»Eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert«

Ralf Fücks

Mit dem Beginn des Irakkriegs scheint die alte Weltordnung passé zu sein, die Kluft zwischen den Europäern und den USA ist so groß wie noch nie. Ralf Fücks ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Er legt Wert darauf, dass er in diesem Interview nur seine persönliche Meinung wiedergibt. Vor wenigen Tagen kehrte er von einer Reise aus den USA zurück. Mit ihm sprach Anton Landgraf.

Die Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten wendet sich gegen den Irakkrieg. Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seinem frühen Nein zum Krieg doch Recht behalten?

Ja und Nein. Es gibt gute Gründe gegen diesen Krieg, und die Bundesregierung steht im Einklang mit der großen Mehrheit der Bevölkerung. Gleichzeitig ist der Krieg nicht verhindert worden, und wir verzeichnen einen maximalen Kollateralschaden der internationalen Institutionen, auf denen die Sicherheit und Stabilität nicht nur Europas beruht: EU, Nato und die UN. Vielleicht hätte eine andere Politik, die Kombination eines aggressiven Inspektionsregimes mit einer glaubwürdigen Drohung gegenüber Saddam Hussein, die USA doch noch im Boot des Sicherheitsrates gehalten.

Wie bedeutend war die Haltung der Bundesregierung für die Entwicklung in der Uno?

Entscheidend war der Kurswechsel der französischen Regierung hin zur Vetodrohung im Sicherheitsrat. Für Paris ergab sich durch die deutsche Haltung eine historische Gelegenheit, das alte gaullistische Projekt zu reaktivieren: die Abkopplung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik von den USA. Zum ersten Mal in der Nachkriegszeit war es einer französischen Regierung möglich, eine Achse mit Deutschland gegen die USA zu bilden und sich selbst als außenpolitische Vormacht Europas ins Spiel zu bringen.

Wieso kam es in der Irakfrage zum Bruch?

Der Irakkonfikt wurde zum Kampfplatz für eine Neujustierung der internationalen Beziehungen. Es gibt genügend Stimmen gerade in der Linken, die die Eindämmung der USA als das wichtigste Ziel einer deutschen und europäischen Außenpolitik ansehen. Dann ist es logisch, eine Achse mit Russland und China anzustreben, um ein Gegengewicht zu den USA zu bilden. Nach dem Ende der Blockkonfrontation winkt eine Rückkehr zur Gleichgewichtsdiplomatie des 19. Jahrhunderts.

Stellt die deutsch-französische Politik nicht immerhin eine Alternative zu gewaltsamen Konfliktlösungen dar, wie sie offenbar die USA vorziehen?

Frankreich geht es ja nicht darum, Europa als pazifistische Macht und als Korrektiv zum amerikanischen Militarismus zu konstituieren, sondern es geht um eine auch militärisch eigenständige Supermacht. Dazu gehören der Aufbau einer europäischen Rüstungsindustrie, die Entwicklung europäischer Flugzeugträger und Langstreckentransporter mit dem Ziel globaler Interventionsfähigkeit. Dass eine europäische Abkopplung von den USA zu einer Entmilitarisierung der Weltpolitik beitragen würde, wie es bei uns viele USA-Kritiker hoffen, halte ich für eine naive Vorstellung.

Auch deutsche Konservative fordern zunehmend eine Revision des transatlantischen Verhältnisses.

Die USA waren in der Nachkriegszeit immer gleichzeitig Schutzmacht und Vormund. Diese Zeit ist vorbei. In der Abwehr gegen die Hegemonialmacht USA mischen sich nun außenpolitische mit kulturellen Motiven: Verachtung gegenüber der amerikanischen Massenkultur, Abwehr der kulturellen Dominanz der US-Medienindustrie. Auch das Bild vom »US-Bombenterror« sitzt tief. So sind schon beim letzten Golfkrieg Transparente aufgetaucht, die von Dresden über Hiroshima bis Bagdad eine Kontinuität amerikanischer Kriegsverbrechen propagierten.

Eine Kritik, die auch von vielen Linken geteilt wird.

