Working at the Carwash

Gaby Weber recherchierte die Argentinien-Connection zwischen Nazis und Daimler Benz. von jessica zeller

Deutschland im Mai 1945: Aus dem Land der Täter wird in den fünfziger Jahren das Land des Wirtschaftswunders. Die Bevölkerung will angeblich nichts mehr von ihrem einstigen Führer wissen und übt sich in Re-Demokratisierung und Wiederaufbau. Die ganze Bevölkerung? Nicht ganz. Glaubt man den Recherchen der in Südamerika lebenden Journalistin Gaby Weber, fand ab 1950 eine kleine Völkerwanderung statt: Etwa 50 000 Alt-Nazis, darunter um die 300 gesuchte Kriegsverbrecher, hätten sich aus ihren Schlupflöchern in Oberitalien in Richtung Vatikan bewegt und per Flugzeug oder Schiff mit gefälschten Papieren nach Argentinien abgesetzt. Und, so das vielleicht brisantere Ergebnis ihres neuen Buches, große Teile des in der Schweiz gebunkerten Nazigolds hätten ebenfalls über den Umweg Argentinien ihren Weg zurück in den deutschen Kapitalkreislauf gefunden. Das ausführende Unternehmen hieß Daimler Benz. Politischer Strippenzieher der Geldwäsche: der damalige Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard.

Wie der Deal vor sich ging und wer alles mitmischte, legt die Autorin in ihrem neuen Buch mit dem Titel »Daimler Benz und die Argentinien-Connection. Von Rattenlinien und Nazigeldern« detailliert dar.

Gaby Weber beginnt ihre Analyse mit dem Interview des Hauptbelastungszeugen von Daimler Benz. Der argentinische Unternehmer Jorge Antonio hat bereits vor dem Krieg mit Daimler Benz zusammengearbeitet. Nach einer Unterbrechung der Wirtschaftskooperation von 1939 bis 1945 wurde er in den fünfziger Jahren zum ausführenden Organ der gegenseitigen »Abmachung« zwischen der argentinischen Regierung unter Präsident Juan Domingo Perón und dem Stuttgarter Autokonzern. Jetzt, 87jährig, packt er aus. Ausführlich berichtet der peronistische Veteran, der nach Ansicht der Autorin über »keine Gedächtnislücken« verfügt, über die fragwürdigen Geschäfte von damals: »An einem Freitag erhalte ich einen Brief von der Daimler Benz-AG, die uns die Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehungen anbietet.« Im August 1951 reist Antonio nach Deutschland und trifft sich mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von Daimler Benz, Wilhelm Haspel, der ihn zum Bevollmächtigten des »Gentlemen’s Agreement« in Argentinien ernennt.

Eine Verbindung mit Folgen. Denn die Lastwagenfabrik, die der Autokonzern in der Nähe von Buenos Aires errichten will, und die Fahrzeuge, die er dorthin exportiert, dienen in der Zukunft einer ganz besonderen Form der Zusammenarbeit. Geschmuggeltes Bargeld, überhöhte Preise, manipulierte Wechselkurse und sowohl der deutsche als auch der argentinische Staat, die über all dem ihre schützenden Hände halten, erlauben es Daimler Benz, die erzielten Gewinne als Exporteinnahmen des Unternehmens zu verbuchen. Gewinne, die längst in den Jahren zuvor gemacht worden waren. Denn es ist das geraubte Vermögen der »Arisierung«, der Erlös aus dem Zahngold der KZ und der Mehrwert, der aus der Arbeitskraft der tausenden von Zwangsarbeitern herausgepresst wurde, die in Argentinien »investiert« werden.

Antonio wird zum Liebling der deutschen Wirtschaft. Für Daimler Benz legt er Geld in Aktien und Immobilien an und verwaltet nach eigenen Aussagen bald die stolze Summe von 100 Millionen US-Dollar. Auch andere deutsche Firmen, die im Unterschied zum Autokonzern noch einem Exportverbot unterliegen, bedienen sich dieser Form der »Aufbauarbeit«. Argentinien selbst kann ebenfalls nicht klagen. Denn die Schmiergelder und Provisionen sammeln sich zu einem ansehnlichen Vermögen an. Fast jedem hohen Staatsbediensteten wird eine Limousine mit Stern zum Einkaufspreis garantiert. Der Wunsch nach der Industrialisierung Argentiniens, der Traum, die Autos bald nicht nur einzuführen, sondern möglichst selber zu bauen, hilft zusätzlich, die Hemmschwellen bei Antonio weiter hinabzusetzen: »Wir wollten Argentinien industrialisieren. Wir hatten Kapital und Lebensmittel für den Export und wollten Maschinen und Experten importieren. Und Deutschland brauchte Kapital und Lebensmittel und wollte Maschinen und Experten exportieren.«

