No Generation Peace

Der Polizeieinsatz gegen eine Hamburger Friedensdemo von Schülern löst Empörung aus. Aber von einer radikalen Massenbewegung kann keine Rede sein. von gaston kirsche

Ein Polizist schlug mir mit seinem Schlagstock zweimal heftig auf den Rücken, als ich flüchtete«, erzählt Sandra Schüler vom Hamburger Carl-von-Ossietzky-Gymnasium. »Ich wurde ohnmächtig und musste mich übergeben.« Sie war eine von Zehntausenden von Jugendlichen, die am 24. März an einem Schulstreik gegen den Irakkrieg teilnahmen. Die Demonstration endete nicht wie geplant am Generalkonsulat der USA, sondern vor Absperrgittern, hinter denen vier Wasserwerfer und Polizisten mit Helmen und Schlagstöcken standen.

»Da hat sich das dann gestaut und alle standen herum«, berichtet Tayfun Guttstadt von der Ida-Ehre-Gesamtschule, »und muslimische Leute haben Gebete aufgesagt. Allah o Akbar und so, und die hatten auch Hamas-Fahnen, grüne Fahnen mit dem Schriftzeichen drauf, die haben da dann rumgemacht.« Ein Mädchen, berichtet Tayfun weiter, habe ein Schild geschwenkt mit der Aufschrift: »Nieder mit den Zionisten!« Aber diese Gruppe sei klein gewesen, vielleicht 50 Schüler. Daneben Tausende, die sich Peace-Zeichen ins Gesicht gemalt hatten, eine zwei Meter große Friedenstaube hochhielten oder Schilder mit Aufschriften wie »No war«.

Tayfun Guttstadt erzählt weiter: »Immer mehr Leute haben Sachen auf die Polizei geworfen. Erst Eier, dann Flaschen, Stöcke, Schulbrote, Äpfel, Trinkpacks. Die Polizei hat dann zwölfmal durchgesagt: Hört auf zu werfen, sonst sind wir gezwungen, Wasserwerfer einzusetzen. Aber gut, sie wollten uns auch nicht durchlassen zur amerikanischen Botschaft. Und dann ist das irgendwann eskaliert. Sie hatten aber auch schon vorher Leute rausgegriffen und haben uns die ganze Zeit gefilmt.«

Die Demonstration wurde mit Wasserwerfern und unter Schlagstockeinsatz auseinandergetrieben. Hinter dem Bahnhof Dammtor kesselte die Polizei eine Gruppe von Schülern ein und vermeldete 145 Ingewahrsamnahmen. Den Schülern, unter ihnen einige 13jährige, wurden sogar die Handys abgenommen, was für Aufregung bei den Eltern sorgte. Hamburgs Polizeisprecher Reinhard Fallak hatte eine Erklärung parat: »Mit den Handys hätten die Jugendlichen ja statt ihrer Eltern auch Verstärkung anfordern können, das ist problematisch.« Erst abends kamen die Schüler wieder frei.

Es gab 29 Festnahmen, die Jugendlichen wurden teilweise mit Kabelbindern gefesselt abgeführt. Besonders auf vermeintliche Ausländer hatten es die Greiftrupps abgesehen. Eine Anwohnerin beobachtete, wie ein schwarzhaariger Jugendlicher festgenommen wurde: »Er wurde zu Boden geworfen, sein Gesicht scheuerte dabei über die Straße, er wurde an seinen hinter dem Rücken doppelt gefesselten Armen wie Vieh angehoben.«

Polizeisprecher Fallak erklärte später: »Der harte Kern der Randalierer bestand aus etwa 1 000 Personen, darunter neben Palästinensern und Kurden auch so genannte gewaltorientierte Jugendliche, die auch bei den Demonstrationen nach den Spielen von FC St. Pauli dabei sind.« Der Welt sagte ein Polizist: »Immer wieder traten Palästinenser und Kurden als Randalierer hervor.« Tayfun Guttstadt sieht das anders. »Das stimmt nicht. Da haben viele Leute geworfen.«

Der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) verteidigte seinen Innensenator Ronald Schill und das Vorgehen der Polizei. Die Beamten hätten die Aufgabe gehabt, »mit allen Mitteln das US-Generalkonsulat zu schützen«. Er bedauere aber, dass »offenbar Kinder und Jugendliche zwischen die Fronten geraten seien«. Prinzipientreu gab sich dagegen der Schulsenator und Konteradmiral a.D., Rudolf Lange (FDP). »Demonstrationen während der Schulzeit sind unzulässig«, schnarrte er. Und die Leiterin des Amtes für Schule, Ingeborg Knipper (CDU), kündigte disziplinarrechtliche Schritte gegen Lehrer an, sollte sich erweisen, dass diese ihre Schüler zur Demonstration geschickt und sich selbst unter die Teilnehmer gemischt hätten.

