Palmzweige und Tränengas

Die nigerianische Regierung erhöhte den Benzinpreis und sieht sich kurz nach den Wahlen mit einem Generalstreik konfrontiert.

Der Regen lässt nach. Dort, wo eben noch ein Kühlschrank, Sandalen und Unrat in einer braunen Brühe vorbeitrieben, durch die wenige, die es ganz eilig hatten, wateten, wird der Verkehr wieder lebhafter. Händler verlassen mit abenteuerlich beladenen Fahrzeugen aller Art den Markt von Aba, ans Geschäft ist nach einem derartigen Guss nicht mehr zu denken. Aus der Tür eines ramponierten Minibus-Taxis ruft ein junger Mann auf der Suche nach Kunden das Fahrziel aus: »Park, Park, Park!« Jeder beeilt sich einzusteigen, der Conductor hilft nach: »Enter! Enter!«

Als es ans Kassieren geht, kommt es zum Streit. Nicht wie üblich dreißig, sondern vierzig Naira will der stämmige Mann mit der abgewetzten Basecap jetzt von jedem der Fahrgäste sehen. Die junge Frau auf dem Beifahrersitz dreht sich zu ihm, diskutiert nur kurz und schlägt ihm laut fluchend mit der Faust ins Gesicht. Noch einmal. Noch einmal. Der Bus hält, man steigt aus. Das Spektakel zieht Umherstehende an, es wird geschlichtet, diskutiert, Partei ergriffen. Zeit zu gehen.

Seit der Ankündigung der nigerianischen Regierung, die staatlich regulierten Preise für Benzin und Kerosin um 50 Prozent auf 40 bzw. 38 Naira (26 Eurocent) zu erhöhen, liegen an den Bushaltestellen die Nerven oft blank. Noch sollte Treib- und Brennstoff zum alten Preis erhältlich sein, doch die Transportunternehmen nutzen bereits die Chance, ihr Einkommen aufzubessern. Fast täglich müssen die Leute tiefer in die Tasche greifen für den Weg zur Arbeit oder die Einkäufe auf dem Markt.

In Port Harcourt wird Öl verladen und raffiniert, doch auch hier ist der einzige Nutzen der Ölwirtschaft für die Mehrheit der Bevölkerung der niedrige Preis für Treibstoff. Für die Regierung dagegen sind die Subventionen eine Belastung. Ihr Abbau soll ein Zwischenschritt auf dem Weg zur völligen Liberalisierung des staatlich regulierten Ölmarktes sein. Mit der eilig und ohne wirkliche Konsultation durchgebrachten Entscheidung hofft man, die Beziehungen zu den internationalen Finanzorganisationen zu verbessern, die sich bisher wenig beeindruckt zeigen von der wirtschaftlichen Bilanz der Regierung. Von konkreten Maßnahmen, wie die Teuerung für diejenigen 90 Prozent der Nigerianer ausgeglichen werden soll, die laut Human Development Report mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen müssen, ist nichts bekannt. Der Gewerkschaftsverband Nigeria Labour Congress (NLC) hat zum unbefristeten Generalstreik aufgerufen.

Die Streikenden werden von Tag zu Tag zahlreicher, nicht zuletzt deshalb, weil der Nahverkehr zusammengebrochen ist. Die Banken und die größeren Geschäfte bleiben entweder geschlossen oder lassen Kunden nur durch die Hintertür ein. Area Boys, Gangs von jungen Männern ohne jede Aussicht auf einen einigermaßen gut bezahlten Job, patroullieren, um die Einhaltung des Ausstandes notfalls handfest durchzusetzen.

Palmzweige sind dieser Tage in Port Harcourt ein unverzichtbares Utensil. Die wenigen Fahrzeuge, die sich sonst durch verstopfte Straßen der Stadt quälen, haben das Grünzeug an ihrer Frontscheibe befestigt, um ihre Solidarität mit dem Ausstand zu bekunden. So hofft man, unbeschadet die Straßensperren der Streikposten passieren zu können. Aus Abuja und Lagos melden die Zeitungen Polizeiübergriffe, es soll vier Tote, hundert Verletzte und willkürliche Festnahmen, auch in der Gewerkschaftsspitze, gegeben haben.

Im staatlichen Fernsehen ist das kein Thema. Die Sprecherin der abendlichen Nachrichten bringt allerlei Gründe vor, nach denen der Streik illegal sei. Mit penetranter Regelmäßigkeit wird die Sendung von einem Spot der Regierung unterbrochen, in dem die Liberalisierung des Ölmarktes als Lösung für so ziemlich jedes Problem gepriesen wird.

