Wo warst du, als das Schröter-Tor fiel?

Am 23. September 1959 fiel das erste Tor einer DDR-Nationalmannschaft im Spiel gegen die BRD. Aber in den Statistiken taucht es nicht auf. von michael bolten

Zu Beginn des Jahres 1959 waren die Fußballer des westdeutschen Fußballverbandes DFB schon wieder wer im internationalen Fußball, fünf Jahre zuvor hatten sie ja das Wunder von Bern vollbracht. Die Fußballer des ostdeutschen DFV kämpften da noch um ihre internationale Anerkennung. Von der Fifa waren sie seit sieben Jahren offiziell anerkannt, aber sie konnten bislang keine sonderlichen Erfolge vorweisen. Das sollte sich jedoch im September 1959 ändern.

Doch zunächst ein kurzer Rückblick auf das Jahr 1955. In jenem Jahr wurde das Nationale Olympische Komitee der DDR vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) provisorisch anerkannt. Jedoch nur unter der Bedingung, dass eine gesamtdeutsche Mannschaft an Olympischen Spielen teilnahm. Diese Regelung galt auch für die Olympischen Sommerspiele 1960 in Rom. Besonders problematisch sollte sich dies auf die mögliche Teilnahme Deutschlands am olympischen Fußballturnier auswirken.

Obwohl sowohl der DFB als auch der DFV von der Fifa anerkannt waren, durfte Deutschland nur eine Mannschaft stellen. Da sich die beiden nationalen Verbände nicht auf ein gemeinsames Team einigen konnten, musste, bevor die eigentlichen Ausscheidungsspiele zur Turnierteilnahme gegen Polen und Finnland stattfinden konnten, erst einmal der deutsche Teilnehmer ermittelt werden. DFV und DFB einigten sich schließlich auf zwei Ausscheidungsspiele im September 1959.

Nun könnte man meinen, der Ausgang dieser beiden Spiele sei reine Formsache. Immerhin gehörten zum Kader der DFB-Nationalmannschaft des Jahres 1959 Spieler wie Tilkowski, Juskowiak, Schnellinger, Haller, Seeler und Rahn. Doch bei all diesen Kickern handelte es sich um so genannte Vertragsspieler, die in den Oberligen der BRD für Geld kickten und laut den damaligen IOC-Statuten keine Teilnahmeberechtigung für Olympische Spiele hatten. Die von Sepp Herberger und Georg Gawliczek betreute DFB-Auswahl musste daher aus Oberliga-Amateuren und Spielern aus unterklassigen Vereinen zusammengesetzt werden. DDR-Trainer Heinz Krügel konnte dagegen seine stärkste Mannschaft aufbieten, schließlich handelte es sich bei seinen Spielern um IOC-taugliche Staatsamateure.

So machten sich also die DFV-Funktionäre nicht unberechtigte Hoffnungen, dem Westen ausgerechnet im Fußball eins auswischen zu können. Und damit auch ja nichts schief ging, wurden sämtliche Oberliga-Begegnungen zwischen dem 30. August und dem 27. September ausgesetzt, um Zeit für ein Trainingslager zu haben und sich in aller Ruhe auf die kommenden Auseinandersetzungen vorbereiten zu können.

Das Hinspiel fand am 16. September im Berliner Walter-Ulbricht-Stadion statt. Es wurde zwar live im Fernsehen übertragen, doch im 70 000 Menschen fassenden Stadion waren aufgrund einer Absprache der beiden Verbände keine Zuschauer zugelassen. Lediglich die Spieler, Funktionäre, handverlesene Journalisten und das polnische Schiedsrichtergespann hatten Zutritt zum Stadion. Für die Amateure aus dem Osten kam es jedoch ganz anders, als sie sich das vorgestellt hatten.

Durch Tore des bei Arminia Hannover spielenden Thimm – er köpfte den Leipziger Fischer an und von dort trudelte der Ball ins Tor – und des Hamburgers Dörfel gewann das westdeutsche Team. Eine bestenfalls zweitklassige DFB-Auswahl besiegte die wesentlich stärker eingeschätzte DFV-Mannschaft, die vor allem aus Spielern der Oberliga-Spitzenteams aus Karl-Marx-Stadt, Berlin und Leipzig bestand. Dabei war sogar in westlichen Zeitungen von einem »unverdienten Sieg« zu lesen.

