Neuer Versuch

Im vergangenen Jahr brannte in der Nähe von London das größte europäische Abschiebegefängnis nieder. Deswegen stehen nun mehrere Migranten vor Gericht. Bald soll das Lager wieder eröffnet werden. von angela hümer

Nur wenig Freude hatte die britische Regierung bisher an dem Abschiebegefängnis, das im November 2001 in der Nähe von London errichtet wurde. Bereits kurz nach der Eröffnung brannte das 120 Millionen Euro teure »Immigration Detention Centre Yarl’s Wood«, das größte seiner Art in Europa, zur Hälfte aus und musste geschlossen werden.

Das Gefängnis soll im Herbst wieder eröffnet werden, wenn die letzten Renovierungsarbeiten abgeschlossen sind. Bereits mehrere Male ist die Eröffnung bereits verschoben worden, da die Versicherungsprämien enorm gestiegen sind.

Obwohl die Brandursache nach offiziellen Angaben ungeklärt ist, läuft seit Ende April ein Prozess gegen mehrere ehemalige Insassen von Yarl’s Wood. Ihnen wird Brandstiftung und gewalttätiger Aufruhr vorgeworfen. Was genau passiert ist, konnte bislang nicht geklärt werden. Eine 55jährige Migrantin hatte sich damals dagegen gewehrt, in Handschellen zum Arzt gebracht zu werden. Sie wurde von Angehörigen des Sicherheitsdienstes zu Boden geworfen, es kam in dem Lager zu Tumulten. Wenig später brach das Feuer aus.

Zuerst bemühten sich die private Betreiberfirma von Yarl’s Wood, Group4, und die Polizei darum, das Gelände zu sichern. Erst mit großer Verzögerung wurde die Feuerwehr zum Brandherd gelassen, so lange mussten etliche Insassen um ihr Leben fürchten. Zum Zeitpunkt des Unglücks befanden sich 385 Flüchtlinge in Yarl’s Wood, entgegen offiziellen Angaben verfügten lediglich 46 von ihnen über einen Abschiebebescheid. Klar ist inzwischen, dass im Feuer keine Menschen umkamen. Einige Migranten konnten allerdings während des Durcheinanders fliehen und untertauchen.

Der Prozess gegen ehemalige Insassen soll offensichtlich von den Mängeln bei der Feuerbekämpfung, für die Group4 verantwortlich ist, ablenken. Auch die Feuerwehrgewerkschaft kritisiert, dass die Feuerwehr erst so spät eingelassen wurde. Bisher sieht es aber nicht so aus, als ob gegen Group4 jemals ein Prozess eröffnet wird. Stattdessen betreibt sie Yarl’s Wood weiter.

Group4 hat das Abschiebegefängnis gemeinsam mit einem Vertragspartner errichtet. Mit 900 Insassen sollte es das größte Abschiebegefängnis in Europa werden. Offiziell heißen diese Einrichtungen in Großbritannien »Removal Centres«. Dieser Begriff, so Alison Fenney vom Refugee Council, sei allerdings absolut irreführend, da die Mehrzahl der Insassen keineswegs Abschiebebescheide erhalten hat, sondern monate- oder jahrelang auf den Ausgang ihrer Verfahren warten muss. Zur sicheren Verwahrung der Flüchtlinge verfügt Yarl’s Wood über mehrere hundert Überwachungskameras sowie viereinhalb Meter hohe, mit einem Stacheldraht versehene Mauern. Inzwischen wurde die unversehrte Hälfte des Komplexes auch mit Sprinkleranlagen ausgestattet.

Group4 ist der zweitgrößte Sicherheitskonzern der Welt und in über 80 Ländern tätig. Der jährliche Umsatz beträgt etwa drei Milliarden Euro bei rund 230 000 Beschäftigten. Neben Wachdiensten z.B. im Europaparlament betreibt Group4 auch Gefängnisse und Flüchtlingsheime. Erst vor wenigen Monaten erhielten die Firma den Zuschlag für den Betrieb von Flüchtlingslagern in Australien. Eine Tochterfirma, das Australasian Correctional Management, betrieb das umstrittene und mittlerweile geschlossene Flüchtlingslager Woomera.

