Eine Akte kriegt jeder

Die EU will für Bürger aus Drittstaaten und für EU-Staatsangehörige fälschungssichere Personalausweise einführen. Das Mittel bietet die Biometrie. von karin waringo, brüssel

Die Gesichtszüge und die Abdrücke zweier Finger, darauf kommt’s an. Bereits vor drei Wochen einigten sich die europäischen Innen- und Justizminister auf ein einheitliches Format für die geplante Einführung biometrischer Personenmerkmale in die europäischen Einreisevisa und Aufenthaltsgenehmigungen. Damit ist auch das Format für die neuen europäischen Pässe bereits vorgegeben. Denn beide Dokumenttypen sind eng mit einander verknüpft.

Grundlage der Entscheidung war der Beschluss der europäischen Staats- und Regierungschefs auf ihrem Treffen in Porto Carras im vergangenen Sommer, zu »einer harmonisierten Lösung für die Dokumente von Bürgern aus Drittstaaten, EU-Staatsangehörigen und Informationssysteme« zu gelangen. Die Kommission legte Ende September zwei Entwürfe für einen Ratsbeschluss vor, die die biometrische Kennzeichnung der Visa und Aufenthaltsgenehmigungen für Bürger aus Drittstaaten betreffen. Spätestens 2005 sollen diese Dokumente mit einem Chip versehen sein, auf dem die Merkmale des Gesichts und der Abdruck zweier »flacher Finger« des Trägers gespeichert sind.

Die Kommission besteht darauf, dass die Abdrücke nicht über eine Ablage »gerollt« werden dürfen, was die Einwirkung einer anderen Person voraussetzt. Ein physischer Kontakt zwischen dem Antragsteller und dem Konsularbeamten soll nämlich vermieden werden. Vermieden werden soll auch, dass Mitgliedsstaaten zusätzliche Informationen auf dem Chip speichern. Deshalb legt die Kommission 64 Kilobit als Höchstmaß für dessen Speicherkapazität fest. Allenfalls dürften noch Daten, die ohnehin bereits auf dem Dokument enthalten sind, zusätzlich auf dem Chip gespeichert werden. Der Überwachungsstaat schreckt offensichtlich selbst die Kommissionsbeamten.

Eigenes Interesse und nicht Druck von außen, heißt: den USA, sei für die Einführung biometrischer Personenmerkmale in Visa, Aufenthaltsgenehmigungen und Pässe ausschlaggebend gewesen, erklärte der EU-Kommissar für Justiz und Innere Angelegenheiten, Antonio Vitorino, der Presse zum Abschluss des Treffens der europäischen Justizminister.

Am Anfang, so die Kommission, stand der Wunsch einiger Mitgliedsstaaten, sie solle Maßnahmen treffen, um die Fälschungssicherheit der Personendokumente herzustellen. Ins Visier sind nach dem 11. September 2001 insbesondere Ausländer geraten. Hier galt es nicht nur, die Echtheit der Dokumente zu überprüfen, sondern auch, einwandfrei festzustellen, dass Träger und Inhaber eines Dokumentes identisch sind.

Biometrische Erkennungssysteme erfassen körperliche Merkmale, die sich im Lauf des Lebens einer Person kaum verändern. Da sie an ihrem Träger haften, wird dank biometrischer Erkennungssysteme der Körper selbst zum Ausweisdokument gemacht.

Mit der Orientierung auf Ausländer und der seit dem 11. September 2001 manisch betriebenen Verknüpfung von Einwanderung und Terrorismus gerieten zunächst die Einreisevisa ins Blickfeld, bis man darauf kam, dass man wohl auch die Fälschungssicherheit der eigenen Pässe erhöhen müsse. Dieser neue Vorstoß fiel um so leichter, als die USA drohten, die Visafreiheit nur noch Angehörigen jener Staaten zu gewähren, die biometrische Merkmale in ihre Pässe einführen.

