Werder Oranje

Seit Bremen auswärts in neuen bunten Trikots spielt, geht es aufwärts. Vor allem die Stimmung bei den Fans steigt. von lutz steinbrück

Vor dem Saisonstart hatte der Werder-Anhang mit Blick auf die neuen orange-grünen Trikots der Mannschaft gelästert: »Wollen wir die Tour de France gewinnen?« Doch der neue Look brachte den Hanseaten Glück: Werder holte gleich das Double, gewann also Pokal und Meisterschaft, und behält auch in der laufenden Saison die – aus Fußballer-Sicht – farbenfrohe Bekleidung bei Auswärtsspielen bei.

Anscheinend mögen auch die weiblichen Fans den neuen Dress, der laut Werder-Pressesprecher Tino Polster großen Absatz findet. Zum Beispiel: Kerstin Lührs (28) aus Stade, kein Fan im eigentlichen Sinne, aber die Freundin von Werder-Freund Kai Wehmeier (33). »Ich hab das gesehen und wollte es sofort haben«, erzählt sie. Kai wiederum war nach dem Pokalfinale in Berlin mit zwei Freunden im Orange-Shirt in der Russendisko »Kaffee Burger« und berichtet von Trikottausch-Offerten wildfremder Frauen auf der Tanzfläche. »Natürlich haben wir das abgelehnt«, sagt er.

Markus meint, dass Oranje auch allgemein mehr Laune macht, besonders in der Champions League: »In dieser Saison sind sogar in der sonst eher ruhigen Westkurve Farbtupfer auszumachen, und die mischen richtig mit, zum Beispiel gegen Valencia«, berichtet der Mann, der seit Jahren in der Ostkurve die Mannschaft anfeuert.

Es gibt aber auch Probleme: Zum Beispiel Werders neuer Werbepartner Kik, ein Textil-Discounter aus Austria. Das Kürzel steht für »Kunde ist König«. Der Grund für die Unzufriedenheit der hiesigen Fußball-Kunden: In jeder Halbzeitpause schallt eine volle akustische Breitseite »Kik«-Werbung durchs Weserstadion. Besonders betroffen ist die Ostkurve. »Die Leute zucken zusammen, weil der Werbespot so laut und schrill ist«, so Kai Wehmeier (33). »Jeder, den ich hier kenne, ist davon genervt.« Vorstellen muss man sich dabei ein Männchen, das auf der Anzeigetafel erscheint und mit einer quakenden Stimme in sehr hoher Tonlage die neuesten Angebote des Kaufhauses preisgibt. Fan Achim Abromeit (32) aus Bremen-Hastedt spricht sogar von »Anti-Werbung«, die ein Grund sei, extra nicht bei Kik einzukaufen.

Das zweite Standbein des Klamotten-Marketings nimmt zumindest Kai Wehmeier mit Humor: Zwei Leute in einem Kik-Kostüm stehen vor der Ostkurve und schunkeln sich in Stimmung.

Ein zweites Ärgernis aus Sicht der Werder-Fans ist die laute Anlage. »Watt hebb’ wi grölt?« fragen sie sich regelmäßig nach jedem Abpfiff. Achim beschwerte sich schon vor zwei Jahren mit einem Leserbrief in der taz über die heftige Beschallung im Stadion. Gegenüber der Jungle World äußerte Pressesprecher Tino Polster, die Anlage sei so ausgerichtet, dass alle Besucher die Durchsagen verstehen könnten. Dies sei vor allem aus Sicherheitsgründen notwendig. Markus, der als Bühnentechniker am Bremer Goethe-Theater arbeitet, bleibt jedoch bei seiner Meinung: »Ich denke, jede Anlage lässt sich akustisch differenzieren.« Genutzt hat der Protest wenig. Pfiffe oder Beifall der Fans nach dem Abpfiff? Nix zu hören bei dem Lärm, sagen sie.

Tino Polster erklärt jedoch: »Die Spieler hören die Fanreaktionen sehr wohl. Erstens gehen sie direkt an der Ostkurve vorbei in die Kabine, und zweitens ist die Beschallung auf die Ränge ausgerichtet.« Im Innenraum dagegen sei die Anlage kaum zu verstehen.

