Vorsicht, ein Brinkmann!

Ob öffentlich oder privat: Enfant Terribles sind im Profifußball keine Seltenheit. Ursachenforschung am Beispiel Ansgar B. von lutz steinbrück

Es gibt sie noch, die echten Kerle im Stadion. Olli Kahn ist ein prominenter Prototyp der Gattung »übermotiviertes Alpha-Männchen«. Für ihren unbändigen Einsatzwillen werden sie bestaunt – live in der Bundesliga von 80 000 Menschen oder von einem Millionenpublikum am Fernseher. Oder man bemitleidet sie, weil nicht jeder Verständnis hat für so geballte Energieschübe und gorillahafte Allüren.

Torhüter und Linksaußen, das ist bekannt in der Fußballgemeinde, haben im Normalfall eine ganz besondere Klatsche. Lauterns Keeper »Tarzan« Ehrmann haute auf dem Platz ebenso gern und hart dazwischen wie Claus Reitmaier (Wolfsburg, KSC) oder eben Kahn, der Titan. Bei den Linksfüßlern dagegen geht es häufig auch außerhalb des Platzes flott zur Sache. International feiern lassen kann sich auf diesem Gebiet der Engländer Paul Gascoigne, der bereits als aktiver WM-Teilnehmer einen gehörigen Bierbauch vor sich her schob.

Hiesige Skandalnudeln wie Mario Basler, Andi Sassen oder Ansgar Brinkmann sind so berühmt geworden für ihre linke Klebe (beruflich) wie berüchtigt für ihre rechten Haken (privat). Von »verrückten« Tormännern unterscheidet sie eine geringe Hemmschwelle in Sachen schlagkräftiger Freizeitgestaltung. So existiert eine illustre Reihe kickender Vollpfosten, in deren von Kopfbällen geschwächten Matschbirnen Frauenschlagen zum Kavaliersdelikt wird.

Ein ganz prekärer Fall im deutschen Fußball ist Ansgar Brinkmann (35). Die bubihaft gescheitelte Halbmatte à la Pavel Nedved und sein verschmitzter Blick täuschen im Fall des Blondschopfs aus dem Kreis Vechta ganz gewaltig. Die Bezeichnung »Hitzkopf« wäre in seinem Fall ein glatter Euphemismus. Von einem Vechtaer Bekannten erfuhr ich, wie berühmt die Brinkmann-Sippe in der Gegend ist. Die einzigen Tränen, die ein Mann demnach zu Hause zeigen durfte, waren Knasttränen.

Schlägereien mit Hooligans bei McDonald’s oder ein nächtlicher Einbruch in der Bielefelder Eishalle mit Mitspieler Dirk van der Ven standen auf dem ganz persönlichen inoffiziellen Spielplan des Arminen. Während er an den Wochenenden in der Bundesliga die Ostwestfalen mit rabiaten Flankenläufen und guter Technik begeisterte, übte er sich frühmorgens in der Disziplin »Öffentliches Schaupinkeln« in der Fußgängerzone. Eine junge Frau rief ihm zu: »Benehmen ist Glückssache«. Brinkmann verfolgte sie in eine Gaststätte und pöbelte sie an. Als zwei Männer sich einmischten, setzte es Haue und Tritte vom Linksfuß, der daraufhin ordentlich zur Kasse gebeten wurde. Das brachte ihm nichts außer einer saftigen Geldstrafe ein.

Vielleicht liegt die Wurzel des latent üblen Gebarens ja im Kreis Vechta. Ansgars Nachnamensvetter, der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann (1940–1975), stammt daher. Er war in den sechziger Jahren eine Hochbegabung unter den »jungen Wilden« und rebellierte mit intellektuellen und künstlerischen Mitteln gegen das kulturelle Establishment. Sein Bekanntheitsgrad stieg rapide, als er 1968 bei einer Podiumsdiskussion mit einem Buch auf den damaligen Kritiker-Bischof Marcel Reich-Ranicki zielte und es ihm an den Kopf warf: »Hätte ich ein Maschinengewehr, würde ich Sie glatt über den Haufen schießen.«

Viel erlittener Schmerz scheint sich da im Südoldenburgischen anzustauen. In manchen Dörfern holt die CDU hier bei Wahlen 80 Prozent der Stimmen. In der von Schweinezucht und Katholizismus geprägten Region, die inmitten einer protestantischen Umgebung eine Art Diaspora-Mentalität entwickelt hat, scheint die »Law-and-Order«-Haltung quasi natürlich zu sein.

Rolf Dieter Brinkmann hat Vechta dafür gehasst, konnte dieses Glashaus aber genau wie Ansgar nicht hinter sich lassen. Zu viel der schwarzen Landluft inhaliert, so wie Obelix vom Zaubertrank. Die Konsequenzen sind bekannt – die Wirkung hält lebenslänglich an. Eine andere Möglichkeit: Der Nachname ist schuld an dem ständigen Sauwut-Komplex. Wäre das erwiesen, sollte man vielleicht bundesweit Schilder aufstellen mit der Aufschrift: Vorsicht, ein Brinkmann! Von wegen, »der will doch nur spielen«.

Reich-Ranicki nannte Rolf Dieter Brinkmann einen »provozierenden Berserker«, einen »wild um sich schlagenden Anarchisten«. Das lässt sich wohl 1:1 auf Ansgar übertragen. Der wiederum kann literarisch nicht ganz mit dem Autoren mithalten. Sein Lieblingsspruch lautet: »Das Leben ist kein bunter Teller.« Und das heißt wohl: Saufen, Raufen und »Gib mich die Pille, aber dalli!« Momentan befindet sich der Arbeitslose, der nach dem Rauswurf in Bielefeld zuletzt beim LR Ahlen und dem FC Kärnten aktiv war, auf der Transferliste des DFB.