Mit der flächendeckenden Einführung biometrischer Personenmerkmale in Ausweisdokumente betritt die EU Neuland. Nur scheinbar handelt es sich dabei um das gleiche Prozedere, das auch dem »fälschungssicheren« Personalausweis und Pass zugrunde liegt. Nicht umsonst gehört die Aufnahme biometrischer Merkmale bisher vor allem in den Bereich der Strafverfolgung. Mit ihrer routinemäßigen Einführung droht die Gefahr des Missbrauchs durch Organe der Strafverfolgung selbst.

Experten diskutieren die verschiedenen Verfahrensweisen konträr. Einige glauben, dass die Erfassung der Kernstruktur der Iris größere Ablehnung hervorrufen könnte, da sie bisher nur auf eine sehr kurze Distanz vorgenommen werden kann. Die von der Kommission zurückbehaltenen Verfahren sind weniger »intrusiv«, werden aber gerade deshalb auch kritisch gesehen, da sowohl Fingerabdrücke als auch die Gesichtszüge einer Person ohne deren Wissen aufgenommen und verwertet werden können. Im Klartext, die totale Überwachung droht, auch wenn die Kommission die EU-Staaten mahnt, die Daten zu keinem anderen als den vorgesehenen Zwecken zu benutzen.

Die Kommission rechtfertigt ihre Wahl mit dem Hinweis, dass Verfahren für die Iriserkennung noch weniger ausgereift seien und das Patent von einem amerikanischen Unternehmen gehalten werde. Die EU strebt in diesem Bereich Eigenständigkeit an, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus sicherheitspolitischen Erwägungen. Es gibt aber auch noch eine weitere, inoffizielle Erklärung dafür, wieso die Kommission sich gegen die Irisbiometrie entschieden hat. Der Irisscan gibt nämlich nicht nur die Identität seines Trägers preis, sondern auch Aufschluss über dessen Gesundheitszustand.

Der eindeutig repressive Charakter dieser neuen Sicherheitsmaßnahme geht aus den Verlautbarungen hervor, die der Einführung biometrischer Erkennungsverfahren bei Bürgern aus Drittstaaten vorausgingen. Hier geht es nicht nur darum, die Fälschungssicherheit von Dokumenten zu gewährleisten, oder zu verhindern, dass Menschen sich vorübergehend einer anderen Identität bedienen. Zusätzlich sollen die Bewegungen einer Person möglichst weitgehend erfasst werden, zum Beispiel Ort und Zahl ihrer Grenzübertritte, um sie gegebenenfalls an der Einreise in die EU zu hindern. Abschiebungen legal eingereister Ausländer würden leichter, da sich das Herkunftsland selbst dann noch ermitteln ließe, falls die Person ihre Einreisedokumente zerstört hätte. Grenzkontrollen, so hofft man, würden beschleunigt werden, da sich in Zukunft jeder selbst kontrolliert, und daher wesentlich lückenloser. Schließlich beabsichtigt man offensichtlich auch, die derart erfassten Daten als Grundlage für das Visa-Informationssystem der EU zu benutzen, das zur Zeit vorbereitet wird. Einmal funktionsfähig, enthält es die Daten aller, die ein Visum beantragt haben, ob sie erfolgreich waren oder nicht.

Die Technologie steckt noch in ihren Kinderschuhen. Angaben über die Verlässlichkeit der Systeme variieren und werden regelmäßig in Frage gestellt, nicht zuletzt durch die Erfahrung selbst. Doch wenn sie einmal da sind, sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Bereits jetzt kursieren Überlegungen, die Datenbanken auszuweiten, z.B. auch ADN-Strukturen zu erfassen, miteinander zu verknüpfen und die Daten grenzüberschreitend auszutauschen. Größerer Widerstand wird sich vermutlich dann erst erheben, wenn das System greift und seine Auswüchse für alle ersichtlich werden. Doch dann ist es vermutlich bereits zu spät.