Das Drogenkarussell

Weil er Kokain geschmuggelt haben soll, steht der ehemalige Betreiber des Vergnügungsparks im Plänterwald vor Gericht. von marina mai

Die Richterin fragt Norbert Witte nach seiner Adresse. Zuletzt habe er bei seiner Schwiegermutter gewohnt, antwortet der 49jährige einstige Rummelplatzkönig. »Aber dort haben Sie sich nicht aufgehalten?« fragt die Richterin weiter. Nein, bestätigt Witte. Denn jedes Mal, wenn er in Berlin bei der Schwiegermutter war, habe es eine Hausdurchsuchung gegeben. Und das wollte er der alten Dame nicht so oft zumuten. Er spricht leise und stockend im Saal 500 des Berliner Landgerichts.

Seine Wohnanschrift in Lima will die Richterin nun herausbringen. Norbert Witte zuckt mit den Schultern. Man nimmt dem Mann sein Unwissen ab. Er spricht kein Spanisch, und in Peru, wo er einige Monate lebte, um dort einen Vergnügungspark aufzubauen, ist er ein Fremder. »Es war ein Fehler, dorthin zu gehen«, beteuert er. Die Richterin blickt in die Akten: »Könnten Sie in der Avenida Libertadores gewohnt haben?« »Ja«, bestätigt Witte.

Der Schausteller Norbert Witte, der über viele Jahre als Chef des inzwischen insolventen Spreeparks im Plänterwald galt, obwohl er weder Geschäftsführer, Prokurist noch Gesellschafter war, ist angeklagt, 167 Kilogramm Kokain in die Kirmesattraktion »Fliegender Teppich« eingeschweißt zu haben, um es von Peru nach Europa zu verschiffen. Witte ist geständig, will aber unter Druck gehandelt haben. Er wollte weg aus Peru, wo ihm sein Vergnügungspark nicht so recht Vergnügen bereitete. Aber er hatte kein Geld, um mitsamt der Fahrgeschäfte nach Deutschland zurückzukehren. Da kam ein Peruaner vorbei, der einmal im Spreepark als Elektriker gearbeitet hatte. Auch die Staatsanwältin kennt den Mann, denn er musste sich vor zehn Jahren in Berlin wegen Drogenhandels verantworten.

»Ich war ja schon froh, dass ich mit ihm Deutsch sprechen konnte«, sagt Witte vor Gericht. Der Mann habe ihm angeboten, Rohgold nach Europa zu verschiffen und damit die Überfahrt zu finanzieren. Später sei aus dem Rohgold Kokain geworden und sein Sohn Marcel mit der Pistole bedroht worden, erzählt Witte. Doch die peruanische Polizei kam dem Drogenhändlerring auf die Schliche. Am 5. November 2003 wurden fünf Männer in Lima festgenommen, darunter Wittes 23jähriger Sohn. Er wartet dort nun im Gefängnis auf seinen Prozess. Einen Tag später klickten in Berlin die Handschellen: Norbert Witte, der sich nach einem Herzinfarkt in Berlin medizinisch behandeln ließ, wurde festgenommen und liegt seitdem im Haftkrankenhaus.

Es war um den Jahreswechsel 2001/2002, als Witte mit Frau, Kindern, Enkeln und sechs Fahrgeschäften aus dem Spreepark, die er nur geleast hatte, in einer Nacht- und Nebelaktion nach Peru aufbrach. Dort wollte er einen Luna-Park aufbauen, ließ er die Presse wissen. In Peru gebe es noch keine Achterbahnen, und Freunde hätten ihn gebeten, dort welche zu betreiben. Damals ermittelte die Staatsanwaltschaft in Berlin gegen den Schausteller wegen Insolvenzverschleppung und Untreue.

Warum aber wollte der Abenteurer bereits 2002 nicht mehr in Peru bleiben? Ob das Geschäft schlecht gelaufen sei, will die Richterin wissen. Gäste seien in den Luna-Park gekommen, erzählt Witte. Aber die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass sie den Fahrgeschäften zusetzte. Ausgebildete Handwerker waren nicht zu bekommen. Und dann die Schmiergeldpraxis in dem lateinamerikanischen Land ... Ein erfolgloser Geschäftsmann zu sein, passt nicht zum Selbstbild des Norbert Witte, der oft genug mit Schlapphut Fernsehinterviews gab und einst einen Namen hatte in Berlin.