Doch es blieb für den DFV ja noch das Rückspiel, um Revanche zu nehmen und sich doch noch durchzusetzen. Die Ankündigung in der westdeutschen Presse für das Rückspiel eine Woche später zeigt, um welch eigentümliche Veranstaltung es sich gehandelt haben muss. Als Austragungsort wurde lediglich der »Raum Groß-Duisburg« genannt. Die Anstoßzeit war allerdings bekannt, da auch diese Begegnung live im Fernsehen übertragen wurde. Tatsächlicher Spielort war dann das Düsseldorfer Rheinstadion, in dem sich schließlich 22 Spieler nebst Ersatzleuten, Funktionären und Schiedsrichtern sowie 40 zugelassenen Journalisten einfanden.

Das Rheinstadion fasste damals immerhin rund 50 000 Zuschauer, so dass auch hier eine gespenstische Stimmung herrschte. Vor dem Spiel gab es weder Hymnen noch Händeschütteln der Spieler, die sich übrigens auch alle ins Aus gehenden Bälle selbst holen mussten, da Balljungen ebenfalls nicht zugelassen waren. Umso erstaunlicher ist es, dass die DDR-Mannschaft wenigstens in ihren gewohnten Trikots auflaufen durfte. Das öffentliche Zeigen von DDR-Symbolen wie Hammer und Zirkel, die die DFV-Trikots zierten, war im Westen ansonsten unter Strafandrohung verboten.

Die »sowjetzonalen« Spieler – so hießen sie damals in der Westpresse – starteten gut und führten früh durch ein Elfmetertor des Berliner Dynamo-Spielers Günter Schröter, den ersten Treffer einer DDR-Auswahl gegen die BRD überhaupt. Doch die Hoffnung der DDR-Spieler und Funktionäre bekam noch vor der Pause einen Dämpfer. Wie im Hinspiel konnte wiederum Thimm den Rückstand egalisieren. In der 62. Minute sorgte sein Vereinskollege Wilkening für die Entscheidung. Es stand 2:1 für Deutschland-West, und an diesem Resultat sollte sich bis zum Schlusspfiff des holländischen Schiedsrichters Martens nichts mehr ändern. Die Mannschaft der DDR verlor auch das zweite Spiel, und das DFB-Team war für die Qualifikationsrunde qualifiziert. »Sie haben beide Spiele gewonnen, und weil Tore ein Spiel entscheiden, sind sie – wie es von uns gefordert wurde – qualifiziert«, lautete die nüchterne Analyse des DFV-Generalsekretärs Kamm.

Doch nicht nur die äußeren Bedingungen dieser beiden Begegnungen wiesen skurrile Züge auf. Schiedsrichter Martens sprach vom »eigenartigsten Spiel«, das er jemals geleitet habe. Auch auf dem Platz soll es nach Aussage des inzwischen 79jährigen Matthias Mauritz, der damals als Amateur für den Oberligisten Fortuna Düsseldorf spielte, zu eigenartigen Szenen gekommen sein. Mauritz, der in beiden Partien auf dem Feld stand, erinnert sich noch heute nur ungern an diese Begegnungen. Die DFB-Spieler mussten sich wiederholt verbale Beschimpfungen ihrer ostdeutschen Sportkameraden auf dem Spielfeld anhören: »Du Nazi. Du Faschist.«

An den Olympischen Spielen durfte die DFB-Mannschaft aber dann doch nicht teilnehmen. Sie scheiterte in der Qualifikation an Polen. An das Tor Günter Schröters erinnert sich heute so gut wie keiner mehr. In der offiziellen DFB-Statistik tauchen die beiden Begegnungen nicht auf, da der DFV im Westen Deutschlands nicht anerkannt war. Die DDR und mit ihr der DFV existieren nicht mehr. Die beiden Stadien sind mittlerweile auch nur noch Geschichte, das Düsseldorfer Rheinstadion ist inzwischen Deichstützungsmaterial in Holland. Die beiden Spiele im September des Jahres 1959 scheinen unter keinem sonderlich guten Stern gestanden zu haben.