Musik ohne Antworten

Vert ist der Netzwerker innerhalb der elektronischen Musikszene. von felix klopotek

Der Hype um elektronische Musik, der Mitte der neunziger Jahre startete und jetzt langsam, aber sehr sicher verebbt, hatte nicht zuletzt folgenden diskursiven Kern: Elektronischer Musik – von Minimaltechno bis Mouse On Mars – wurde die Eigenschaft zugesprochen, auf ganz luftige, ganz befreite Weise mit dem Erbe klassischer Popmusik umgehen zu können. Erinnert sei an den Genreklassiker von 1996, die Platte »Life’s a Gas« von Love Inc. aka Wolfgang Voigt mit seinen Minimalzitaten von Kraftwerk bis Miles Davis.

Vor drei Jahren erschien mit »The Köln Konzert« ein Album, das eigentlich alles zu dem Thema »Elektronik und Geschichte« beinhaltete. Der junge Brite Adam Butler rekonstruierte unter seinem Künstlernamen Vert das berühmt-berüchtigte Köln Konzert Keith Jarretts, jenen Topseller, den der Pianovirtuose 1975 im Kölner Opernhaus in die Welt setzte. Vert verwendete in seiner Rekonstruktion bloß ein paar Fragmente aus dem Original (genauer: aus dem »Main Theme, #1«), die er selber auf dem Piano einspielte, das er im Interview als »the ultimate musical instrument« umschreibt. Vert spannte dann um die Pianosequenzen ein fragiles Netz aus flirrender Elektronik und schaffte es mit sparsamen, aber ungeheuer clever arrangierten Mitteln, die Stimmung »von damals« einzufangen – bloß ohne Räucherstäbchenkitsch. »Meine Verbindung zu Keith Jarrett?« Er muss lachen. »Nun, ich habe eine recht ambivalente Haltung ihm gegenüber. Es gibt vieles, was ich an seiner Musik überhaupt nicht leiden kann. Aber ich kann mir nicht helfen, einiges ist wirklich großartig! Besonders seine Solopiano-Alben. Manchmal produziert er einfach reine, schöne Momente inmitten der tausend Noten, die er aus dem Piano raushämmert. Ich weiß bis heute nicht, ob ich sein ›Köln Konzert‹ liebe oder hasse. Meine Bearbeitung ist beides – Hommage und Dekonstruktion.«

Nach »9 Types Of Ambiguity« (2001) erscheint jetzt mit »Small Pieces Loosely Joined« Verts drittes Album. Vert lebt seit knapp zwei Jahren in Köln, aus privaten Gründen, und tummelt sich im Umfeld von Mouse On Mars, auf deren Label Sonig er auch veröffentlicht. Einer eigenständigen musikalischen Entwicklung steht der Umgang mit der Kölner Elektronikmafia jedoch nicht im Wege, eher im Gegenteil.

Das Prinzip, akustische Sequenzen, Pianoakkorde oder die wehmütigen Klänge eines Harmoniums mit elektronisch-digitalen Klängen in einen gegenseitigen Austausch treten zu lassen, hat er auf seinem neuen Album perfektioniert. Bis zur Ununterscheidbarkeit sind die Klänge synthetisiert und geschichtet, ohne dass das Album überfrachtet klingt. Denn zu Beginn der meisten Stücke erklingen all die alten Instrumente in Reinform, unverfremdet. Dies ist eine freundliche, einladende Geste, die den Hörer in die kaleidoskopartig sich verschiebenden Klangkonfigurationen geleitet. »I want to bring together very disparate elements«, erläutert Vert.

Umso überraschender ist es, wenn er erklärt, dass es ihm primär nicht um diese Melodien, die ja wie bestimmte Themen im Jazz funktionieren, geht. Sie sind, anders als bei vielen klassischen Jazzern, die melodisch gedacht haben, nicht sein Ausgangspunkt. »Meine Arbeit beginnt meistens mit einigen Skizzen, mit ein paar elektronischen Sounds, mit denen ich herumspiele und aus denen ich gewisse Einheiten bilde. Ich lege Soundbänke an, archiviere die Klänge, konstruiere innerhalb des Rechners virtuelle Musikmaschinen. Das alles hat nur sehr wenig mit der Arbeit an einem Track zu tun«, erklärt Vert. »Erst wenn ich die Klänge, die für mich neu und spannend sind und mit denen ich später weiterarbeiten will, in einer Art Bibliothek zusammengetragen habe, beginnt die eigentliche Auseinandersetzung mit der Musik.«

Der Beginn der Arbeit ist also eine Reflexion darüber, wie man überhaupt damit beginnen kann zu komponieren (zu spielen, schließlich zu improvisieren)? »So ist es. Die Idee, welche musikalisch-konzeptuelle Richtung mein nächstes Album bekommt, ergibt sich erst während der Arbeit, meistens, wenn ich eigentlich schon zur Hälfte fertig bin. Die Arbeit fängt mit einem Sound an, aber natürlich gibt es da auch eine Stimmung, ein gewisses Gespür, das sich dann auch musikalisch ausdrückt. Aber manifest wird es erst im Laufe der weiteren Beschäftigung mit den Klängen. Die Ausnahme ist natürlich mein ›Köln Konzert‹ – hier stand das musikalische Konzept an erster Stelle.«

»Small Pieces Loosely Joined« drückt aus, dass die Musik Verts, bestehend aus tausend kleinen Elementen, die sich immer wieder neu und immer wieder anders zusammenfügen, sich der Idee des Networking verdankt: Aus disparaten Klängen erwächst ein Ganzes, offen genug, um noch mehr Fragmenten ihren Platz einzuräumen. »Ein Netzwerk kann man genau so definieren – kleine Teile, die locker miteinander verbunden sind. Man denke daran, wie unser Gehirn funktioniert, oder, genauso ein komplexer Gegenstand, wie unser soziales System sich organisiert. Oder das Internet, ein sehr prägnantes Netzwerk. Mich faszinieren die Vorgänge, die dazu führen, dass sich Zustände aus einem Netzwerk ergeben, die erst mal nichts mit dem Netzwerk zu tun haben. Wie kann es sein, dass aus dem rein biochemischen Netzwerk unseres Nervensystems ein Bewusstsein, eine Seele entsteht? Wie kann es sein, dass wir mit einiger Berechtigung Städten einen Charakter zusprechen, obwohl bestimmt kein Bewohner daran denkt, seiner Stadt einen spezifischen Charakter verleihen zu wollen?«

Nein, an dieser Stelle kommt nicht der Schlusssatz, den Sie vielleicht erwarten. Ein Satz wie: »Verts neues Album formuliert auf all diese von ihm selbst gestellten Fragen musikalische Antworten.« Das wäre prätentiöser Bullshit, der nicht dem charmanten, gewitzten, immer aber auch nüchternen Charakter dieser Musik gerecht werden würde. Vert arbeitet mit diesen Fragen, er lässt sich von ihnen eher inspirieren, als sie zu beantworten. Oder er will auf etwas anderes hinaus – die Schaffung seines eigenen musikalischen Netzwerkes.

Vert: Small Pieces Loosely Joined (Sonig/Zomba)