Kriminelle Vereinigung

Berlusconis Korruptionsaffären von federica matteoni

»Dear Mr. Berlusconi …«, so freundlich lautet der erste Satz eines offenen Briefes, der Anfang August den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi erreichte. Absender: die britische Wochenzeitung The Economist. Im Untertitel drückt jedoch der Herausgeber, Bill Emmott, seine weniger freundlichen Absichten deutlich aus: »Unsere Herausforderung an Italiens Ministerpräsident«.

Mit 28 Fragen fordert der Economist Berlusconi dazu auf, zu den gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfen öffentlich Stellung zu nehmen, nicht vor Gericht, aber vor der öffentlichen Meinung.

Die Vorwürfe reichen von illegaler Parteifinanzierung bis zur Bilanzfälschung, aber im Mittelpunkt des britischen Dossiers steht die so genannte SME-Affäre. Im Juni stand Berlusconi wegen des Vorwurfs vor Gericht, in den achtziger Jahren im Zusammenhang mit dem Verkauf des staatlichen Lebensmittelkonzerns SME Richter bestochen zu haben. Doch dank eines vom Parlament in aller Eile verabschiedeten Gesetzes, das den fünf höchsten Staatsämtern Immunität garantiert, wurde der Prozess schon am zweiten Tag gestoppt.

Einem Prozess nicht entziehen konnte sich Cesare Previti, ehemaliger Anwalt, enger Berater von Berlusconi und Verteidigungsminister seiner ersten Regierung. Im vergangenen April wurde Previti, der nicht zu den fünf höchsten Vertreter des Staates zählt und daher nicht, wie neuerdings der italienischen Premier, das Privileg der Immunität genießt, wegen Richterbestechung bei dem Verkauf des Verlagshauses Mondadori zu elf Jahren Haft verurteilt. Berlusconis Fininvest-Konzern erhielt damals den Zuschlag. In diesem Zusammenhang lief auch gegen den Ministerpräsidenten ein Verfahren, das aber damals wegen Verjährung eingestellt wurde.

Anfang letzter Woche haben die Mailänder Richter, von Berlusconi & Co gern als »rote Roben« beschimpft, die Urteilsbegründung des Previti-Prozesses veröffentlicht. In den über 500 Seiten seien die Beweise »des größten Korruptionsskandals in der italienischen Geschichte und vielleicht in der ganzen Welt« enthalten, so die Mailänder Richter. »Es handelte sich um ein ganzes System, in dem Korruption zum Lebensstil erhoben wurde«.

Dass Berlusconi von den illegalen Methoden, die Previti zum Vorteil seines Unternehmens in den achtziger und neunziger Jahren anwandte, nichts wusste, erscheint heute immer weniger glaubwürdig. Und dass er sich »dem Gericht der öffentlichen Meinung« stellt, wie der Economist fordert, ist noch unwahrscheinlicher. Berlusconis Theorie von der Verschwörung der »roten Roben« fängt an zu wanken, sollte man meinen.

Doch die erste Reaktion auf die Bekanntmachung der Urteilsbegründung kam schon am Freitag. Berlusconi und seine Partei wollen mit einer parlamentarischen Untersuchungskommission prüfen, ob es unter Richtern und Staatsanwälten eine »kriminelle Vereinigung mit dem Ziel gibt, die demokratischen Institutionen des Landes zu stürzen«.

Eine erste, beunruhigende Antwort auf die Fragen des Economist haben Emmott und die Öffentlichkeit also schon bekommen.