Mann in Not

Reform und Krise in Italien von federica matteoni

Nicht nur als Balladensänger wusste Silvio Berlusconi das Sommerloch zu überbrücken. Regelmässig provozierte er mit Beleidigungen (»Richter sind alle geistesgestört«), revisionistischen (»Mussolini hat niemanden umgebracht«) und schlicht peinlichen Äußerungen (»Ist mir rausgerutscht, ich war besoffen«) die Öffentlichkeit.

Doch auf Provokationen beziehungsweise auf spektakuläre Offenbarungen seiner medialen Allgegenwart scheint der Ministerpräsident »aller Italiener« nicht verzichten zu können. In einer Rede, die Anfang vergangener Woche gleichzeitig von den drei staatlichen Fernsehsendern ausgestrahlt wurde, hat er nun den Italienern die Rentenreformpläne seiner Regierung präsentiert.

Da eine solche Fernsehansprache in der Regel nur in Notsituationen gerechtfertigt ist, hatte man eine offizielle Stellungsnahme zum landesweiten Stromausfall erwartet. Aber nein. Berlusconi ließ es sich nicht nehmen, seinen italienischen »Freundinnen und Freunden« persönlich die »notwendige, faire und weise« Reform zu erläutern.

Die geplanten Eingriffe, vor allem bei den Renten, sollen die Einhaltung des Stabilitätspakts garantieren. Das Haushaltsgesetz soll durch Korrekturmaßnahmen im Volumen von 16 Milliarden Euro das Haushaltsdefizit auf 2,2 Prozent beschränken. Die Zahl der Beitragsjahre wird demnach ab 2008 von bisher 35 auf 40 Jahre angehoben, denn ohne eine längere Lebensarbeitszeit, so Berlusconi, bekäme das staatliche Rentensystem »ernste Probleme«.

Die Reaktion der Gewerkschaften ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am folgenden Tag kündigten sie in einer gemeinsamen Erklärung einen »heißen Herbst« an, der mit den Protesten anlässlich der Regierungskonferenz zur Verabschiedung der EU-Verfassung schon am vergangenen Wochenende startete und mit einem vierstündigen Generalstreik am 24. Oktober seinen vorläufigen Höhepunkt finden soll. Doch nicht nur um das Rentensystem geht es, das Ziel heißt nun: »Berlusconi verjagen«.

Die Rentenreform setzt Berlusconis Regierung unter Druck. Schon 1994 scheiterte er an den massiven Gewerkschaftsprotesten gegen Renteneinschnitte sowie am Bruch mit der rechtspopulistischen, separatistischen Lega Nord von Umberto Bossi. Mit ihm muss sich Berlusconi auch nun wieder auseinander setzen. Die Mitte-Rechts Koalition leidet unter einer strukturellen Krise: Immer deutlicher wird, dass das »Haus der Feiheiten« nie eine politische Koalition war, sondern ein Parteienkartell unvereinbarer Kulturen und höchst unterschiedlicher Ziele. Die Lega Nord probt den Aufstand, ihre anti-systemischen, anti-europäischen und sezessionistischen Positionen untergraben die Koalition.

In den letzen Wochen sorgte Bossi erneut für Krach mit der christdemokratischen Koalitionspartei UDC. Die neue Hauptstadt Italiens solle Mailand werden, Rom sei von den Christdemokraten verdorben worden, welche man ohnedies nach dem Ende der ersten Republik »an die Wand hätte stellen müssen«. Bei seiner Stammwählerschaft im reichen Norditalien dürfte er damit offene Ohren finden.

Berlusconi hingegen will eine Trennung von Bossis Lega Nord unbedingt vermeiden. Doch seine Zugeständnisse an den ewig quengelnden Partner werden ihm von den anderen Koalitionsparteien verübelt, wie am vergangenen Mittwoch die Schlappe bei einer Abstimmung zeigte, die die Verabschiedung eines umstrittenen Mediengesetzes wesentlich erschwert hat.

Allein die EU-Ratspräsidentschaft sichert derzeit noch die Existenz der Koalition, dies zumindest geben die »ruhigeren« Koalitionspartner die postfaschistische AN und die UDC, zu verstehen. Mit einem kühlen Herbst ist sicher nicht zu rechnen.