Kompletter Absturz

»Charlie’s Angels II«

»Mehr Action! Mehr Fun! Mehr Power!« bewirbt die Columbia ihr neuestes Produkt, das dann folglich auch »Drei Engel für Charlie – Volle Power« genannt wurde. Oder volle Pulle oder volles Rohr – worum geht’s bei den drei Engeln? Wie immer: Die junge Frau von heute tritt mindestens zu dritt auf, sie hat ein gutes Verhältnis zu ihrem Auftraggeber, Schwierigkeiten mit der großen Schwester und löst komplexe private Konflikte ebenso wie weltpolitische Fragestellungen mittels Hauen, Stechen, Schießen. Man kann es echt nicht mehr sehen. Kommunikation ist eine Waffe, so die Botschaft, und so sollte sie auch gebraucht werden. Das kann man allerdings auf einem deutschen Sozial- oder Arbeitsamt derzeit beinahe umsonst haben.

Weil der Überwachungsverein vom FBI nicht auf seine Daten aufpassen kann und das Zeugenschutzprogramm gefährdet ist, müssen die Privatagentinnen ran. Panzerfaust, Kampfhubschrauber, Bomben, kriminelle Mongolen sind ihre Welt. »Doch das spielt eigentlich keine Rolle«, kommentiert Chip Online das Durcheinander, »genauso gut hätten sie den vermissten Hund der Queen suchen können.«

Bevor jemand merken könnte, worum es hier eigentlich geht, folgt eine neue Bildsequenz mit neuem Soundtrack. Neu? Nee: Nickelback feat. Kid Rock, David Bowie und alter Käse von Loverboy, MC-Hammer und Bon Jovi. Neu ist »Feel Good Time«, Pinks Musikvideo mit den Crossmotorrädern, derzeit zu besichtigen auf MTV, dem Sender, wo immer auch grad was zu Ende ist, wenn man ihn einschaltet.

Hat man das Pink-Video gesehen, kennt man auch die drei Engel, Teil 2. Jedes Lied läuft für 15 Sekunden, dann kommt der Umschnitt, die Bilder können nicht halten, was die Tonspur verspricht. Das Kino als große Soundmaschine – es käme eigentlich ohne Film aus. Drei Role Models, drei Frisuren, Magersucht (Cameron Diaz), düstere Gedanken (Lucy Liu), Babyspeck (Drew Barrymore), infernalischer Krach in den Ohren und mit den Typen.

»Ich lass’ mir doch nicht mehr von einem Lautsprecher Befehle erteilen. Ich bin jetzt mein eigener Boss«, sagt der gefallene Engel Madison. Sie wehrt sich gegen die Daddy-Figur, den Auftraggeber, dessen Order aus dem Lautsprecher erklingt. Madison ist die einzige, die ein wenig Erwachsensein ins Spiel bringt. »Dein Boss ist scheiße«, schreien die beiden anderen Streber-Gören zurück, und damit hat es sich auch schon.

Abgestürzte Himmelskinder: Hundert Jahre nach Sigmund Freud wird die heilige Familie wieder hergestellt. Mittels Waffengewalt und Rührseligkeit. »Drei Engel für Charlie« ist der vorläufige Schlusspunkt einer Kino-Agenda 2010 mit Filmen, die nichts zu sagen und zu bieten haben, außer dem hier: Beziehungen zwischen Menschen lassen sich am ehesten mit Apparaten behandeln. Action so la la, Power meinetwegen, aber ob das mehr Fun verspricht, sei mal dahingestellt.

Und wenn wir hier unlängst das Musical ohne Musik forderten, dann jetzt dies: Wie wär’s in diesem Fall mit einem Film ohne Bilder? Den könnte man sich dann beim Bügeln mit dem MP3-Player oder im Radio ansehen.

jürgen kiontke

»Drei Engel für Charlie – Volle Power«.

USA 2003. Start: 10. Juli