Uno im Blick

Nach den antiserbischen Krawallen Mitte März wollen kosovo-albanische Extremisten nun die Protektoratsverwaltung stärker ins Visier nehmen. von markus bickel, pristina

Die Übergangsadministration der Vereinten Nationen im Kosovo (Unmik) muss sich möglicherweise auf weitere Unruhen in der international verwalteten Provinz einstellen. »Die Situation kann eskalieren, wenn wahllos verhaftet wird«, erklärte Zafir Berisha vorige Woche der Jungle World. Berisha ist ein ehemaliger Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee UCK, der heute für die Demokratische Partei des Kosovo (PDK) im Stadtparlament von Prizren sitzt. Er ist außerdem Mitglied des UCK-Veteranenverbandes, jener Organisation also, die bereits vor Beginn der schlimmsten Unruhen seit Ende des Krieges 1999 Mitte März zu landesweiten Demonstrationen aufgerufen hatte. Mit Verweis auf die Massendemonstrationen von Kosovo-Albanern gegen die serbische Herrschaft in den achtziger Jahren warnte Berisha die von dem Finnen Harri Holkeri geleitete Unmik-Bürokratie. »Jeder Verhaftete hatte eine Großfamilie hinter sich, die sich solidarisch zeigte.«

Auch Premierminister Bajram Rexhepi will weitere Unruhen nicht ausschließen. »Wir fürchten, dass weitere Revolten folgen werden, sollte die unklare Situation so bleiben, wie sie ist, und sich der Status quo nicht ändern.« Fast sechzig Unmik-Fahrzeuge gingen vor drei Wochen in Flammen auf.

Das Kosovo wird seit Ende des elfwöchigen Nato-Bombardements im Juni 1999 von den Vereinten Nationen verwaltet, wo zunächst 40 000 Angehörige der von der Nato geführten Schutztruppe Kfor für Sicherheit in dem Protektorat mit zwei Millionen Einwohnern sorgen sollten. Ihre Zahl wurde in den vergangenen Jahren um mehr als die Hälfte reduziert, nach den Anschlägen jedoch wieder auf 21 000 Mann aufgestockt.

Der Verantwortliche für die EU-Außenpolitik, Javier Solana, und andere westliche Diplomaten hatten direkt nach den Ausschreitungen die politische Führung des Kosovo für die Krawalle verantwortlicht gemacht. Auch Unmik-Anführer Holkeri sagte, dass »die Verantwortlichen in den Parteien« zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Vor allem die vom ehemaligen UCK-Chef Hashim Thaci geführte PDK sowie die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) von Ramush Haradinaj, die im Nordwesten, wo das Protektorat an Albanien grenzt, sehr stark präsent ist, dürften damit gemeint sein. In Pristina geht man davon aus, dass eine der beiden vom Haager Uno-Kriegsverbrechertribunal für dieses Jahr angekündigten Anklagen gegen mutmaßliche kosovo-albanische Kriegsverbrecher gegen Haradinaj erhoben wird.

Die Unmik-Verwaltung wird von großen Teilen der kosovo-albanischen Bevölkerung dafür verantwortlich gemacht, dass auch fünf Jahre nach dem Abzug jugoslawischer Truppen keine Aussicht auf die erhoffte Unabhängigkeit besteht. Außerdem, so die Kritik, verhindere die Verwaltung durch ihre verfehlte Privatisierungspolitik einen Abbau der auf über sechzig Prozent geschätzten Arbeitslosigkeit.

Als Reaktion auf die Unruhen stellte Holkeri am Donnerstag einen Plan vor, der die Implementierung demokratischer, menschenrechtlicher und marktwirtschaftlicher Standards vorsieht und der die Grundlage für eine Diskussion über den künftigen Status bilden soll. Wie der Schutz der verbliebenen Angehörigen der serbischen und anderer Minderheiten garantiert werden soll, lässt das Papier jedoch offen. Serbiens Premierminister Vojislav Kostunica drängt seit den Unruhen verstärkt auf eine Kantonisierung der Provinz.