Ich will nicht die Motive gleichsetzen, aber offenkundig gibt es eine die Lager übergreifende Konvergenz in der Amerikakritik. In Teilen der Linken wie in konservativen Kreisen gibt es eine tief sitzende Ablehnung der amerikanischen Gesellschaft, die als neoliberales Projekt gesehen wird. Dagegen wird Europa als sozialstaatliches Gegenmodell betrachtet. Eine unabhängige europäische Sicherheitspolitik soll auch als Schutzschild dienen, um den eigenständigen gesellschaftspolitischen Weg Europas zu sichern.

In Europa sehen sich viele mehr von George W. Bush als von Saddam Hussein bedroht.

Die Bedrohung durch aggressive und despotische Regime wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Bei uns dominiert eine Tendenz zur Verharmlosung, während in den USA eine starke Dramatisierung vorherrscht. Der amerikanische Alptraum, den man ernst nehmen muss, ist ein 11. September mit ABC-Waffen. Daraus folgt ein breiter Konsens in der US-Gesellschaft, bei allen politischen Differenzen, dass man gegen diese Bedrohung eine präventive Strategie wählen muss. Dieses Bewusstsein existiert in Europa kaum.

In Europa gehen viele davon aus, dass der Terrorismus nur ein Vorwand für die USA sei, um ihre materiellen Interessen in der Region zu kaschieren.

Ein Motiv für die US-Regierung ist die Sorge, dass der Irak zu einer Quelle der Proliferation von biologischen und chemischen Waffen an terroristische Gruppen werden könnte.

Ein zweites Motiv ist eine strategische Neuordnung des Nahen Ostens. Aus dieser Sicht dient der Irak als eine Art Hebel, um die Modernisierungsblockade in der arabischen Welt aufzubrechen. Der Nahe Osten wird in der US-Administration und den neokonservativen Think Tanks als Brutkasten des internationalen Terrorismus gesehen. Die autoritären Regime blockieren die gesellschaftliche Modernisierung, das führt zu einer Spirale von ökonomischer Krise und Perspektivlosigkeit in der jüngeren Generation, die in politische Radikalisierung und religiösen Fundamentalismus mündet. Sie finden in den USA eine fast ingenieurhafte Vorstellung, die politische Landkarte neu zu gestalten, ohne dass klar wäre, wie ein Demokratietransfer funktionieren könnte.

Und das Öl spielt keine Rolle?

Erdöl spielt sehr wohl eine Rolle, aber in einem komplexeren Sinn, als es die Parole »Kein Blut für Öl« glauben machen will. Es soll verhindert werden, dass die Golfregion von Regimes kontrolliert wird, die das Öl als Waffe gegen den Westen benutzen könnten, indem sie mit den Einnahmen aus den Ölexporten die Aufrüstung mit Massenvernichtungswaffen finanzieren oder terroristische Netzwerke wie al-Qaida hochziehen.

Wieso spielt die Meinung der irakischen und kurdischen Opposition zum Krieg hierzulande kaum eine Rolle?

Es gibt gerade in der linksliberalen Öffentlichkeit eine ungute Tradition, unangenehme Tatsachen zu verdrängen, wenn sie mit unangenehmen Konsequenzen verknüpft sind. Das war auch lange Zeit bei den »ethnischen Säuberungen« in Bosnien der Fall. Auf dem Balkan konnte man sich angesichts der umfangreichen Berichterstattung irgendwann nicht mehr gegen die brutale Wirklichkeit abschotten. Im Falle des Irak ist das möglich, obwohl das Regime in den letzten 20 Jahren Hunderttausende das Leben gekostet hat. So gibt es auch eine Immunisierung gegenüber den Stimmen der irakischen Opposition, weil sie die eigene Antikriegsposition in Frage stellen. Dabei wäre es das Mindeste, die Vertreter der irakischen Opposition und der kurdischen Nationalregierung wenigstens anzuhören, auch wenn man ihren Ruf nach militärischer Intervention nicht teilt.

Hans-Christian Ströbele hat von der Bundesregierung verlangt, den USA die Überflugrechte zu verweigern.

Ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung die Beziehungen zu den USA nicht irreparabel beschädigen wird. Ein deutliches Signal ist auch die Bereitschaft, sich beim Wiederaufbau des Irak zu beteiligen. Für alle, die ihre Tassen noch im Schrank haben, ist das ein Auffangszenario, um die UN und den Sicherheitsrat wieder ins Spiel zu bringen und zugleich die transatlantischen Beziehungen zu reaktivieren.