Krieg für den Markt

Die Warlordisierung stellt die Regeln des kapitalistischen Weltmarkts in Frage. Deshalb sollen westliche Interventionen die Kontrolle über zerfallende afrikanische Staaten wieder herstellen. von alex veit
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Die Schutztruppen sind zurück. Drei US-Kriegsschiffe liegen derzeit vor Liberias Hauptstadt Monrovia – vom Land aus nicht zu sehen, doch in der politischen Ökonomie des Bürgerkriegs trotzdem präsent. Die US-gestützte Intervention der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas in Liberia, die am Montag der vergangenen Woche begonnen hat, ist bereits die dritte militärische Einmischung eines westlichen Staats in Westafrika in den letzten vier Jahren.

Hinzu kommt die EU-Truppe in der Demokratischen Republik Kongo, die seit einigen Monaten in den Straßen der Provinzhauptstadt Bunia patrouilliert. Der Westen greift militärisch in die gescheiterten postkolonialen Projekte des Kontinents ein. Afrika ist wieder eine Spielwiese der Großmächte: als Objekt eines militärisch interpretierten »humanitären« Engagements.

Als der britische Premierminister Anthony Blair im Jahr 2000 Truppen nach Sierra Leone schickte, hielten dies die meisten Beobachter für eine einmalige Ausnahme westlicher Interventionspolitik. In Sierra Leone stand die 17 000 Soldaten starke Uno-Interventionstruppe vor dem Scheitern, nachdem eine Rebellenmiliz hunderte sambische Blauhelmsoldaten in Geiselhaft genommen hatte. Blair rettete die Uno vor einem Desaster, das wohl das Ende der Blauhelminterventionen bedeutet und die Uno auf absehbare Zeit auf den Status einer bloßen Hilfsorganisation ohne politisch-militärische Einflussmöglichkeiten reduziert hätte.

Doch eigentlich kamen militärische Interventionen in afrikanische Bürgerkriege seit 1993, nach dem spektakulären Scheitern des Einsatzes in Somalia, weder im Weißen Haus noch in anderen westlichen Regierungssitzen mehr in Frage. Sogar Frankreich, das große Teile des Kontinents als seine Einflusssphäre versteht, zog sich zurück und schloss die meisten seiner militärischen Einrichtungen in Afrika. Der Kontinent war nicht mehr nur ökonomisch marginal, sondern nach dem Ende des Kalten Kriegs auch militärstrategisch ohne Belang. Stattdessen lieferten sich Frankreich und die USA eine begrenzte Konkurrenz um Einfluss in rohstoffreichen Ländern, ohne allerdings in diese Politik zu investieren. Die Afrika-Politik wurde in einem gewissen Sinn sogar privatisiert, indem Wirtschaftsunternehmen und, in der Entwicklungspolitik, den NGO weitreichende Autonomie gewährt wurde.

So unterstützte die US-Firma American Mineral Fields (AMF) die militärische Machtübernahme von Laurent Kabila in der Demokratischen Republik Kongo 1997 finanziell und logistisch, um im Gegenzug lukrative Bergbaukonzessionen zu erhalten. Die Clinton-Regierung, aus der einzelne Mitglieder mit AMF-Managern befreundet waren, beobachtete dies durchaus wohlwollend. Doch als Kabila sich als notorisch unzuverlässiger Geschäftspartner erwies und AMF schließlich aus dem Land warf, war es auch egal. Die US-Regierung bemühte sich nicht einmal, eine Konfrontation zwischen angolanischen und ruandischen Truppen im Kongokrieg zu verhindern, obwohl die USA zu beiden Staaten gute Beziehungen haben.

Frankreich, etwas konzentrierter und vielleicht deshalb auch erfolgreicher bei der Sache, schickte im selben Jahr den Ölkonzern Elf vor, um in der Republik Kongo-Brazzaville bei der militärischen Re-Installierung des Diktators Denis Sassou-N’Guesso zu helfen. Der gewählte Präsident Pascal Lissouba hatte zuvor die Ölförderung für nicht französische Konzerne geöffnet.

Diese begrenzte Privatisierung der Außenpolitik, in der die Wahrnehmung staatlicher Interessen Wirtschaftsunternehmen überlassen wurde, war keine langfristige Strategie, sondern Ausdruck der weitgehenden Interesselosigkeit an Afrika. Auf die Frage, welche Rolle Afrika in seiner Regierung spielen würde, antwortete George W. Bush während der Wahlkampagne 2000, dass der Kontinent »nicht in das nationale strategische Interesse passt, soweit ich das sehen kann«.

Die gleiche Einschätzung galt lange auch für Großbritannien, doch Anthony Blair verwarf diese Sicht bereits ein Jahr bevor Bush Präsident wurde, indem er die Intervention in Sierra Leone befahl. Der UN-Rettungseinsatz war der Showcase seiner »ethischen« Außenpolitik, mit der die Blair-Regierung eine tragende Rolle auf dem internationalen Feld zu spielen gedachte. Großbritannien hatte lange keine eigenen außenpolitischen Akzente mehr gesetzt. Im Golfkrieg von 1991 war das Land Statist geblieben, und in der Jugoslawienpolitik konkurrierte man mit Frankreich und Deutschland um die führende Rolle innerhalb der EU. Afrika, das immerhin einmal zu großen Teilen britisches Kolonialgebiet gewesen ist, aber unter Blairs Vorgängern keine Priorität hatte, geriet in sein Blickfeld. Er übernahm rhetorisch die Idee der Schuldenreduzierung für die ärmsten Staaten, suchte die Konfrontation mit Zimbabwes Präsident Robert Mugabe, der zum Monster stilisiert wurde, und half schließlich der Uno im kleinen überschaubaren Sierra Leone.

