Sag einfach Jein

Abweichler in der SPD von thomas blum

»Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die Versuche einer Regierung, ihre Abgeordneten zu entpersönlichen und sie zu einer bloßen Rechengröße zu machen, in Permanenz so massiv«, stand kürzlich in der Süddeutschen Zeitung. Das ist natürlich Quatsch.

Die Wahrheit lautet: Ein Sozialdemokrat ist ein Sozialdemokrat ist ein Sozialdemokrat. Dass seine Regierung nicht erst seit gestern eine Politik betreibt, mit deren Brutalität die CDU Mühe hat zu konkurrieren, ist ihm entweder wurscht oder noch gar nicht aufgefallen. Die Agenda 2010 hat er bedingungslos abgenickt. Der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete muss so wenig domestiziert werden wie ein Hauskätzchen und kann so wenig entpersönlicht werden wie ein Zombie. Mit Nein zu stimmen, ist ihm wesensfremd, zumindest suspekt, es könnte ärgerlicherweise gar für einen Moment den Betrieb stören und im allerschlimmsten Fall eine zweite Abstimmung nötig machen.

Auf ein Nein ist der gewöhnliche Sozialdemokrat nicht programmiert, sonst wäre er keiner geworden. Seinem ganzen Wesen nach ist er personifiziertes Einverständnis, fleischgewordener Kompromiss. Sein Abgeordnetendasein verbringt er fast ausschließlich im Wachkoma. Was er am besten kann und wofür er angestellt ist, ist Ja sagen.

Das unterscheidet ihn vom so genannten sozialdemokratischen »Abweichler«, der das kunstvolle Jein liebt, das er nahezu mit Perfektion handhabt und das ihm stets ermöglicht, gerade deshalb schweren Herzens einer Sache zuzustimmen, weil er sie im Grunde ganz und gar ablehnt. Niemals würde er seine Überzeugung verraten. Nur wenn es für den Machterhalt unbedingt sein muss.

Es ist dies eine über viele Jahrzehnte mühsam entwickelte und schon längst von den Grünen erfolgreich kopierte dialektische Politikform. Der »Abweichler« ist für die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, um weiterhin Flüchtlingen Zuflucht gewähren zu können, er stimmt für den Krieg, um den Frieden zu bewahren, und demnächst wird er für den Abbau des Sozialstaats votieren, um die soziale Gerechtigkeit im Land zu erhalten.

Der so genannte linke Sozialdemokrat ist, ohne sich dessen bewusst zu sein, der modernste Politikertypus im Kapitalismus: Wie alle seine Genossen ist er flexibel, elastisch, stufenlos verstellbar und jederzeit anpassungsfähig und zustimmungsbereit. Im Gegensatz zu ihnen gibt er sich erfolgreich den Anschein, eine Meinung zu haben, hat aber in Wirklichkeit mindestens zwei, nämlich die von ihm vertretene und die von ihm geforderte, die auf wundersame Weise wieder zu einer werden, wenn es zur Abstimmung kommt.

Dann stimmt er nur deshalb mit Ja, weil er es gut meint und das Schlimmste verhindern will. Seinen Widerstand gegen die unsozialen Maßnahmen seiner Partei demonstriert er, indem er seine Zustimmung bis zum letzten Moment hinauszögert. Eine seit je verwendete ursozialdemokratische Widerstandspraktik.

Der »Abweichler« hat sogar eine kongeniale eigene Redeweise für sich erfunden, die es ihm ermöglicht, Renitenz zu simulieren, bevor er erwartungsgemäß sein uneingeschränktes Einverständnis ausspricht. »Mein Ziel ist es nicht, mit Nein zu stimmen«, sagte kürzlich der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete und »Reformkritiker« Fritz Schösser in mustergültig verschraubter Jeinsagetechnik.

Gleich zwei Verneinungen bemüht er, nur um das Ja, das ihm auf der Zunge liegt, noch nicht aussprechen zu müssen.