Einer wie er

Berlusconi-Skandal

Die hiesige Empörung über Silvio Berlusconi erinnert an die eingeschnappten Reaktionen der Landsleute, wenn sie im Ausland mit »Heil Hitler« und Stechschritt begrüßt werden. Die gekränkte Verblüffung, die die Deutschen stets an den Tag legen, wenn sie sehen müssen, dass nicht alle ihre Auffassung teilen, man dürfe einen Kontinent in Schutt und Asche legen, 50 Millionen Tote hinterlassen und dann mit einem »Scusi« an den Wiederaufbau gehen, ist echt. Dass es einen gewaltigen Unterschied macht, ob andere das Symbol für das absolute Böse – Nazi oder, in der personalisierten Form, Hitler – als propagandistisches Mittel benutzen, um in einer konkreten Situation einen politischen Gegner zu diskreditieren, oder ob Deutsche irgendwelche NS-Analogien bemühen, um so zur Relativierung der Einzigartigkeit der deutschen Verbrechen beizutragen, wird man hier nie verstehen.

Dabei geht es bei der Empörung über Berlusconi nicht allein um seinen Fauxpas in Strasbourg. Das politische Feuilleton hasst den Mann, der das neoliberale politische Programm aller Parteien zur Deutlichkeit verzerrt. Stets hat Berlusconi sich damit gebrüstet, den Staat so führen zu wollen wie eine Firma. Dasselbe fordert so ziemlich jeder Leitartikler, wenn er nicht gerade mit Fragen der politischen Moral beschäftigt ist. Zum täglichen Geschäft gehören eben Autoritarismus, Korruption, mafiöse Geschäfte und Tricks aller Art.

Als Kapitalist, in dessen Privateigentum sich ungeheure Produktionsmittel befinden, gehört Berlusconi einer aussterbenden Gattung an. Um einen Großbourgeois, der es nötig hat, sich selbst mit sozialdemokratischen Abgeordneten herumzuplagen, kann es nicht gut bestellt sein. Er gibt zu, dass sein Wechsel in die Politik die einzige Möglichkeit war, sich der strafrechtlichen Verfolgung zu entziehen.

Als Politiker aber ist Berlusconi avantgardistisch. Wie so viele steht er für den Rückzug des Staates von öffentlichen Aufgaben bei gleichzeitigem Ausbau des Repressionsapparates, für die Medialisierung der Politik, die Negation des Sozialen bei gleichzeitiger Verschärfung des Klassenkampfes, für die Regression der Gesellschaft zu einer im Zweifelsfall völkischen Gemeinschaft. Bei Berlusconi ist alles nur dreister, deutlicher, hässlicher.

Allerdings sollte man seine Macht nicht überschätzen. Obwohl fast das gesamte italienische Privatfernsehen sein Besitz ist und er seit der Übernahme der Regierung die staatlichen Anstalten kontrolliert, folgten letztes Jahr Millionen Italiener innerhalb von sechs Monaten zweimal dem Aufruf der Gewerkschaften zum Generalstreik. Von einer Berlusconi vergleichbaren persönlichen Macht sind jene Emporkömmlinge, die die »Deutschland AG« verwalten, weit entfernt. Dennoch musste jüngst die IG Metall eine der schwersten Niederlagen ihrer Geschichte einstecken – nicht zuletzt deshalb, weil drei der vier Gewalten ganz demokratisch und pluralistisch den Streik bekämpften.

In Deutschland ist es verpönt, wenn Individuen offen ihre eigenen Interessen verfolgen, weshalb man in Deutschland über einen wie Berlusconi aus denselben Gründen die Nase rümpft wie über einen Gewerkschaftsvorsitzenden. Die Spielregeln der Klassengesellschaft sind immer auch Verhandlungssache zwischen den Klassen, weshalb es hierzulande mehr Anlass zur Sorge um die politische und soziale Partizipation gibt als in Italien.