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Ein Zeichen der Wende

Aids. Kurz vor Schluss, als das Neue Deutschland und die Prawda immer größere Mühe hatten, die Vorzüge des realen Sozialismus aufzuzeigen, verwies man gerne auf die Aids-Epidemie im kapitalistischen Westen. Aids sei, wenn nicht Folge der dekadenten Gesellschaft, so doch zumindest ein Problem der mangelnden Gesundheitsversorgung in den westlichen Ländern. Bekanntlich konnte man niemanden mehr damit überzeugen, und doch könnten die Propagandisten recht gehabt haben. Nach einer neuen Studie der Weltbank, die vergangene Woche veröffentlicht wurde, droht auf dem Balkan eine Aids-Epidemie. In Bulgarien, Kroatien und Rumänien seien die Ansteckungsraten rapide in die Höhe geschnellt. Als Gründe für den enormen Anstieg der Neuinfektionen werden in der Studie unter anderem die hohe Arbeitslosigkeit genannt, die weit verbreitete Armut, eine Verschlechterung der Gesundheitsversorgung, ein Anstieg des Drogenmissbrauchs und der Prostitution sowie die mangelnde Kenntnis darüber, wie man sich schützen kann. Seit Mitte der neunziger Jahre sind die Ansteckungsraten in Russland, der Ukraine und anderen ehemaligen Sowjetstaaten rasant gestiegen.

Verhaftung zur rechten Zeit

Frankreich. Am Ende war alles einfach. »Sind Sie Yvan Colonna?«, fragten die Beamten des Sondereinsatzkommandos. »Ja, das bin ich«, anwortete der Gefragte. Er hatte 1998, mutmaßlich als Haupttäter und Todesschütze, an der Ermordung des Präfekten von Korsika, Claude Erignac, teilgenommen. Jahrelang gab es Spekulationen über mögliche Komplizen im korsischen Establishment. Nun wurde Colonna am vergangenen Freitag auf der Insel verhaftet. Zwei Tage später stimmten die etwa 200 000 wahlberechtigten Inselbewohner in einem Referendum dafür, dass die Macht bei einer regionalen Zentralinstanz – statt wie bisher in zwei dem französischen Staatsaufbau entsprechenden Départements – konzentriert wird. Für die korsischen Nationalisten, die seit vier Jahren mit den konservativen Parteien zusammenarbeiten, ist dies die Vorstufe einer größeren Autonomie Korsikas. Die Pariser Regierung hatte ebenfalls für eine Zustimmung geworben, da sie auf eine Einbindung der Nationalisten hofft. So ist ihr ein wichtiger Coup gelungen.

Gestürmte Türken

Türkei. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan war außer sich. Wie die Tageszeitung Hürriyet berichtete, stürmten US-Soldaten am Freitag der vergangenen Woche ein Büro der türkischen Streitkräfte im Nordirak und nahmen elf Militärangehörige fest. Zur Begründung sei mitgeteilt worden, sie hätten einen Anschlag auf den kurdischen Gouverneur in Kirkuk geplant. Erdogan nannte das Vorgehen »abstoßend«. Dabei hatte sich im Nordirak in den vergangenen Wochen vieles zur Zufriedenheit der Türkei entwickelt. Zwar unterstützte das amerikanische Verteidigungsministerium die Forderung des kurdischen Parlaments in Erbil nach einem Rückzug der türkischen Truppen, gleichzeitig forderte die amerikanische Militärverwaltung im Irak Ende Juni den größten Teil der im Nordirak agierenden kurdische Milizen, u.a. die PKK, ultimativ auf, ihre schweren Waffen abzugeben. Das könnte das Ende des bewaffneten Kampfes im kurdischen Teil der Türkei bedeuten. Mit einen neuen Amnestiegesetz für einfache PKK-Mitglieder will die Türkei kurdischen Kämpfern zudem die Rückkehr in ihre »Heimat« schmackhaft machen.

Die EU rückt nahe

Niederlande. NS-Verbrecher konnten sich bisher fast immer auf die deutschen Regierungen und deren Gesetze verlassen. Das könnte sich durch die Bestimmungen des EU-Rechts ändern. So forderte die niederländische Regierung seit Jahren vergeblich die Auslieferung von sechs NS-Kollaborateuren, die, zum Teil noch aufgrund eines Führererlasses, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Nun beantragten die Niederlande ihre Inhaftierung in einem deutschen Gefängnis. Die SS-Offiziere waren nach dem Krieg in den Niederlanden in Abwesenheit – sie waren bereits nach Deutschland geflohen – zum Tode verurteilt worden. Später wurde das Urteil in lebenslange Haft umgewandelt. Dank des EU-Rechts ist es nun möglich, die Ausführung der niederländischen Urteile durch die deutsche Justiz zu verlangen. Das deutsche Justizministerium bestätigte vergangenen Donnerstag nur, dass die Forderung aus Den Haag eingegangen sei und geprüft werde.

Nachkriegsrekord

OSZE. Nach dem jüngsten Bericht des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles hat die Zahl antisemitischer Übergriffe in Europa den höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Allein für Frankreich hat das Zentrum seit 2001 rund 1 300 antisemitische Vorfälle registriert, darunter ein Brand der Synagoge von Marseille. Die parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat nun am vergangenen Sonntag auf einer Konferenz in Wien die Regierungen der 55 Mitgliedstaaten aufgerufen, verstärkt gegen den Antisemitismus vorzugehen. Die Resolution stellt einen Zusammenhang her zwischen antisemitischen Tendenzen und der Kritik an der israelischen Politik im Nahostkonflikt. Die Nachfolgekonferenz soll voraussichtlich nächstes Jahr in Berlin stattfinden.

Mehr Macht für Berlusconi

Italien. Er ist der mächtigste Mann im Land, ihm gehören die wichtigsten Medienunternehmen und gegen Richter ist er immun. Jetzt will der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi auch noch die Verfassung ändern, um seine Macht zu stärken. Er möchte künftig das Recht erhalten, selbstständig Minister zu ernennen und zu entlassen und das Parlament aufzulösen. Bislang sind diese Kompetenzen dem Staatspräsidenten vorbehalten. Zudem soll der Ministerpräsident künftig direkt gewählt werden. Der wichtigste Koalitionspartner Berlusconis, die neofaschistische Alleanza Nazionale, hat angeblich den Plänen bereits zugestimmt.