In dem Prozess gegen zwölf ehemalige Insassen, der jetzt in London läuft, wurden schon etliche kleinere Anklagepunkte fallen gelassen. Und zwei der Angeklagten wurden bereits aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Allerdings wurde einer der Freigelassenen sofort mit Handschellen gefesselt und nach Albanien abgeschoben. Zurzeit findet die Anhörung der Staatsanwaltschaft und ihrer Zeugen statt. Der Richter hat einen der Zeugen der Anklage bereits als unglaubwürdig entlassen. Beobachter berichten, dass die Beweislage der Anklage sehr schwach ist. Noch mindestens sechs Wochen soll der Prozess dauern.

Doch schon jetzt ist wahrscheinlich, dass die Angeklagten, auch wenn sie freigesprochen werden, sofort abgeschoben werden. Vor dem Prozess wurden sogar Zeugen der Verteidigung abgeschoben. Die Zeugen der Anklagen durften jedoch bleiben.

Inzwischen geht Group4 munter daran, neue Mitarbeiter für den Abschiebeknast zu rekrutieren. »Keine Erfahrung ist nötig, eine vorbildliche Ausbildung wird geboten«, steht in den Ausschreibungen und »Group4 sorgt für die Sicherheit und Ordnung in Yarl’s Wood und bietet eine sichere Umgebung«. Wie fragwürdig und komplex die Tätigkeit in Wirklichkeit ist, wird dabei in den Anzeigen unterschlagen. Aber die Pressesprecherin von Group4, Liz Alsop, erläutert, dass die neuen Mitarbeiter in siebenwöchigen Kursen u.a. lernen sollen, wie man jemanden festhält, ohne ihn und sich selbst zu verletzen.

Anlässlich der Mitarbeiteranwerbung veranstaltete die »Campaign against Detention in Yarl’s Wood« mehrere Demonstrationen. Viv Smith von der »Campaign« erläutert, dass es vor allem darum gehe, den Jobanwärtern klar zu machen, worauf sie sich einlassen. »Wir konnten in der Tat mit einigen kurz vor ihren Jobinterviews sprechen. Es ist offensichtlich, dass sie keine Vorstellung davon haben, wofür sie sich bewerben.« Für die Bewerber haben sie daher einen Fragenkatalog zusammengestellt. »Ein Insasse eines Flüchtlingslagers hat an dem Tag, an dem er abgeschoben werden sollte, versucht, sich das Leben zu nehmen. Wie würden Sie sich fühlen, wenn etwas Derartiges in Yarl’s Wood passiert?«, heißt es darin beispielsweise. »Sind Sie darauf vorbereitet, mit Menschen umzugehen, die so verzweifelt sind, dass sie sich selbst verstümmeln?«

Ein weiteres Anliegen der Demonstranten war es, darauf aufmerksam zu machen, dass auch die Internierung von Kindern geplant ist. Die Sprecherin des Innenministeriums verneinte dies allerdings gegenüber der Jungle World. Wenn im Herbst das Gefängnis wieder eröffnet wird, will man zunächst lediglich 60 Frauen in Yarl’s Wood unterbringen. Darunter wären nicht anerkannte Asylbewerberinnen, Frauen, die auf den Ausgang des Berufungsverfahrens warten, und »Asylbetrügerinnen«. Als »Asylbetrügerinnen« gelten beispielsweise Flüchtlinge, die über keine Dokumente verfügen.

Danach soll Yarl’s Wood wieder aufgestockt werden. Aber bislang hatte die britische Regierung noch keine Freude an ihrem Abschiebegefängnis.