Die Tiger bleiben hungrig

Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist vorerst beendet. Doch die tamilischen LTTE boykottieren derzeit die Verhandlungen, und sinhalesische Nationalisten mobilisieren gegen das Friedensabkommen. von walter keller, jaffna

Ponnambelam Rajasingham ist mit seiner Frau Yoga und den drei Söhnen schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres in seine alte Heimat gereist. Dieser Tage trifft man die Familie, alle im Besitz eines deutschen Passes, regelmäßig am frühen Abend im Nallur Tempel, dem wichtigsten Hindu-Heiligtum in der Tamilenhochburg Jaffna im Norden Sri Lankas. Hunderte von Gläubigen haben sich hier zur Puja eingefunden, dem hinduistischen Gottesdienst.

Rajasingham ist 45 Jahre alt und lebt mit seiner Familie seit 15 Jahren in einer Kleinstadt in der Nähe von Düsseldorf. Er kann sich eine solche Reise sowohl unter wirtschaftlichen als auch politischen Aspekten leisten. Wirtschaftlich zählt er zu denen, die sich aus der 50 000 Menschen zählenden tamilischen Flüchtlingsdiaspora in Deutschland abheben. Schon vor vielen Jahren hat er sich als Dolmetscher selbstständig gemacht und verdient »gutes Geld«, wie er selber meint. Politisch hat er zumindest derzeit nichts in seiner alten Heimat zu befürchten, die er 1988 wegen politischer Verfolgung verließ.

Jetzt macht er Urlaub mit seiner Familie in einem kriegszerstörten Teil der Tropeninsel, wo er Kindheit und Jugend verbracht, seine Frau getroffen und geheiratet hat und wo der erste Sohn Santush geboren wurde. Aber ganz zurückzukehren, nein, das kann er sich nicht vorstellen. »Wir leben ziemlich deutsch«, meint er, »vor allem wachsen unsere Kinder als Deutsche auf. Die wollen in Deutschland bleiben.« Und dann sei da auch noch der Sicherheitsaspekt. Ob Tamilen und Sinhalesen zu einem dauerhaften Frieden bereit sind, dafür möchte er sich lieber nicht verbürgen.

Beim Flanieren durch die Stadt hebt sich Familie Rajasingham optisch von den anderen Passanten ab. Die Fünf sind anders gekleidet als einheimische Tamilen, Frau Yoga hat einen Fotoapparat um den Hals, die Kinder nehmen oft etwas ängstlich das rege Treiben auf den Straßen wahr. Etliche neue Geschäfte sind jüngst in Jaffna eröffnet worden, die Stadt wird mit Waren aus Colombo fast überflutet. Coca-Cola an jeder Ecke, Lebensmittelläden und Textilgeschäfte mit reichhaltigem Angebot, Gaskocher, Waschmaschinen und Kühlschränke haben in einem Gebiet Einzug gehalten, wo es bis vor kurzem keine Stromversorgung gab und Kerzen oder Batterien auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurden.

Busse, Lkw, motorisierte Rikschas, Motorräder und zahllose Fahrräder machen es den Fußgängern nicht leicht, unbeschadet über die Straße zu kommen. Aber das geschäftige Treiben täuscht. So richtig voran geht es weder in Jaffna noch in den anderen Gebieten im Nordosten, wo 20 Jahre lang Bürgerkrieg herrschte. Mindestens 80 000 Menschen haben während dieser Zeit ihr Leben gelassen und Hunderttausende wurden zu Flüchtlingen – so wie Rajasingham.

»Als der Friedensprozess vor eineinhalb Jahren begann, waren wir sehr optimistisch, dass die zerstörte Wirtschaft unserer Region mit Unterstützung der Geschäftsleute aus dem Süden wieder angekurbelt werden könnte«, erzählt Markadu Ramadasan, der Präsident der Industrie- und Handelskammer Jaffnas. Zahlreiche Wirtschaftsdelegationen aus dem Süden, meist Angehörige der sinhalesischen Mehrheitsbevölkerung, seien nach Jaffna gereist. Investiert habe aber bisher niemand von ihnen. Die Wirtschaft reflektiere die politische Lage. Die sei noch zu unübersichtlich, alle scheuten das Risiko, Investitionen durch einen erneuten Kriegsausbruch zu verlieren.

Auch der Wiederaufbau der zerstörten Zement-, Glas-, Aluminium- und chemischen Industrie sowie der in Jaffna in Vorkriegszeiten florierenden Handwebereien lässt auf sich warten. Mit Handel allein, der vor allem durch Überweisungen der etwa 700 000 im Ausland lebenden tamilischen Flüchtlinge an die Verwandten belebt wird, können die Wirtschaftsprobleme nicht gelöst werden. Er bringt der Bevölkerung und den vielen aus anderen Landesteilen zurückkehrenden Flüchtlingen keine dauerhaften Vorteile und nur wenige neue Arbeitsplätze.

Deren Schaffung wird noch durch die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) behindert. Die Tigers erheben ihre eigenen Steuern auf nahezu alle Produkte, die zuvor schon vom Staat besteuert wurden. So warten die meisten Menschen auch 20 Monate nach der Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens zwischen der Regierung und den LTTE weiterhin auf die ihnen versprochene »Friedensdividende«. »Für die meisten hat sich die wirtschaftliche und soziale Lage kaum verändert«, meint Sathivale Balakrishnan, der Programmdirektor des National Peace Councils (NPC), und fürchtet, dass aus der stagnierenden Wirtschaft ernsthafte Gefahren für den weiteren politischen Verhandlungsprozess erwachsen könnten.