Dass 22 der so genannten Experten, die der Autokonzern zusammen mit den Lastwagen und Autos lieferte, gesuchte Nazi-Verbrecher waren, interessiert den Geschäftsmann Jorge Antonio kaum. Den »Techniker« Adolf Eichmann, der nach Aussagen seiner damaligen Kollegen einen Schraubenzieher nicht von einem Korkenzieher unterscheiden konnte, hat er angeblich sogar selber eingestellt. »Unter seinem richtigen Namen«, versteht sich. Fast ein bisschen trotzig entgegnet er: »Die Deutschen passen sich an alles an. Wenn sie als Elektriker arbeiten müssen, arbeiten sie als Elektriker. Wenn sie Juden töten müssen, töten sie Juden.«

Doch Antonio bleibt nicht immer ein Glückskind. 1955 wird die Ära Perón von den argentinischen Militärs gewaltsam beendet. Mercedes-Benz Argentina und die von Antonios Strohmännern geführten Unternehmen werden beschlagnahmt. Der ehemalige Präsident flieht ins spanische Exil, Antonio folgt ihm über mehrere Umwege. Doch wer glaubt, dass der deutsche Autokonzern nun ebenfalls dran glauben musste, liegt falsch. Gaby Weber beschreibt akribisch den Prozess von 1955 bis 1957. Ihr Fazit lautet: Nicht das Großunternehmen mit all seinen Machenschaften stand im Visier der Ermittler. Vielmehr sei es den militärischen Machthabern darum gegangen, die korrupten Machenschaften der mittlerweile verbotenen Peronistischen Partei offenzulegen und sie damit vor der argentinischen Bevölkerung zu diskreditieren. Untertürkheim und Buenos Aires einigen sich hingegen in einem außergerichtlichen Vergleich. Die Höhe der von Daimler Benz gezahlten Summe ist unbekannt. Das angeblich an Antonio gezahlte Schweigegeld ist kein Thema.

In der Folge kann Daimler Benz fortfahren, in Argentinien zu produzieren. Weiterhin nicht mit sauberen Methoden, wie Gaby Weber 1999 in ihrem Buch »Die Verschwundenen von Mercedes-Benz« offenlegte. Seitdem muss sich der Autokonzern immer wieder mit dem Vorwurf auseinandersetzen, die Werksleitung von Mercedes-Benz Argentina habe während der Militärdiktatur (1976 bis 1983) aktiv an der Ermordung mehrerer Gewerkschaftler mitgewirkt. Dass ihre Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen sind, beweisen die Prozesse, die nach der Veröffentlichung von verschiedenen Seiten angestrengt wurden und erst im Frühjahr dieses Jahres unter zweifelhafter Begründung eingestellt wurden. Obwohl DaimlerChrysler heute mit großer Wahrscheinlichkeit juristisch keine Gefahr mehr droht, bleibt der öffentliche Ruf zumindest in dieser Hinsicht auf längere Zeit hin beschädigt.

Ob Gaby Webers Recherchen konkrete Auswirkungen für den Autokonzern haben, bleibt abzuwarten. Die Emigration deutscher Nazis an den Rio de la Plata ist schon lange bekannt. Was den Vorwurf der Geldwäsche betrifft, sind die Belege der Autorin zwar weitgehend plausibel, spielen aber zumindest hinsichtlich einer juristischen Verfolgung mit zu vielen Unbekannten. Vieles, was die Autorin an Beweisen vorbringt, ist tatsächlich den Erinnerungen eines nicht ganz unbeteiligten alten Mannes geschuldet. Andere Spuren wird man vielleicht nie unzweifelhaft nachprüfen können.

Die Bundesrepublik hat sicher kein Interesse, den Mythos der goldenen fünfziger Jahre selber zu beschmutzen; und niemand zwingt einen Autokonzern, seine »verloren gegangenen« Akten zu öffnen und die Wahrheit zu sagen.