Liebevolle Aufsicht

Die griechische Regierung will durch geschicktes Taktieren den EU-Gipfel in Thessaloniki unbeschadet über die Bühne bringen. Die Linke spielt dabei mit. von harry ladis und lia yoka, thessaloniki

Gastfreundschaft ist bekanntlich eine alte Eigenschaft der Hellenen. Um sie zu ehren, hatte man sich in der Antike sogar einen Gott erfunden: Zeus. Durch seine Blitze verschaffte er sich Ehrfurcht bei den Menschen und Respekt. Heute sind Blitze überflüssig, es reicht die Verhandlung.

Gastfreundschaft und Respekt heisst das wohlklingende Konzept, das wegen der erwarteten Demonstrationen gegen den EU-Gipfel am 20. und 21. Juni in Thessaloniki von fast allen Interessenten vereinbart wurde. Das bedeutet, garantierte Gastfreundschaft für die Demonstranten und als Gegenleistung Respekt vor dem Privateigentum, den öffentlichen Gebäuden und den beliebten Angriffszielen der Globallisierungsgegner, den Scheiben der Banken, die letzten Endes an den Übeln der Globalisierung sowieso nicht schuld seien, wie immer wieder festgestellt wird.

Durch geschickte Verhandlungen stilisiert sich die sozialdemokratische griechische Regierung zum effektivsten Konsensmacher unter den bisherigen Gastgebern ähnlicher Events. Campingplätze, Busfahrkarten, die Bereitstellung von Presse- und Kongresszentren, Museumsbesichtigungen, sogar eine News-Liste auf der Webseite des Ministeriums für Nordgriechenland sind einige der Erleichterungen, die unter dem Motto »offene Stadt« den voraussichtlich 100 000 Demonstranten zur Verfügung gestellt werden.

Selbst das staatliche Fernsehen, der Sender von Thessaloniki ET3, hat seine Bereitschaft erklärt, die Bewegung ans Mikrofon zu lassen. Ab Anfang Juni soll täglich eine Antiglobalisierungssendung ausgestrahlt werden, in der Vertreter der drei größten Plattformen, der stalinistischen Aktion Thessaloniki 2003, des reformistischen Griechischen Sozialforums und der trotzkistischen Genua 2001, live ihre Inhalte verbreiten können. Regierungs-, EU- und Globalisierungskritik durch die staatlichen Medien ist ja die konstruktivste Selbstkritik.

Der Tagungsort des Gipfeltreffens wurde aus Angst vor den Mobilisierungen gegen die rote Zone in einen Hotelkomplex in Porto Karras verlegt, 120 Kilometer von Thessaloniki entfernt, mitten in dem zauberhaften Ferienort Chalkidiki. Mehr als 800 Arbeiter schuften hier täglich für die rechtzeitige Fertigstellung von 68 neuen Suiten, einem 1 500 Quadratmeter großen Seeschwimmbad, der Strassenverbreiterung und der restlichen Infrastruktur. Stereotype über die orientalische Arbeitsethik der Griechen, die sich in den letzten Monaten wegen der Verspätung auf den Baustellen in Porto Karras zu bewahrheiten schienen, müssen in Rekordzeit überwunden werden. Trotzdem könnte das Gipfeltreffen an bisher wenig beachteten Faktoren scheitern, wie beispielsweise der Elektrizitätsknappheit. Die ganze Region von Chalkidiki muss zu Spitzenzeiten mit 50 000 Kilowatt Strom auskommen, allein für den EU- Gipfel bräuchte man ein Fünftel der Menge.

Um deutlich zu machen, dass Griechenland auch in Bezug auf den Sicherheitswahn den anderen EU-Ländern nicht hinterherhinkt, sollen fünftausend Polizisten, Taucher der Militärmarine, ein Stahlnetz, 300 Meter von der Küste entfernt, Luftraketen und Hubschrauber eine undurchdringliche Absperrung von Land, Luft und Wasser aus bilden.

