The Return of the Living Dead

Kantes neue Platte »Zombie« pendelt sich zwischen Post- und Avantgarde-Rock ein. Jetzt ist die Band auf Tour. von roger behrens

Kante gehören zu jenen Bands, die sich mit musikalischen Mitteln der kritischen Frage nach dem Subjekt annähern; auch insofern definieren sie Postrock, also Rock in der Postmoderne, die den möglichen Tod des Subjekts diagnostiziert. Sie definieren auch eine linke Position, die sich kraft der ästhetischen Reflexion gegen den Strom der neuesten deutschen Welle behauptet; hier gibt es keine Volksgemeinschaft, kein Blut und Boden, keine Nation und keine Riefenstahlästhetik, statt dessen ein Manifest von denen, die, wie es in einem Kante-Song heißt, »an der Schwelle einer neuen Zeit« stehen: »Wir sehen die Welt mit anderen Augen, seitdem wir draußen sind … So als wäre uns der Boden unter den Füßen weggezogen, wir laufen durch die Straßen und wir sind überall, in den grauen Zwischenzonen, wo die Umrisse verschwinden … Es ist, als trügen wir ein Licht in uns, das einer anderen Welt entsprungen ist.«

So sind Kante wieder, wie mit ihrer ersten Platte, »zur richtigen Zeit an den richtigen Orten«, nämlich den Nicht-Orten, den Utopien. Damals hieß es: »Ich sag’s mit einem Wort: Mir fehlen die Worte. Wir wollen diesen Staat zersetzen. Sag mir, wie das gehen soll? Drei Millimeter zwischen uns und denen, zwei Millimeter zwischen mir und dir, ein Millimeter und kein Näherkommen.« Skizzierten Kante mit »Zwischen den Orten« von 1997 noch eine Leerstelle, eine verschwommene Landschaft, eine unbestimmte Reise auf dem Highway, so zeichnete sich 2001 mit dem zweiten Album »Zweilicht« das Schema eines unheimlich bleibenden Gespenstes ab, das dieses Zwischen, diese Leerstelle bewohnt. Jetzt, mit der dritten Platte, bekommt dieses unheimliche Gespenst seinen ebenso unheimlichen Namen: »Zombie«.

Das Cover von »Zombie«, wieder von der Künstlerin Ruth May gestaltet, zeigt ungewöhnlich harte Konturen, eindeutige, klare Farben, eine Trümmerlandschaft, eine zerstörte Architektur, gleichsam die Ruine, über deren Trümmer das vergangene Jahrhundert ins neue getreten ist. Unweigerlich denkt man an Ground Zero. Hier lebt der Zombie, versucht den Spuren dieser Verwüstung zu folgen: seinen eigenen. Es ist der Trümmerhaufen, vor den Walter Benjamin – kurz bevor er, vor den Nazis fliehend, Selbstmord beging – in seinen Geschichtsthesen einen Engel setzte, den Angelus Novus. In den ausgebreiteten Flügeln dieses Engels der Geschichte hat sich der aus dem Paradies wehende Sturm verfangen. Ein Sturm, der ihn immer weiter in die Zukunft treibt, obwohl er doch verweilen möchte, um die Welt zu reparieren.

Von diesem revolutionären Postulat, das Walter Benjamin in seinen Thesen als eine schwache messianische Kraft dem Engel auf das Kleid schrieb, haben Kante einen Teil als Partitur einer Zukunftsmusik entschlüsselt. In mühevoller Detailarbeit haben sie auf dieser Grundlage eine Platte aufgenommen. Kante waren fast eine Ewigkeit im Studio von Tobias Levin, der wieder einmal weitaus mehr machte, als eine Platte nur zu produzieren. Sie haben das Studio gewissermaßen zum Übungsraum gemacht und legen nun ein Konzeptalbum gleich einem politischen und ästhetischen Manifest vor: Postrock wird zu Avantgarde-Rock.

Keineswegs ist das sofort hörbar, im Gegenteil. Die Erwartungen an ein neues Kante-Album waren allgemein hoch, und einige glaubten, dass nach so viel Zeit im Studio ein Meisterwerk, ein Geniestreich erscheinen müsste. Das erste Hören der Platte lässt indes die Musik sogar fade erscheinen; da rockt erst einmal nichts, da ist zunächst kaum eine Linie zu erkennen, und das Konzeptuelle der Platte kündigt sich nur hier und dort versteckt an.

