Glamour Ost

Mit dem ehrgeizigen Konzept »InnoRegio« sollen ostdeutsche Regionen doch noch zu »blühenden Landschaften« werden. von anton landgraf

Der Name klingt viel versprechend, nach Glamour und nach viel Geld. Doch hinter der ehrgeizigen Bezeichnung »Musicon Valley« verbirgt sich nicht etwa ein Ableger der legendären New-Economy-Region im sonnigen Kalifornien, sondern die eher profane »Musikstadt Markneunkirchen« im Osten Sachsens.

Vor über 100 Jahren galt die Ortschaft als ein Zentrum des Instrumentenbaus. Daran will man heute anknüpfen und in der »Region ein Kompetenzzentrum für den Musikinstrumentenbau« schaffen, wie Frank Bliz, Marketingleiter der InnoRegio Musicon Valley, verspricht. Ziel sei es, die Region international bekannt zu machen. Wenn irgendwo auf der Welt ein Orchester neue Instrumente braucht, dann sollen die Musiker zuerst an das »Musicon Valley« denken.

Die Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit und vielen Neonazis scheint zwar nicht prädestiniert zu sein für einen Wirtschaftsstandort mit globaler Ausrichtung. Aber genau diese Intention verfolgt das Konzept »InnoRegio« des Bundesministeriums für Forschung und Bildung. Neben der sächsischen Provinz werden derzeit 22 weitere Projekte in den neuen Bundesländern von dem Ministerium unterstützt. Die innovativen Regionen wurden im Jahr 2000 unter Hunderten von Bewerbern ausgewählt und sollen nun bis Ende nächsten Jahres gefördert werden. Insgesamt stellt das Ministerium über 255 Millionen Euro dafür zur Verfügung.

Unterstützt werden so unterschiedliche Projekte wie eine Firma in Wismar, die sich auf die Inneneinrichtung von Kreuzfahrtschiffen spezialisiert hat, ein Unternehmen für Biotechnologie in Dresden oder eine Initiative, die an der Universität Magdeburg nach neuen Rohstoffen für die Kosmetikbranche sucht.

Aber auch der Geigen- und Posaunenbau in Sachsen fällt darunter. Die Erwartungen an die lokalen InnoRegios sind zwar hoch. Doch ob etwa der neue Studiengang »Musikinstrumentenbau für Zupf- und Streichinstrumente«, den die Hochschule Zwickau extra für das »Musicon Valley« eingerichtet hat, die internationale Musikwelt begeistern wird, muss sich erst noch zeigen.

Dabei ist das so genannte Netzwerk-Management zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, deren Vertreter in einem Fachbeirat auch über die Vergabe der Fördergelder entscheidet, ein zentraler Bestandteil des Konzepts. Die intensive Zusammenarbeit von lokalen Unternehmen, wissenschaftlichen Institutionen und der staatlichen Verwaltung soll Synergieeffekte ermöglichen.

Die erwünschte Kooperation leidet jedoch noch häufig unter der Unerfahrenheit der Beteiligten, wie der Zwischenbilanz »InnoRegio – Die Reportage« des Bundesministeriums zu entnehmen ist. »Der Business-Mensch muss lernen, wie er mit der Wissenschaft kommuniziert«, doziert darin Bernhard Sabel, Wissenschaftler am Institut für Medizinische Psychologie an der Universität Magdeburg und Leiter eines InnoRegio-Projekts. Gleichzeitig müssten die »Wissenschaftler in Deutschland lernen, marktwirtschaftlicher zu denken«. Auch Ingo Schellenberg von der Hochschule Anhalt bestätigt, dass man »nicht nur Grundlagenforschung betreiben kann«, wenn man »schnell Arbeitsplätze schaffen will. Da muss man produktorientiert rangehen.«

Von der Symbiose aus Markt, Politik und Wissenschaft verspricht sich auch die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern wichtige Impulse für den ostdeutschen Arbeitsmarkt. Anstatt mit den Billiglöhnen der osteuropäischen EU-Staaten zu konkurrieren, will Helmut Holter (PDS), Arbeitsminister in Schwerin, lieber innovative Projekte fördern: Im Kern gehe es ihm »um mehr Freiheit, die moderne ökonomische Entwicklung ermöglichen« soll. Der Osten müsse zu »einem einladenden Land für Mutige und Aufbruchwillige« werden, schreibt Holter. Er möchte Ostdeutschland zu einer Modellregion für »mutige Existenzgründer« und »innovative Geschäftsideen« entwickeln.