Angaben der Kfor zufolge wurden in den Tagen nach den pogromartigen Unruhen Mitte März 196 militante Demonstranten verhaftet. Das besondere Augenmerk der Veteranenverbände und der PDK richtet sich auf die Festnahme von Mitgliedern des Kosovo Protection Corps (KPC). Diese dem Technischen Hilfswerk vergleichbare, 6 000 Mann starke Organisation war 1999 als Auffangbecken für entwaffnete UCK-Kämpfer geschaffen worden. Ihrem Selbstverständnis nach sieht sich die Truppe jedoch als Keimzelle der Armee eines unabhängigen Kosovo. Geführt wird sie von Agim Ceku, gegen den wegen seiner Rolle bei der Vertreibung der serbischen Bevölkerung aus der kroatischen Krajina 1995 wahrscheinlich auch in Den Haag ermittelt wird.

Bereits einen Monat vor den Krawallen hatte Holkeri mehrere KPC-Mitglieder vom Dienst suspendieren lassen, weil ihnen eine Zusammenarbeit mit der separatistischen Albanischen Nationalarmee (AKSh) vorgeworfen wird. Die von Holkeris Vorgänger Michael Steiner als »terroristisch« eingestufte Gruppe bekannte sich im Frühjahr 2003 zum Anschlag auf eine Brücke im Norden des Kosovo. Erklärtes Ziel der panalbanischen Guerilla ist der Zusammenschluss aller Siedlungsgebiete auf dem Balkan. An einer niedergebrannten, von der Uno finanzierten Schule in der südlich von Pristina gelegenen Kleinstadt Kosovo Polje hinterließen die Täter das Kürzel der von Sicherheitsexperten auf 300 Mann geschätzten Truppe. Allein in den vergangenen beiden Jahren sind 27 vom KPC übernommene Ex-UCK-Offiziere wegen Mordes und anderer Verbrechen angeklagt worden, ohne dass die ausländischen Protektoratsherren gegen die strukturellen Verflechtungen zwischen im Untergrund tätigen panalbanischen Separatisten und dem von ihnen geschaffenen Schutzkorps ernsthaft vorgegangen wären.

Nicht nur die AKSh- und UCK-Graffitis an den Häusern lassen auf die Verantwortung frustrierter Altkader schließen. Die Tatsache, dass sich die zunächst auf Kosovska Mitrovica begrenzten Unruhen innerhalb von wenigen Stunden auf Dutzende Städte in der ganzen Provinz ausbreiteten, weist ebenfalls auf eine koordinierte Aktion hin. Bei den Ausschreitungen kamen vor drei Wochen 19 Menschen ums Leben, 11 Kosovo-Albaner sowie acht Kosovo-Serben. Mehr als 800 Personen wurden verletzt. Die ursprüngliche offizielle Zahl von 28 Toten wurde von Holkeris Protektoratsverwaltung vorige Woche korrigiert, weil offenbar einige Leichen doppelt gezählt worden waren – eines von vielen Indizien, dass den internationalen Behörden die Kontrolle über den Verlauf der schon Wochen zuvor angekündigten Demonstrationen völlig entglitt.

Flugblätter der Liga für die Nationale Befreiung des Kosovo (LKCK) sowie Äußerungen von Politikern, die an der Organisation der zum fünften Jahrestag des Nato-Krieges am 24. März geplanten Demonstrationen beteiligt waren, weisen darauf hin, dass in Zukunft die Vereinten Nationen mit weiteren Attacken rechnen müssen. »Die Unmik muss aufpassen, was sie macht«, sagte der Ex-UCK-Mann Berisha. Fatir Hummoli, Vorsitzender der LKCK, warnte in der Tageszeitung Koha Ditore: »Es ist offensichtlich, dass die politischen Mittel gescheitert sind, sodass wir bereit sind, auch andere Mittel einzusetzen.«

Einen Vorgeschmack darauf, was das heißen könnte, erhielten die rund 10 000 Angestellten der Weltorganisation bereits eine Woche nach den antiserbischen Ausschreitungen. Im Norden des nach internationalem Recht weiterhin zu Serbien-Montenegro gehörenden Protektorats wurden ein albanischer und ein ghanaischer Beamter der Unmik-Polizei erschossen. Die Mitarbeiter des Hauptquartiers in Pristina erhielten daraufhin die Aufforderung, ihre Büros vorzeitig zu verlassen, um nicht ebenfalls zum Ziel militanter Demonstranten zu werden.