Dass er zuvor auch mit dem Spreepark gescheitert war, habe an den fehlenden Parkplätzen gelegen, erzählt Witte weiter. Weil der Park mitten in einem Landschaftsschutzgebiet liegt, idyllisch in einem der letzten innerstädtischen Waldgebiete an einer Spreebiegung, wurden nicht genug genehmigt. Und deshalb gingen die Besucherzahlen zurück. Die Geschichte hat er immer wieder erzählt. Auf jeder Bezirksverordnetenversammlung in Treptow bzw. Treptow/Köpenick, bei der er seinen Park auf die Tagesordnung bringen konnte, erzählte er sie, und Politiker und die Presse glaubten ihm. Einen Sommer lang erlaubten es ihm die Bezirkspolitiker sogar, einen Schulsportplatz von Spreeparkbesuchern zuparken zu lassen, gegen den heftigen Protest der Eltern. Und im Jahr 2001 wollte der damalige Stadtrat Oliver Scholz, der wie Witte der CDU angehörte, die planungsrechtlichen Voraussetzungen schaffen, damit Witte mit dem ganzen Park vom Plänterwald in die Wuhlheide ziehen könnte. Doch dafür wäre Geld nötig gewesen, das die Spreepark GmbH nicht hatte. Für Witte kein Problem: Der Senat sollte das bezahlen. Dumm nur, dass der das anders sah. Dann kam alles noch schlimmer. »Als der neue Senat da war« – Witte meint den rot-roten –, »bewegte sich nichts mehr. Ich suchte eine neue berufliche Zukunft.«

Bereits Mitte der neunziger Jahre waren die Umstände schuld daran, dass Witte nicht in den Spreepark investieren und ihn attraktiver machen konnte. Der Wessi hatte den einstigen DDR-Traditionspark 1992 lediglich gepachtet. Und weil die Banken Sicherheiten verlangten, bevor sie der Spreepark GmbH Geld liehen, musste ein Erbbaurechtsvertrag her. Den bekam Witte 1997. In dem Vertrag bürgt Berlin mit einer Grundschuld von 20 Millionen Mark plus Zinsen und Nebenkosten für die Bankkredite der Spreepark GmbH. Zwei Jahre später erhöhte die Senatsverwaltung für Finanzen diese Haftung noch einmal eigenmächtig um 4,2 Millionen Mark. Dieses Geld setzte die Spreepark GmbH größtenteils in den Sand. Weil es bereits damals um das Eigenkapital der Firma schlecht bestellt war, wollte der Vermögensausschuss des Abgeordnetenhauses der riskanten Bürgschaft nicht zustimmen. Aber Witte klagte der Presse seine Sorgen und kriegte die Politiker irgendwie herum. 1999 stand die Spreepark GmbH mit 51 000 Mark als Großspender in den Listen der CDU, während sie dem Land Berlin die Pacht schuldig blieb.

Warum Witte, der Spross einer Hamburger Schaustellerfamilie, überhaupt nach Berlin kam, ist eine andere Geschichte. Im August 1981 verursachte er das größte Unglück auf einem Rummelplatz in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Sieben Menschen starben und mehr als 20 wurden verletzt, weil Wittes Teleskopkran bei vollem Fahrbetrieb mit dem Karussell »Skylab« seiner Standnachbarin auf dem Hamburger Jahrmarkt »Dom« kollidierte. Das Landgericht Hamburg verurteilte ihn 1985 wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger, zum Teil schwerer Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr. Wittes Kran war zum Unfallzeitpunkt weder zugelassen noch versichert. Ein Opfer wartet noch heute auf eine Entschädigung. Witte wurde Angestellter im Fahrgeschäft seiner Frau mit einem geringen Einkommen. Vor 1990 wurden ihm auf westdeutschen Rummelplätzen immer wieder Stellplätze verweigert.

Diesmal drohen dem Vater von fünf Kindern im Falle einer Verurteilung 15 Jahre Haft. Seine Geständigkeit, sein schlechter Gesundheitszustand und auch die Erpressungsgeschichte könnten sich jedoch strafmildernd auswirken. Gegen Norbert Witte ist noch ein Strafverfahren wegen Insolvenzverschleppung anhängig.