Dabei war Blair aber nicht bereit, sich in die Strukturen der Uno einbinden zu lassen. Die britischen Truppen agierten »robuster« als die Blauhelme und waren nicht dem Uno-Kommando unterstellt. Von Beginn an war der Einsatz auf Kurzfristigkeit ausgelegt. Nachdem die Rebellen von den britischen Elitesoldaten zur Aufgabe gezwungen worden waren, übernahmen wieder die kostengünstigen Uno-Blauhelme aus Ländern wie Bangladesch und Bolivien die wenig schlagzeilenträchtige Aufgabe der längerfristigen Friedenssicherung. Dieses Muster eines kurzen, aber entschlossenen Einsatzes kopierte die französische Regierung in Côte d’Ivoire und im Kongo, und auch in Liberia soll ab Oktober eine UN-Blauhelmtruppe den von den »robusten« Ecowas-Truppen mit Hilfe der USA hergestellten Frieden sichern.

Der Einsatz in Sierra Leone war für Blair eine Bühne, auf der er sich weltpolitisch profilieren konnte, ohne sich von den USA, der EU oder der Uno hineinreden lassen zu müssen. Der französische Präsident Jacques Chirac hat dabei gut aufgepasst. Seitdem er mit der gaullistischen Regierung an seiner Seite außenpolitisch ungestört agieren kann, verkauft er sich, zuletzt beim G 8-Gipfel in Evian, wie Blair zuvor, als Fürsprecher der Armen und Oberbefehlshaber einer militärischen Macht, dem der Weltfrieden am Herzen liegt. Nicht zufällig wurde der seit langem andauernde Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo wenige Wochen nach dem Irak-Streit zu einem akuten Genozid stilisiert. Plötzlich war die EU bereit, Soldaten zu entsenden, nachdem zuvor die Uno-Mission Monuc jahrelang finanziell wie personell völlig unzureichend ausgestattet worden war.

Sind die westlichen Interventionen also nur Profilierungsmöglichkeiten für zweitrangige Regierungschefs? Nicht mehr. Auch in den USA scheint die kurze Phase der »privatisierten« Afrikapolitik vorbei zu sein. Es ist aber wohl kein Zufall, dass der Sozialdemokrat Blair als erster den Zerfall staatlicher Ordnungen und die Entstehung von Gewaltmärkten auch in entfernten Regionen als Gefahr für die eigenen Interessen erkannt hat.

Mafiöse Netzwerke, die in Kriegsgebieten zugleich Unterschlupf und Handelswaren finden, agieren längst global und bedrohen schon jetzt die Kontrollmöglichkeiten westlicher Staaten etwa im Diamantenhandel. Staatsfreie Räume bieten auch Netzwerken ohne die ideologische Kohärenz von al-Qaida die Möglichkeiten, ohne Furcht vor Sanktionen durch das internationale Staatensystem Handel mit Drogen, Waffen, Falschgeld, Luxusgütern und einigen Rohstoffen zu treiben.

Die meisten dieser Güter erzielen ihren ökonomischen Wert in den industrialisierten Staaten und damit in der ureigenen Domäne westlicher Regierungen. In den Bürgerkriegsgebieten Afrikas (und auch anderswo) entstehen keine machtfreien Territorien. Anders als Regierungen können die dort entstehenden informellen Strukturen aber nicht durch IWF-Programme oder andere Instrumente des Staatensystems zur Räson gebracht werden. Warlords und informelle Handelsnetze sind für die westlichen Staaten eine Bedrohung, weil sie qua Definition von der Unterwanderung des »legitimen« Handels mit den Industriestaaten leben.

Deshalb hat die rhetorische Figur von Kriegsführung als »Polizeiaktion« durchaus Sinn. Es geht dabei nicht um den Schutz von Bevölkerungen, sondern um die Aufrechterhaltung minimaler Kontrollstandards innerhalb des globalen Markts. Wiederum ist Sierra Leone dafür ein Modell. Inzwischen ist das Land zum Objekt eines entwicklungspolitischen Masterplans geworden. Großbritannien reorganisiert mit Hilfe entsandter Experten Polizei und Armee und lenkt gemeinsam mit IWF und Weltbank indirekt die Neustrukturierung der Wirtschaft und besonders des Diamantenbergbaus. Die Souveränität der Regierung Sierra Leones ist weitgehend eingeschränkt. Der Einsatz der recht großzügig bewilligten Entwicklungsgelder – immerhin 650 Millionen Dollar in den nächsten vier Jahren und damit ein Großteil des staatlichen Budgets – wird streng kontrolliert. Alle zwei Monate muss die Regierung gegenüber den Gebern Rechenschaft ablegen. Die britischen Elitesoldaten ermöglichten durch einen kurzen Einsatz die Rekonstruktion von Staatlichkeit, die nun von kostengünstigen Blauhelmen und westlichen »Experten« überwacht wird.