Die Grünen und die SPD versuchten, den Schülerstreik wie alle Friedensaktivitäten zu vereinnahmen. »Hamburg kann stolz sein, dass sich eine ganze Generation engagiert und für den Frieden einsetzt«, sagte der Landesgeschäftsführer der SPD, Ties Rabe, »ein Zeichen, das Mut macht«. Christa Goetsch, die Fraktionsvorsitzende der Grünen/GAL in Hamburg, schimpfte lautstark über die »empörende Behandlung junger Menschen«. Beide Parteien haben im Landesparlament eine kritische Untersuchung des Polizeieinsatzes angekündigt.

Die Organisatoren des Schulstreiks äußern aber auch an der rot-grünen Bundesregierung Kritik. David Schultz von Jugend gegen Krieg sagt: »Wir haben die Sperrung des deutschen Luftraums für die kriegführenden Armeen und den Rückzug der Bundeswehrsoldaten aus Kuwait und aus den Awacs-Aufklärern gefordert. Wir haben auch kein Vertrauen in Schröder, weil er schon zwei Angriffskriege geführt hat.«

Die Jugendgruppe von Regenbogen – einer Gruppe ehemaliger Hamburger Grüner, die anlässlich des Jugoslawienkriegs 1999 aus der Partei austraten – trug ein Transparent mit der Aufschrift: »Der Hauptfeind steht im eigenen Land«. Jonas und Sönke sagen: »Wir wollen deutlich machen, dass wir nicht gegen den Irakkrieg sind, weil er deutschen Wirtschaftsinteressen widerspricht. Wir wollen keinen dieser Kriege.« Aber unter all den Peacezeichen gingen sie fast unter.

Auch bei den anderen großen Schulstreiks ging es vor allem darum, den Krieg nicht ohne symbolischen Protest stattfinden zu lassen. In Potsdam wurde der Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) am 27. März mit Applaus auf einer Kundgebung empfangen. Buhrufe gab es nur, als er sich gegen weitere Streiks aussprach.

»Schüler streiken für Frieden«, hieß es wenig differenziert auch schon bei der ersten größeren Aktion am 21. Februar in Nürnberg. 7 000 Teilnehmer trugen Transparente mit Aufschriften wie »Love and Peace«. Damit gleichen die Schülerdemos den großen Friedensdemos der Erwachsenen. Unwahrscheinlich ist, dass sich eine politische Bewegung entwickelt, die Bestand haben wird, wenn das Medieninteresse am Krieg nachlässt. Es sind kleine Gruppen, die die Streiks organisieren, keine neue Generation Peace.

Kontinuierlich arbeitende Friedensgruppen und radikale linke Jugendliche gibt es nur wenige, aber es gibt sie. Die Berliner SchülerInnen gegen den Krieg gründeten sich bereits nach dem 11. September 2001, und eine Demo der Antifa-Jugend Göttingen am 21. März stand unter dem Motto: »War is not the Answer – Revolution is it.« Dort wurde über die Lage im Irak und die Interessen der Großmächte informiert und die deutsche Friedensbewegung kritisiert. »Das war eine meiner bedrohlichsten Erfahrungen im Schuldienst«, erzählte eine Lehrerin dem Göttinger Tageblatt, »so viel Gewaltbereitschaft und hasserfüllte Gesichter habe ich noch nie gesehen«. Das Blatt ließ auch noch andere Lehrer zu Wort kommen, die lediglich von demonstrierenden Schülern, die später umgekehrt seien, zu berichten wussten. Unter Transparenten mit dem Satz »Ich scheiße auf Deutschland« hätten sie nicht demonstrieren wollen.

Die Hamburger Studierendenvertretungen rufen zu einer Demonstration mit den SchülerInnen am Mittwoch, den 2. April, um 17 Uhr auf dem Gänsemarkt auf.