In einer gepflegten Fußball-Kneipe dagegen kommt so etwas nicht vor. Wenn Werder auswärts spielt, treffen sich viele Ostkurvler am Samstag zwischen Tresen und Leinwand, um den SVW auf »Premiere« live zu verfolgen. Da gibt’s in der Hansestadt viele Möglichkeiten: Der Irish Pub »Hegarty’s« etwa bietet drei Leinwände und tolle Stimmung. Nachteil sind hier allerdings die hohen Preise. Wer es klein und gemütlich mag, kann sich auch ins »März« verirren. Die Werder-Mitglieder Achim und Markus sitzen hier bevorzugt, wenn es gegen vermeintlich schwache Gegner geht und sie zahlreiche Treffer der »K.u.K.-Torfabrik« (Klose und Klasnic) erwarten, denn: »Für jedes Werder-Tor kriegt man hier ein Freigetränk«, schwärmt Markus. Gegen Bochum und Rostock hat sich das in dieser Saison richtig gelohnt: Jeweils vier Mal schenkte Werder dem Gegner ein und der »März«-Wirt dafür aus. Am letzten Wochenende wurde diese Bilanz noch getoppt: Werder gewann 6:0 in Freiburg.

Die größte Fußball-Kneipen-Dichte herrscht im stadionnahen Steintor-Viertel. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – das sehen auch viele Stadionbesucher so. Rund ums Weserstadion läuft die After-Spiel-Party. Auf dem Peterswerder befindet sich eine richtige Werder-Meile, auf der die Fußballfreunde sich in den Kneipen und in großen Trauben vor den Eingängen sammeln, um die Nachbesprechung beim Bier vorzunehmen.

Genervt von dem riesigen Andrang sind die Anwohner. »Mich stört das Drumherum«, gibt Petra Freuer (34) zu. »Die Straßen sind dicht geparkt. Wenn mein Mann bei Werder-Heimspielen von der Arbeit kommt, muss er oft eine halbe Stunde nach einem Parkplatz suchen.« Außerdem findet sie es blöd, dass die Polizei die Falschparker abschleppt anstatt für mehr Stellflächen zu sorgen.

Werder überlegt, den Mangel an Parkplätzen am Weserstadion zu beheben, indem Trainings- in Parkplätze ungewandelt werden. Angeregt wurde dies von ein paar Edel-Fans aus der VIP-Loge, denen ein paar Meter Fußweg beim Bremer Schmuddelwetter einfach nicht zuzumuten sind. Einige Viertel-Bewohner ärgern sich über Bier-Duftmarken in ihren Vorgärten. Der Verein ermahnte kürzlich die Stehpinkler unter den Fans, die mobilen Klos zu benutzen, und ließ zusätzliche Toilettenwagen in den Nebenstraßen aufbauen.

Dass der Werder-Virus inzwischen auch andere Städte infiziert hat, beweist das »Alois S.« im Prenzlauer Berg in Berlin. Der Laden ist am Wochenende grün-weiß und rappelvoll, obwohl der Besitzer ironischerweise ein Bayer ist. Auch in der rheinischen Zweitliga-Metropole Köln hat eine Werder-Kneipe eröffnet, in die Woche für Woche über 100 Leute strömen. Natürlich viele im schicken Grün-Orange.

Doch am liebsten sehen sie ihr Team natürlich live. Achim ist am Sonntag mit seiner Freundin sogar nach Valencia geflogen, um das Weiterkommen in der Champions League zu erleben. Vielleicht hat er diesmal ja mehr Erfolg bei der persönlichen Kontaktaufnahme mit Spielern: Beim diesjährigen Pokalerfolg gegen Alemannia Aachen in Berlin war er kurz davor, den Original-Pokal aus den Händen von Valerien Ishmael zu berühren; doch Kai stieß ihn aus Versehen zur Seite, Achim fiel nach hinten, Kai durfte die Trophäe anfassen, und Ishmael zog freudetrunken weiter.