch die Früchte des britischen Sozialimperialismus in die Nation integriert, hatte sie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Frieden mit »king and country« gemacht. Heutzutage gibt es unter denen, die für ein Ende der Monarchie eintreten, zwar auch einige Abgeordnete der Labour Party, aber viele Politiker scheuen kritische Aussagen, die sie Sympathien in der Bevölkerung kosten könnten. Zwar versprach die Partei im Wahlkampf 1997 eine weit gehende Staatsreform, unter anderem eine schriftlich fixierte Verfassung und die Abschaffung des Oberhauses, aber in der Zwischenzeit ist nicht viel passiert. Im derzeitigen Wahlkampf spielt das Thema keine Rolle.

Die britische Bevölkerung hält aus Nostalgie und Bequemlichkeit an der Monarchie fest. Nur einmal, für einen kurzen Moment, war die Krone der Windsors in Gefahr. Als die Familie nämlich Diana Spencer ein königliches Ehrenbegräbnis verweigern wollte und ein hysterisches Volk Anstalten machte, den Buckingham Palace zu stürmen, um das Andenken einer Frau zu ehren, die die Satirezeitschrift Public Eye einmal so beschrieb: »Hätte sie nur einen Punkt in ihrem Intelligenzquotienten weniger gehabt, hätte man sie täglich gießen müssen.« Ansonsten haben viele Briten zu den Windsors ein ähnliches Verhältnis wie zu den fiktiven Gestalten aus den vorabendlichen Fernsehserien: man kennt sie, ist sozusagen mit ihnen aufgewachsen, was nicht unbedingt Sympathie, aber bei bestimmten Anlässen immerhin Interesse nahe legt.

Gerade die immer weniger zurückhaltende Berichterstattung der britischen Medien beendete die Ehrerbietung und lüftete den Schleier. So hat die Prominenz der königlichen Familie einen widersprüchlichen Effekt: Sie bringt dem Volk die königlichen Häupter nahe, aber macht sie gleichzeitig profaner. Deshalb ist heute Prinz Charles’ öffentliche Stellung der eines Schlagersängers durchaus vergleichbar. Am 8. April heiratet »Charles« seine Geliebte »Camilla« – schon die Namen klingen nach soap opera oder telenovela. Skandale und Eskapaden wie Prinz Harrys Auftritt in Naziuniform auf einem Maskenball im Januar werden in den Zeitungen genüsslich kommentiert, aber nicht politisch eingeordnet. Die Queen ist der Sonntagszeitung Observer zufolge die »Großmutter der Nation« und Prinz Harry mitten in der Pubertät. Und wenn Prinz Charles, der sich wegen seines schäbigen Verhaltens gegenüber Diana, auch bekannt als »Königin der Herzen«, geringer Beliebtheit erfreut, den Thron besteigt, wird die Monarchie wohl nicht populärer werden. Abgeschafft wird sie aber nicht.