Dafür will er nicht nur »bürokratische Vorschriften und Hemmnisse« abbauen, »restriktive Gesetze« außer Kraft setzen, sondern auch die »Unternehmer von ihrer Abgabelast« befreien. Denkbar seien demnach so genannte Steuerfreizonen oder »Freihandelszonen in den Ostseehäfen«.

Das Konzept hält aber auch Probleme bereit, die die Region bislang nicht kannte. Das Land hat zwar bundesweit eine der höchsten Arbeitslosenquoten, aber zu wenige qualifizierte Fachkräfte für die erwünschten Projekte. Daher überlegt die Landesregierung, Einwanderungsbeschränkungen teilweise auszusetzen und mit Hilfe einer »Green Card« ausländische Wissenschaftler und Unternehmer anzulocken.

Anregungen für solche Überlegungen erhält Holter dabei von einer »Denkwerkstatt«, die er selbst vor vier Jahren ins Leben gerufen hat und die sich seitdem regelmäßig zu »Denkerrunden« trifft. Unter Titeln wie »Einfach Anfangen! Gründerzeit in den neuen Ländern« debattieren dort so illustre Geistesgrößen wie die Schriftstellerin Daniela Dahn, der Unternehmerberater Jobst Fiedler oder Andreas Steinle vom Trendbüro Hamburg über die Arbeitsmarktreform im Osten.

Neben der Frage, wie ein neuer »Unternehmergeist« im Osten geschaffen werden kann, beschäftigen sich die Teilnehmer auch mit dem Problem, was mit den zahllosen Arbeitslosen geschehen soll, die sich in naher Zukunft nicht mit »innovativen Projektideen«, sondern mit Hartz-IV beschäftigen müssen.

In einem »Impulsreferat« für die »Denkerwerkstatt« hatte Holter im vergangenen Dezember erklärt, wie sich das Konzept der InnoRegios mit dem Reformvorhaben verbinden lässt. Die dramatischen Einschnitte in der Arbeitsmarkpolitik hätten sich als »gefährlich für den sozialen Zusammenhalt ganzer Regionen« erwiesen, schreibt er darin. Ohne die Sicherung der »sozialen Integrationskraft« könne es zu »gesellschaftlichen Folgeschäden« kommen, die nicht mehr finanzierbar seien.

Tatsächlich passt das ehrgeizige Konzept der »innovativen« Existenzgründungen, die wie »Leuchttürme« in den ostdeutschen Arbeitsmarkt ausstrahlen, so der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck, nur schwer zu dem Umfeld, in dem es stattfinden soll. Regionen, die häufig von Abwanderung, extremer Ausländerfeindlichkeit und einem tristen Alltagsleben gekennzeichnet sind, gehören nicht gerade zu den bevorzugten Standorten elitärer Unternehmen – zumal wenn sie, wie das »Musicon Valley«, auch noch internationale Attraktivität ausstrahlen sollen.

Daher gebe es gerade »im sozialen, im Jugend-, Frauen-, im Umwelt- oder im kulturellen Bereich in den neuen Ländern vieles zu tun, das die Kommunen nicht bezahlen können«, fährt Holter fort. Durch »öffentlich geförderte Beschäftigung in Projekten des Gemeinwohls« könnten hier »Tausende von Arbeitslosen – bei einem Existenz sichernden Einkommen – das Unternehmensumfeld verbessern helfen«.

In diesem Sinne passen das Konzept der InnoRegio und die Hartz-Reform, Ein-Euro-Jobs und der neue Unternehmergeist im Osten dann doch gut zusammen.