»Über den Holocaust wurde nie geredet«

Hugo Egon Balder

Man kennt ihn als Meister des Trashs im Fernsehen. Sendungen wie »Tutti Frutti« und »Alles nichts, oder?« sind legendär. Er war Schlagzeuger der Krautrockband »Birth Control«, sang Schlager wie »Elvira, hol’ dein Strumpfband ab«, spielte am Schillertheater und machte mit Harald Schmidt zusammen Kabarett. Auch als Produzent von Comedy-Sendungen wie »RTL Samstag Nacht« war und ist Hugo Egon Balder ungewöhnlich erfolgreich. Zurzeit feiert er mit »Genial daneben« wieder einen riesigen Erfolg auf Sat1. Der 54jährige hat am vergangenen Freitag in Berlin, präsentiert von Hella von Sinnen, sein erstes Buch vorgestellt – eine Biografie. Mit ihm sprach Ivo Bozic.

Bohlen, Becker, Effenberg – warum braucht die Welt nun auch noch die Biografie von Hugo Egon Balder?

Die braucht an sich keiner. Aber wer sie lesen möchte, kann sie lesen, und wer weiter glauben möchte, dass Balder immer nur der Titten-Balder ist, der lässt es eben.

Ist das die Motivation für dieses Buch gewesen, dass Sie endlich das Image des Tutti-Frutti-Manns loswerden wollen?

Ich hatte überhaupt keine Motivation. Ich wollte es eigentlich überhaupt nicht machen. Mein alter Freund Bernd Philipp, mit dem ich das Buch zusammen gemacht habe, hat mich gedrängt.

Haben Sie es schon bereut?

Im Gegenteil. Für mich war das psychologisch sehr gut. Ich glaube, jeder sollte ein Buch über sein Leben schreiben, auch wenn er’s nicht veröffentlicht. Man erfährt vieles über sich.

In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich ausführlich mit der Geschichte Ihrer jüdischen Familie während der Nazi-Zeit. Ihre Mutter, Ihr Bruder und Ihre Großmutter waren im KZ Theresienstadt und haben glücklicherweise überlebt. Gibt es einen Grund, warum Sie jetzt mit diesem persönlichen Hintergrund an die Öffentlichkeit gehen?

Der Anlass war ein Artikel über mich in der Zeit vor vier oder fünf Jahren, wo dieses Thema mal angesprochen wurde. Da hat Bernd Philipp zu mir gesagt, das ist doch interessant, die Leute kennen dich nur als Spaßmacher, als Clown, als Witzbold, erzähl’ doch mal darüber, damit die Leute sehen, dass du auch eine andere Seite hast. Normalerweise fängt man eine Biografie ja mit der Geburt an, aber wir haben bewusst davor angefangen. Denn auch das spielt eine Rolle dabei, warum ich so bin, wie ich bin. Eine Autorin hat die These aufgestellt, dass Kinder von Holocaustüberlebenden ganz eigenartig sind, anders. Ich muss dieses Buch von ihr unbedingt mal lesen, weil ich glaube, das trifft auf mich zu.

In Ihrer Familie wurde, wie in vielen Familien von Holocaustüberlebenden, kaum über diese schlimme Zeit, über die Shoah gesprochen.

Überhaupt nicht.

Sie haben sich im Rahmen dieses Buchprojekts erstmals tiefer gehend mit diesem Thema beschäftigt?

Ja, absolut. Ich habe mich beispielsweise lange mit meinem Bruder unterhalten, der nun ja auch schon 78 Jahre alt ist. Der hat mir Sachen erzählt, die ich nicht wusste, die er vorher nie erzählt hat.

Dabei scheinen Opfergeschichten derzeit gar nicht so angesagt zu sein. Wenn man sich den Hype um den Hitler-Film »Der Untergang« anschaut, hat man eher den Eindruck, als wollten jetzt mal die Täter ihre Geschichte erzählen. Glauben Sie, dass der Umgang mit der Vergangenheit in Deutschland verantwortungsloser wird?

Er wird nicht verantwortungsloser. Aber er müsste normaler werden. Die heutige Generation, jedenfalls die Mehrheit, hat ja mit dem Ganzen nichts mehr zu tun – wenn die Leute nicht gerade in der NPD sind. Ich würde mir einen normaleren Umgang wünschen, dass man mehr über die Zeit spricht, so wie es war.