90 Prozent der Exporteinnahmen bezieht die Regierung aus den Geschäften mit den reichhaltigen Erdölvorkommen. Der Staat ist an den meisten Ölfirmen, die vor allem im Niger-Delta tätig sind, mit 55 Prozent beteiligt. Den Rest der Anteile halten multinationale Konzerne wie Shell, Chevron und Elf. Der Besitz staatlicher Macht auf allen Ebenen verspricht in Nigeria seit der Explosion des Petrobusiness Anfang der siebziger Jahre auch immer den Erwerb der mit diesem Wirtschaftszweig verbundenen enormen Renten.

Die vier Raffinerien des Landes arbeiten meist weit unter ihrer Kapazität, obwohl in den vergangenen Jahren große Summen in ihre Instandsetzung investiert wurden. So muss ein Großteil des Bedarfs an Diesel und Benzin importiert werden. Die Gewerkschaften beschuldigen mächtige Interessengruppen, die Sanierung der Raffinerien zu sabotieren, um weiterhin kräftig am Importgeschäft verdienen zu können. Treibstoff ist nicht selten nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich, zu Preisen, die den staatlich festgelegten Betrag deutlich übersteigen.

Der Übergang zur Zivilherrschaft 1999 hat an der Korruption und dem Zugriff der Oligarchie auf die Öleinnahmen nichts geändert. Im Frühjahr 2003 ließ sich Präsident Olusegun Obasanjo im Amt bestätigen (Jungle World, 19/03), bei den Wahlen konnte seine People’s Democratic Party (PDP) auch ihre Stellung in den Bundesstaaten der Föderation ausbauen. Beobachter sprachen jedoch von weit verbreiteten Manipulationen, in manchen Regionen des Niger-Deltas haben die Wahlen schlicht nicht stattgefunden.

Die Regierung genießt wenig Vertrauen, die Stimmung ist gespannt, Gerüchte kursieren. In der Nähe des Mile 3-Marktes sei ein Polizist zu Tode geprügelt worden, heißt es. Die Tageszeitung Punch berichtet später, er sei durch »friendly fire« gestorben. Ein Augenzeuge spricht von Straßenkämpfen zwischen Demonstranten und der Polizei in der Innenstadt. Einige Leute wollen Schüsse gehört haben. Ein Transporter fährt vorüber, junge Männer werfen Flaschen herunter. Die Betreiber der kleinen Imbissstände und Geschäfte bringen vorsorglich ihr Angebot und das Mobiliar in Sicherheit. »Studenten«, meinen die Umstehenden.

Später erfährt man, dass Schüler und Studenten zuvor das PDP-Sekretariat besetzt und Bilder des Präsidenten zerstört hatten. Von der Polizei vertrieben, richteten sie ihre Wut dann gegen Regierungsfahrzeuge.

Die normalerweise ständig verstopfte Express Road, die ins Stadtzentrum führt, ist nahezu leer gefegt. Überall warten die Leute auf ein Gefährt, das sie wieder in die Vorstädte bringt. Eine Schulklasse wird von ihrem Lehrer begleitet. Ein paar Dutzend junge Männer schwingen Knüppel, schieben Baumstämme und ramponierte Verkehrsinseln auf die Straße. Sie nutzen die Gunst der Stunde, um Passanten Geld abzupressen. In Rufweite regelt eine Handvoll Polizisten in aller Ruhe und mit billigender Sympathie den verbliebenen Verkehr. Eine Einheit der Polizeigruppe mit dem Namen Fire for Fire taxiert einige hundert Meter entfernt angestrengt eine überschaubare Ansammlung von Menschen. Ein paar Straßen weiter liegt plötzlich Tränengas in der Luft. Dann setzt der Regen ein.

Am folgenden Tag bleiben auch die Tore des Geländes verschlossen, auf dem die Verwaltung des Shell-Konzerns für den östlichen Teil des Niger-Deltas angesiedelt ist. Die Gewerkschaft der Ölarbeiter verlangt von der Regierung, bis zum Ende der Woche eine Vereinbarung mit dem Dachverband zu schließen. Andernfalls will sie ihre Mitglieder auch zur Arbeitsniederlegung aufrufen.

Das ständige Motorengeräusch der Generatoren, die die wenigen besseren Gegenden der Stadt bei Stromausfällen mit Elektrizität versorgen, ist nur noch hier und da zu hören und kündet von den guten Geschäftsbeziehungen der Besitzer.