Geld wäre eigentlich reichlich vorhanden, nachdem von Regierungen und internationalen Organisationen bei einer Konferenz in Japan im Juni dieses Jahres 4,5 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau zugesagt wurden. Noch kann jedoch von den Milliarden kaum etwas abgerufen werden. Einerseits fehlen die Strukturen für die sinnvolle Nutzung des Geldes, andererseits ist der Friedensprozess seit April unterbrochen, weil die LTTE wegen der Enttäuschung über den bisherigen Verhandlungsprozess »vorübergehend« nicht mehr mit der Regierung diskutieren wollen. Zuvor hatten sechs Verhandlungsrunden auf neutralem Boden in Bangkok, Oslo und Berlin hohe Erwartungen aufkommen lassen.

Erschwert wird eine Wiederaufnahme der unterbrochenen Gespräche mittlerweile noch durch die Forderung der LTTE nach der Übernahme der Verwaltungsgeschäfte für die Nordost-Gebiete. Den LTTE, die in den von ihnen bereits jetzt kontrollierten Regionen über parallele Regierungs- und Verwaltungsstrukturen verfügen, geht es dabei sowohl um eine weitere Anerkennung als gleichwertige Verhandlungspartner als auch um eine bessere Kontrolle der riesigen Geldsummen, die vom Ausland angeboten werden, um den Friedensprozess abzusichern, die Wirtschaft anzukurbeln und die vielen hunderttausend Flüchtlinge in ihre Heimatgebiete zurückzuführen. Hierbei wollen die Tigers nicht nur ein entscheidendes Wort mitreden, sie wollen auch sicherstellen, dass der Großteil dieses Geldes, von ihnen kontrolliert, in den Nordosten fließt und nicht in der Verwaltung des Südens, das heißt in den mehrheitlich sinhalesischen Gebieten, versickert.

So ist die Diskussion über eine »temporary administration« einerseits zu einem weiteren Stolperstein für die Fortführung der Verhandlungen geworden, andererseits wurde sie für eine Reihe sinhalesischer Hardliner zum Reizwort. Sie verurteilen sowieso den ganzen Friedensprozess, würden am liebsten das Waffenstillstandsabkommen aufgekündigt und die LTTE militärisch bekämpft sehen. In den letzten Wochen ist wieder einmal die radikale sinhalesische Janatha Vimukti Peramuna (JVP) in die Offensive gegangen, die immerhin über 16 Sitze im Parlament verfügt. Unterstützt von ihrem vorwiegend jugendlichen Anhang wird Stimmung gegen Zugeständnisse gemacht. Eine Verwaltung in den Händen der LTTE sei der Anfang vom Ende des Einheitsstaates Sri Lanka und ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Teilung der Insel. Bei dieser Art von Protest wird schlichtweg unterschlagen, dass die LTTE schon vor etlichen Monaten ihre Forderung nach einem eigenen Tamilenstaat aufgegeben und einer föderalen Lösung mit weit reichender Autonomie für die Tamilengebiete zugestimmt haben. Ähnliche Proteste laufen über verschiedene Organisationen des buddhistischen Klerus. Die Mönche haben, mit wenigen Ausnahmen, schon in der Vergangenheit eine eher unrühmliche Rolle in diesem Konflikt gespielt und einer Lösung im Wege gestanden.

So sieht sich Premier Ranil Wickremesinghe, der sich zudem noch mit Präsdentin Chandrika Kumaratunga-Bandaranaike auseinandersetzen muss, die den Friedensprozess gerne anders gestalten würde, von verschiedensten Seiten heftig unter Druck gesetzt. Seine Regierung, die nach wie vor eine Verhandlungslösung will, sieht sich einerseits den Forderungen der LTTE gegenüber und weiß, dass nur ein weiteres Nachgeben in deren Richtung eine Wiederaufnahme der Verhandlungen ermöglicht. Andererseits ist dem Premier klar, dass weitere Zugeständnisse an die LTTE die radikalen sinhalesischen Parteien und Gruppierungen dazu motivieren, den mehrheitlich sinhalesischen Süden mit Protesten zu überziehen.

Bisher hat Wickremesinghe die Aktionen der Gegner seiner Versöhnungspolitik entweder ignoriert oder aber zu relativieren versucht und die Flucht nach vorne angetreten. Dies wird ihm von den Tamil Tigers nicht leicht gemacht. Sie nutzen anscheinend die derzeit unübersichtliche Lage, um mit politischen Gegnern der Vergangenheit abzurechnen. So wird ihnen vorgeworfen, während der vergangenen Wochen mehrere Dutzend Personen, überwiegend Tamilen und Muslime, ermordet zu haben.

Noch spielt die Regierung solche Ereignisse in auffälliger Weise herunter. Premier Wickremesinghe hat das alles nicht davon abgehalten, den tamilischen Rebellen mehrere Angebote zu unterbreiten, wie man sich ihre stärkere Einbindung in die Verwaltung der Nordost-Gebiete vorstellt. Bisher ohne positives Ergebnis. Im Oktober wollen die LTTE nunmehr mit eigenen Vorschlägen aufwarten und sie der Regierung präsentieren. Beobachter rechnen damit, dass sie die Grundlage für die Wiederaufnahme der Friedensgespräche möglicherweise schon Ende Oktober sein könnten. Und nur dann werden die vielen Milliarden fließen, die Sri Lanka für den Wiederaufbau zugesagt worden sind.