Dass dieses Album kein Meisterwerk ist, kein Geniestreich, ist allerdings der Schlüssel, der einen ganz anderen Zugang zu dieser Musik ermöglicht, den jede übliche Erwartung bereits zu verstellen drohte. Das heißt: Diese Musik drängt sich nicht auf und verlangt damit vom Hörer schon mal mehr als andere Produktionen aus dem Hamburger Umfeld. So beginnt »Zombie« unprätentiös, und die Musik endet, indem sie nachgerade verhallt, verstummt, stirbt.

Damit folgt Kante keiner Genieästhetik, sondern einer Produktionsästhetik; durch und durch entfaltet sich »Zombie« als Standard, ist in diesem Sinne Jazz und Bauhaus, ist Formalismus und schließt damit auch an junge Gegenwartskunst an. Formalismus heißt bei Kante: auskomponierter Klangreichtum, Verzicht auf das Ornament dort, wo es zur Phrase wird. Schicht um Schicht überlagern sich die Tonspuren in formalistischer Strenge, spielen mit kleinsten Details, arbeiten mit größter Sorgfalt. Schon in der Instrumentierung mit Mellotron, jenem nur schwer zu bändigendem Synthesizerbastard aus den späten Sechzigern, wird das deutlich, aber freilich auch in den präzisen Bläsersätzen.

Immer wieder werden diese Formkonstruktionen durchbrochen und laufen in monumentalen Flächen aus. Sie bilden die Matrix, über die sich mal eine aktualisierte Fassung eines illusionistischen Siebziger-Jahre-Art-Rock legt, mal ein Popsong und Typisches aus Hamburg, mal Postrock und Chicago, mal Bossa Nova, als hätte Tom Jobim persönlich das Klavier eingespielt, mal Freejazz, mal Albert Ayler.

Konnten Blumfeld 1994 noch singen: »Wir laufen durch die Straßen und wir sehen super aus«, so revidieren jetzt Kante: »Wir sind Leute in den Straßen, wir sehen unmöglich aus.« Wenn man die Vokale in »Zombie« vertauscht, kommt beinahe Zimbo heraus, der Name einer leider weniger bekannten Hamburger Gruppe, bei der Kante-Schlagzeuger Sebastian Vogel dereinst spielte. Darüber hinaus hört man – wie schon bei dem weißen Album von Tocotronic – dass Tobias Levin seine frühere Band Cpt. Kirk & inzwischen latent in von ihm produzierten Bands fortleben lässt.

Die Utopie von Kante ist negativ. Auf »Zombie« gibt es das Stück »Ich kann die Hand vor meinen Augen nicht mehr sehen«. Hier heißt es: »Es ist, als wäre uns der Boden unter den Füßen weggezogen«. Eine beklemmende Resolution: »All meine Horizonte sind zerbrochen, … all meine Wege verlassen, alle Spuren verwischen … Dass die Zukunft damit aufhört, die Gegenwart zu spielen. Ich kann’s nicht mehr ertragen, ich will die Nacht an allen Tagen.« Die offene Formensprache dieser Musik ist der Ruinenarchitektur vergleichbar, die auf dem Cover zu sehen ist: eine Totalität, die nur noch im Fragment zu haben ist – bis sie zum Ende der Platte, bei »New Babylon«, gänzlich zersplittert, aufgelöst, im Rauschen aufgehoben ist, das sich anhört wie eine Beatmungsmaschine, an der eben die Zombies angeschlossen sind, um sich noch irgendwie am Leben zu halten.

Zombies sind bekanntlich Untote, willige Werkzeuge, so wie der Horrorfilm sie uns seit den dreißiger Jahren in die Vorstellung ruft. Zombies sind aber auch die Verdammten, für die der Horror Realität ist, die Flüchtlinge, die Entrechteten, die Giorgio Agamben als »homo sacer« bezeichnet; der Zombie erscheint als der nackte Mensch, der »getötet, aber nicht geopfert« werden darf. So sind die Zombies die Todgeweihten, deren Leben durch Abschiebung definiert wird, die gezwungen sind, in den Zonen zu leben, im Transit zwischen den Orten.

Kante: Zombie. Kitty Yo/LabelsTourdaten: 6. November: Ludwigshafen, 7. November: Frankfurt, 8. November: Düsseldorf, 9. November: Würzburg, 10. November: Schondorf, 11. November: Regensburg, 12 November: Hannover