Aktiver Mitläufer

Peco Bauwens, erster Nachkriegspräsident des DFB, wollte während der Nazizeit die Fifa gleichschalten. von arthur heinrich

Peco Bauwens, Heiligabend 1886 geboren und fast 77jährig im November 1963 verstorben, war ein ziemlich erfolgreicher Kölner Bauunternehmer und machte nebenbei Karriere im Sport. Gemeint ist nicht das einzige Fußball-Länderspiel, das Bauwens 1910 als Spieler bestritt – die Partie gegen Belgien ging 0:3 verloren – sondern sein Aufstieg in die Führungsetage der Fifa und, nach dem Zweiten Weltkrieg, an die Spitze des DFB, den er zwölf Jahre regierte.

Bauwens hatte Rechtswissenschaft studiert. Studienbegleitend war er im Bonner Corps Saxonia aktiv. Das wiederum gehörte dem Kösener Senioren-Convent an, dem Dachverband der schlagenden studentischen Verbindungen. Das Korpsarchiv der Bonner Sachsen führte ihn als »Bauwens 1« unter der Nummer 714.

Ähnlich wie die Deutsche Turnerschaft setzten die Burschenschaften alsbald nach der Machtergreifung der Nazis die so genannte Arierfrage auf ihre Tagesordnung. Im Juli 1933 forderte der Kösener S.C. die einzelnen Corps auf, die Statuten folgendermaßen zu ändern: »Das Corps ist eine Verbindung immatrikulierter Studenten derselben Universität, die im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung ihre Angehörigen in aufrichtiger Freundschaft verbindet und zu Vertretern eines ehrenhaften Studententums und zu charakterfesten, tatkräftigen, pflichttreuen deutschen Männern erzieht.« In den Genuss dieses pädagogischen Projekts durfte allerdings längst nicht jeder kommen: »Judenstämmlinge, jüdisch Versippte oder Freimaurer können nicht Angehörige eines Corps sein.«

Saxonia Bonn übernahm die gewünschte Satzungsänderung am 1. Oktober 1933. Anschließend sollten die Mitglieder, bitteschön, schriftlich versichern, dass sie und ihre Ehefrauen »arischer Abstammung« seien. Dafür vorgesehen war »Formular 3«, doch der Rücklauf verlief eher schleppend. Auch Peco Bauwens unterschrieb nicht. Er hatte im Juli 1919 die Kölner Jüdin Elisabeth Gidion geheiratet.

Am 5. Mai 1934 schloss der Altherren-Ausschuss der Bonner Saxonia die »jüdisch versippten Corpsbrüder« aus.

Peco Bauwens hatte zu dieser Zeit auf dem internationalen Sportparkett bereits einen Namen. Seit 1925 gehörte er der Fifa-Regelkommission an. Ein Jahr später war er in den »International Board«, das eigentlich für die Spielregeln zuständige, traditionell britisch dominierte Gremium eingezogen. Der Fifa-Kongress von 1932 beförderte ihn schließlich in die Exekutive des Weltverbandes.

Die Nazis machten keinerlei Anstalten, Bauwens aus diesen Funktionen hinauszudrängen und durch einen ihrer Leute zu ersetzen. Als Parteigänger konnte er nämlich nur bedingt gelten. Wenn er 1946 im Fragebogen des »Military Government of Germany« behauptete, niemals Mitglied der NSDAP gewesen zu sein, war das zwar richtig, aber eben nicht die ganze Wahrheit, denn Bauwens hatte um die Aufnahme nachgesucht. Die Zentralkartei der NSDAP führte ihn zeitweilig mit dem Beitrittsdatum 1. Mai 1933 unter der Nummer 2 103 982.

Bei der Partei-Anwartschaft des Peco Bauwens handelt es sich indes um eine obskure Geschichte. In der Meldung der Gauleitung Köln-Aachen zum Mitgliederbestand vom Mai 1934 tauchte der »Märzgefallene« Bauwens nämlich nicht mehr auf und wurde daraufhin in der Münchener Zentralkartei gestrichen. Das Bundesarchiv vermutet eine »nicht zustande gekommene« Mitgliedschaft: Weil die Aushändigung des Mitgliedsbuches unterblieb, sei die mit der Eintragung in die Zentralkartei urkundlich vollzogene Aufnahme niemals rechtswirksam geworden. Doch wer betrieb das Nichtzustandekommen der Mitgliedschaft?

Dass Bauwens sich eines Besseren besonnen und darauf verzichtet haben sollte, sein Parteibuch abzuholen, mutet eher unwahrscheinlich an. Plausibler erscheint die Version, die Hitler-Partei habe erst nachträglich von Bauwens’ Ehe erfahren und, weil die eigenen Reihen erst recht gegen »jüdisch Versippte« fest geschlossen bleiben mussten, die Aufnahme ihrerseits storniert.

Belegen lässt sich weder diese Version noch irgendeine andere. Zweifelsfrei fest steht dagegen, dass Peco Bauwens Mitglied der NSDAP werden wollte. Das Motiv? Ihn mögen Sorgen um seine Frau und, damit zusammenhängend, die Auftragslage des Betriebes umgetrieben haben. Ein dritter Grund kam hinzu: Die braunen Machthaber und der erzkonservative Bauwens sendeten politisch auf gleicher Wellenlänge. Dass dem so war, zeigte sich wiederum in der Sportpolitik, insbesondere nach Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Die allenthalben grassierende »Blitzkrieg«-Euphorie 1940/41 ging auch an den Repräsentanten des deutschen Fußballs nicht spurlos vorüber. Begehrlichkeiten, stärkeren Einfluss auf Struktur und Ausrichtung der Fifa zu nehmen, hatte es latent schon immer gegeben. Vor dem Hintergrund der neuen Machtverhältnisse in Europa artikulierte man sie nun ganz ungeniert und begab sich ans Werk.