Neben den grünen Uniformen sind für die Disziplinierung des Widerstands auch die roten Fahnen erforderlich. Allein die KP rechnet mit 40 000 gleich gesonnenen Gästen; ein bisher einzigartiger Stalino-Karneval bei einem Anti-Gipfeltreffen. Ein paar der KP nahe stehende Bürgermeister haben sogar ganze Parks für ihre Unterbringung versprochen. Nach Berichten der Parteizeitung Risospastis will die KP den friedlichen Charakter der Bewegung gewährleisten, eine Erklärung, die auch den Vorsitzenden der Handels- und Industriekammer von Thessaloniki, Dimitrios Bakatselos, befriedigte, wie in der Zeitung stolz berichtet wurde. »Falsche Demos bzw. Ansichten werden auf eine undurchdringliche Mauer stoßen«, lautet die eindeutige Botschaft des stellvertretenden KP-Vorsitzenden an die gefürchteten Gewalttäter.

Die Auseinandersetzung zwischen »falschen« und orthodoxen Demos könnte ihren Höhepunkt am Samstag, dem zweiten Tag des Gipfels, erreichen, wenn Kommunisten, Reformisten und Anarchisten in der Stadt marschieren. Am 19. Juni soll es eine antirassistische Demonstration geben und einen Tag später mobilisieren einige Gruppen trotz der Konsensstimmung nach Chalkidiki, um die rote Zone anzugreifen.

Begeisterte Unterstützer findet das Konzept Gastfreundschaft und Respekt nicht nur in der Linken. Der rechte Bürgermeister von Tessaloniki, Vasilios Papageorgopoulos, sowie der Präfekt, Panagiotis Psomiadis, ein früherer Verehrer der Militärjunta, waren willige Gesprächspartner bei den Verhandlungen mit den Bewegungsplattformen und stellten sich sogar gegen die Verlegung des Tagungsortes nach Chalkidiki. In touristisch mageren Zeiten heißt man alle möglichen Gäste willkommen.

Die Kontrolle der Protestbewegung ist nicht der einzige Erfolg der griechischen Präsidentschaft. Das neue Gleichgewicht zwischen den USA und Kerneuropa hat ausgerechnet ein Land herstellen können, das einerseits Antiamerikanismus offen fördert und gleichzeitig der US-Militärmaschine Tür und Tor öffnet, wie im Laufe des Irakkrieges geschehen (Jungle World 17/03). »Wir haben eine politische Übereinstimmung mit der Nato erreicht, wobei die EU-Autonomie gegenüber der Allianz gesichert wird«, behauptet der griechische Verteidigungsminister Giannos Papantoniou. Er finde die Initiative von Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg gegen den Irakkrieg zwar konstruktiv, aber die Zukunft der EU-Verteidigungspolitik solle erst auf dem Gipfeltreffen beschlossen werden. Am 5. Juni wird er mit dem Beauftragten für die EU-Außenpolitik, Javier Solana, und den 25 EU-Botschaftern in Skopje die ersten dort stationierten EU-Truppen besichtigen.

Der Besuch eines Flüchtlingslagers steht bisher nicht auf dem Programm. Dabei wird ein weiterer Schwerpunkt des Gipfeltreffens die gemeinsame Asylpolitik und die weitere Abschottung der EU-Außengrenzen sein. Das Gastgeberland rangiert mit einer Anerkennungsquote für Asylananträge von 0,3 Prozent an letzter Stelle in der EU. Seit dem Wochenende versuchen etwa 700 Roma, die nach dem Einmarsch der Kfor in den Kosovo vor der UCK nach Mazedonien geflüchtet sind, über Griechenland in die EU einzureisen. Sie waren bisher in einem Flüchtlingslager bei Skopje interniert. (Jungle World, 09/02) Dort haben sie es scheinbar nicht mehr ausgehalten. Ob sie in Griechenland, wie die Demonstranten, mit offenen Armen empfangen werden, ist fraglich.