Der Philosoph

ich-ag der woche

Wer die Welt retten will, muss in die Wüste gehen. Bereits Moses, Jesus und Muhammad zogen sich dorthin zurück, um sich auf ihre Mission vorzubereiten. Muammar al-Gaddafi hatte einen Startvorteil, denn er wurde mitten in der Wüste geboren. »Der junge Muammar spielte selten mit seinen Cousins, stattdessen war er immer in Gedanken über dieses und jenes versunken«, berichtet seine Biografin Mirella Bianco.

Das waren gute Voraussetzungen für eine Prophetenkarriere, aber Gaddafi wartete vergeblich auf eine Offenbarung. Also dachte er sich etwas Neues aus. Seine beduinische Kindheit habe es ihm ermöglicht, »die Wahrheiten zu entdecken, die ich im Grünen Buch präsentiert habe«, urteilt Gaddafi selbst.

Vor der Rettung der Welt durch die im Grünen Buch dargelegte »Dritte Universaltheorie«, die Kapitalismus und Sozialismus überwindet, war aber noch etwas zu erledigen. Da Verleger sich in der Wüste rar machen, musste Gaddafi die Macht in Libyen übernehmen. Ein Putsch sicherte ihm 1969 eine aufmerksame Leserschaft.

»Es ist eine unumstrittene Tatsache, dass Männer und Frauen menschliche Wesen sind«, stellt Gaddafi im Grünen Buch fest, allerdings könne es »keine absolute Gleichheit hinsichtlich ihrer Pflichten geben«. Der Philosoph hat auch die Bedeutung der Familienplanung erkannt, »anders als die Schwarzen, die in einem immer heißen Klima träge sind«. Entgegen Gaddafis Erwartungen wurde die spirituelle Tiefe seines Werks nie angemessen gewürdigt. Aufgeben will er jedoch nicht: »Ich betrachte es als Führer für die ganze Menschheit.«

jörn schulz