Auch Ansgars linkslastige Soulmates Mario Basler und Andreas Sassen lieferten Boulevardblättern bereits etliche Schlagzeilen. Dass Basler kein Kind von Traurigkeit ist, weiß jeder. 1989 war er Sassens Beifahrer, als der nach einer Zechtour mit 1,9 Promille von der Polizei gestellt wurde und daraufhin sowohl seinen Führerschein als auch seinen Job bei Rot-Weiß Essen verlor. Sassen, der am 17. Oktober einem Schlaganfall erlag, flog in den folgenden Jahren seiner Profikarriere bei weiteren vier Klubs raus, weil er unter massivem Alkoholeinfluss die Fäuste regieren ließ.

Ob Sergej Gorlukowitsch in Uerdingen oder Marc Schwarzer in Dresden – immer wieder animierte Sassen bereitwillige Kollegen, sich besoffen hinters Steuer zu setzen und ihn zu kutschieren. Als er beim HSVwar, leistete er sich dann 1994 ein ganz dickes Ding: Zusammen mit Verteidiger »Lumpi« Spörl hielt er auf der Reeperbahn ein Taxi an und feuerte im Wagen einen Taxifahrer an: »Fahr schneller, Ali.« Der aber zeigte sich trotz Amüsiermeile not amused, und es kam zu einer Schlägerei.

Der Anhang auf den Stehrängen aber liebte den Andi für solche Eskapaden in der privaten Nachspielzeit. Noch heute schallt aus der Nordkurve der AOL-Arena der Schlachtruf: »Taxifahrn mit Sassen«. Damit meinen HSV-Fans das, was in anderen Stadien lautet: »Wir wollen euch kämpfen sehen.« Respekt fürs vorschnelle Faustrecht war Sassen an manchem Fußball-Stammtisch sicher. Zwar bleibt Andi Sassen in den Fußball-Annalen eine unscheinbare Fußnote. Außerhalb des Platzes aber verewigten ihn diejenigen, denen ein ganz bestimmtes Männerbild Bewunderung abringt.

In Liedern und Sprüchen ist Sassen »einer von uns«, ein Säufer, ein Loser, der immer wieder umfällt und sich dann berappelt. Ein echter Kerl eben. Es gibt nicht wenige auf den Rängen, die das so sehen. In ihren Kreisen hat kaum ein anderer Fußballprofi hierzulande einen derartigen Kultstatus erreicht. Die Fanliebe gipfelte schließlich in der »Ballade von Andi Sassen«, die ihm die Band »Essener Trunkenheit« widmete. Sie besang ihr Idol darin als »Wodka-Andi«.

Doch nicht nur Torhüter und Linksaußen sind vom Flaschengeist und musikalischen Einwürfen betroffen. Ein anderer ehemaliger Kollege Baslers aus Bremer Tagen, Uli Borowka nämlich, sang sogar selbst. Im Duett mit der Bremer Saufcombo »Dimple Minds« philosophierte er hintergründig auf der Single »Barfuß oder Lackschuh«, einer Betrachtung über abweichende Lebensstile. Ebenfalls in Bremen passierte es, dass der Schiedsrichter Wolf Dieter Ahlenfelder anno 1975 die erste Halbzeit des Spiels zwischen Werder und Eintracht Braunschweig zur allgemeinen Verwunderung nach genau 36 Minuten abpfiff. Hinterher räumte der Referee ein, zum Mittagessen »ein Bier und einen Verdauungsschnaps« gekippt zu haben. Zu seiner Entschuldigung berief er sich dann auf Alter und Geschlecht: »Wir sind Männer und trinken keine Fanta.«

Das Phänomen trinkender Fußballer und Schiedsrichter ist also nicht neu. Nationalspieler Horst Szymaniak hätte man schon in den muffigen fünfziger Jahren mit Fanta jagen können, zum Beispiel durch Schweden. Dort verbarrikadierte er sich im deutschen Mannschaftsquartier auf dem Klo, um sich mit eingeschmuggelten Steinhäger-Flaschen zu dopen, die er mit gekonnten Würfen über die Schulter aus dem Fenster entsorgte. Und das im alkoholfreien Skandinavien!

Er betätigte sich als Vorläufer des europaweit renommierten deutschen (WM-) Touristen und legte eine solche Einstellung bereits zu der Zeit an den spielfreien Tag, in der seine Landsleute im VW gerade mal unfallfrei bis Rimini kamen. Schon zu seinem ersten DFB-Auswahl-Lehrgang war »Hotte« zwar ohne Stollenschuhe, dafür aber mit zwei Flaschen Bier im Gepäck angetreten. Heutzutage machen gut frisierte Nationalspieler wie Kuranyi, Lauth oder Friedrich politisch korrekte Nutella-Werbung und grinsen sich eins.

Gibt es sie denn überhaupt noch, die kickenden, einzig wahren Brinkmänner? Sie sind eine rare Spezies geworden in der Liga. Wer weiß schon, ob Ansgar Brinkmann noch einmal im Profibereich auftaucht. Vielleicht bei den Boxern. Dann bliebe da ja noch der Jahrmarkt, Leute umhauen. Bis dahin müssen sich Fußballfreunde des gepflegten Faustkampfes mit Kahns regelmäßigen Stadion-Ausrastern im Fernsehen begnügen. Ist eigentlich auch besser so.