Um die kontinentalen Reisemöglichkeiten war es um jene Zeit nicht zum Besten bestellt. Mit der Einrichtung eines »Comité d’Urgence« durch die Fifa sah Bauwens sein eigentliches Anliegen gefährdet: die Neuordnung der Fifa. »Du wirst Dir doch vorstellen können«, schrieb er im Juli 1940 seinem Duzfreund Ivo Schricker, einem Deutschen, der Generalsekretär des Fußballweltverbandes war, »dass zweifellos Bestrebungen aufkommen, die Spitze aller internationalen Verbände entsprechend der ohne Zweifel eintretenden neuen Weltlage umzugestalten.« Die vermeintlich unabwendbare Neustrukturierung sollte die Fifa, so seine dringende Empfehlung, in Eigeninitiative vorwegnehmen.

Bauwens stand dabei in ständigem Kontakt zum damaligen Fachamt Fußball und zur Reichssportführung. Mit dem vom DFB als Stabsleiter zum Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen übergewechselten Guido von Mengden wusste er sich in dem Ziel einig, »die heutige Fifa ganz unter den Einfluss der Achse (zu) bringen«.

Der Fußballweltverband hatte seinen Sitz im schweizerischen Zürich. Ein direkter Zugriff schied somit aus. Dennoch gab es Versuche der »unfreundlichen Übernahme«, von denen sich einer zumindest ansatzweise rekonsturieren lässt.

Die neutrale Schweiz war eingeschlossen von Deutschland, der österreichischen »Ostmark«, dem besetzten Teil Frankreichs und dem faschistischen Italien, der zweiten Achsenmacht. Reisen von Fifa-Funktionären aus aller Welt nach Zürich konnten mithin nur über deutsches, von den Deutschen kontrolliertes oder italienisches Territorium führen und waren an die Erteilung entsprechender Transitvisa gebunden. Deshalb konnte das NS-Regime Einfluss auf den Teilnehmerkreis von Fifa-Sitzungen nehmen.

Für den 25./26. Januar 1941 war eine Sitzung des Exekutivkomitees anberaumt. Nachdem die zuständigen deutschen Stellen den Mitgliedern dieses Gremiums zunächst die Visumsausstellung angekündigt hatten, wurde die Zusage zwei Tage vor dem Treffen aus heiterem Himmel widerrufen. Man wollte ein Terzett tagen lassen: der italienische Vizepräsident Mauro plus Bauwens, zudem der in der Schweiz ansässige deutsche Generalsekretär Schricker – eindeutige Mehrheitsverhältnisse, selbst wenn man Schricker als unsicheren Kantonisten wertete.

Doch in Zürich tauchten neben Mauro und Bauwens völlig außerplanmäßig auch der andere Fifa-Vize Seeldrayers und zwei weitere Komitee-Mitglieder auf. Dumm gelaufen. Die Suche nach den Schuldigen beschäftigte die Reichssportführung noch geraume Zeit.

Ab Mai 1945 war dann alles ganz anders. Der zur Fifa-Exekutiv-Sitzung für Oktober erst eingeladene, dann kurzfristig ausgeladene Bauwens verstand die Welt nicht mehr. In einem Brief an den französischen Fifa-Präsidenten Jules Rimet beklagte er die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit. Er selbst sei, wenn auch indirekt, Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Schließlich hätten ständige Anfeindungen und dauernder psychischer Druck der Nazis seine jüdische Gattin 1940 in den Selbstmord getrieben. Bauwens pathetisches Plädoyer in eigener Sache: »Wäre ich nicht der schlechteste Mensch der Welt, wenn ich auch nur die kleinsten Handlangerdienste für diejenigen getätigt hätte, die meine Frau auf dem Gewissen haben? Wäre dem so, sollten Sie mich mit Schimpf und Schande aus der Fifa rauswerfen.«

Peco Bauwens gefiel sich in der Rolle als »rassisch und politisch Verfolgter«. Doch die Zweifel überwiegen bei weitem: Von Nachteilen, die ihm oder seinem Unternehmen durch den Umstand, dass er mit einer Jüdin verheiratet war, entstanden wären, kann keine Rede sein. Bauwens machte im Fußballverband Karriere, nebenbei führte er einen ausgesprochen lockeren Lebenswandel, und dem Familienunternehmen ging es gut.

Bauwens’ Glaubwürdigkeit ist zudem beschädigt, wenn er im gleichen Zusammenhang, in dem er über seine verstorbene Frau spricht, behauptet, sich deutschen Bestrebungen, »die Kontrolle über die Fifa zu erlangen«, nach Kräften widersetzt zu haben. Denn das entspricht nachweislich nicht den Tatsachen. Das Gegenteil ist richtig: Die Umgestaltung der Fifa im deutschnationalen Sinne war, wenn man so will, sein persönlich-politisches Anliegen.

Das vorliegende Material lässt nicht zu, Peco Bauwens einen Nazi zu nennen. Er steht aber für ein deutsches Bürgertum, das, im Bismarck-Reich und unter Wilhelm II. sozialisiert, mit wirklichem Liberalismus herzlich wenig anzufangen wusste, um so mehr jedoch mit nationalistischen und militaristischen Denkmustern. Und diese Affinität ist das Einzige, was für Bauwens’ Behauptung sprechen könnte, »bei der Verschwörung vom 22. Juli 1944 mitgewirkt« zu haben, an jenem ganz späten Versuch des Widerstandes, dessen richtiges Datum Peco Bauwens schon gut ein Jahr danach nicht mehr präsent gewesen zu sein scheint.