Sie schreiben, Ihr Vater, der ja nicht jüdisch war und zur Wehrmacht musste, sei recht spielerisch damit umgegangen.

Natürlich war das alles grauenhaft, aber irgendwie musste man – und muss man immer noch – damit umzugehen lernen. Mein Vater hatte mit Hitler nichts am Hut. Der kam einmal ins Offizierskasino und sagte »Heil Hitler, und für die Andersgläubigen Guten Morgen«. Es gibt ein Foto aus dem Jahre 1946, da sieht man meinen Vater, und links von ihm steht ein russischer Soldat und rechts ein amerikanischer, und mein Vater steht in der Mitte und parodiert Hitler. Ich bin sicher, wenn meine Eltern noch leben würden, dann würden sie mir raten, mit diesem Thema offensiver umzugehen, sie würden mir zuraten, Hitler zu parodieren, zu verarschen. Definitiv. Ich meine jetzt keine blöden Witzchen, sondern so richtig.

Ist der Umgang nicht manchmal auch zu normal, wenn zum Beispiel fast ohne Proteste in Berlin eine Flick-Kunstsammlung eröffnet?

Es ist doch müßig, jetzt dagegen zu protestieren. Ich finde dieses ewige Nachgekarte eher ärgerlich. Es ist irgendwie alles ganz merkwürdig. Wir sind ein merkwürdiges Volk, wirklich, merkwürdige Menschen. Wir haben sechs Millionen Juden umgebracht und errichten ihnen jetzt ein Denkmal. Ist schon irre. Es kann keiner mit dem Thema »normal« umgehen, außer vielleicht den Juden selber.

Während es in vielen anderen Ländern keine Schlagzeile wert wäre, wenn jemand über sein Jüdischsein redet, hat man in Deutschland gleich das Gefühl, da legt einer ein Bekenntnis ab, fast eine Art Coming Out. Werden Sie anders angeguckt, wenn jemand Ihren Hintergrund erfährt?

Nein, überhaupt nicht.

Spielt Ihr Judentum in Ihrem heutigen Leben irgendeine Rolle?

Auch nicht. Also nicht so, dass es jeden Tag präsent wäre. Ich bin mit einer Türkin verheiratet, das ist alles kein Thema. Außer als Teil meiner Kindheit. Und im Humor.

Im Humor?

Ja, da merke ich doch, dass ich Jude bin. Der jüdische Humor ist eigen.

Inwiefern?

Er richtet sich nie gegen Minderheiten, sondern gegen sich selber. Wenn man nach Amerika schaut, da sind die Stars, die in der Unterhaltung und der Schauspielerei tätig sind, zum allergrößten Teil Juden. Woran sollte das liegen, wenn nicht am speziellen Humor? Das hat vielleicht mit der jüdischen Geschichte zu tun. Wenn man immer verfolgt wird und überall rausgeschmissen, wenn man wie Nomaden durchs Land zieht, überall unbeliebt ist, dann entwickelt man vermutlich eine eigene Art von Humor.

Ist in der Comedy- und Fernsehszene, in der Sie verkehren, Antisemitismus als Problem in der Gesellschaft ein Thema? Redet man darüber?

Ja klar. Man muss sich ja auch Gedanken darüber machen, wie weit man zum Beispiel bei einer Pointe gehen kann. Denn da gibt es natürlich Grenzen.

Reagiert die Öffentlichkeit irritiert auf Ihr Buch?

Es gibt noch nicht so viele Reaktionen. Aber natürlich erwarten die Leute etwas anderes, wenn ich ein Buch schreibe. Die denken, jetzt erfahren sie, wie groß die Titten bei der Erdbeere waren, und genau das passiert nicht. Das war ein Kapitel in meinem Leben und kommt also auch in dem Buch vor, aber ich schildere das ein wenig anders, als die Leute es erwarten.

Kann man davon ausgehen, dass Sie sich künftig häufiger zu, sagen wir, ernsteren Themen äußern?

Ich äußere mich immer kritisch, aber dann, wenn ich gefragt werde. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die ständig ihr Maul aufreißen, damit ihr Name irgendwo erscheint. Wenn mich einer fragt, sage ich meine Meinung. Fertig. Aber ich mache auch viele Sachen, die nicht an die Öffentlichkeit kommen und von denen ich das auch nicht will.

Hugo Egon Balder mit Bernd Philipp: »Ich habe mich gewarnt«, Verlag Rütten & Loening, Berlin 2004, 272 Seiten, 19,90 Euro