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Dichter und Richter

Türkei. »Meine Bücher erscheinen in 30 bis 40 Sprachen, nur in meiner Türkei, in meiner Muttersprache, sind sie verboten«, schrieb der wohl bedeutendste türkische Dichter, Nazim Hikmet, kurz vor seinem Tod im Jahr 1963. Recep Tayyip Erdogan hingegen hat seine Jugend nicht im Kampf für, sondern gegen den Kommunismus verbracht, er saß auch keine zwölf Jahre im Knast, sondern nur vier Monate, und Gedichte schreibt er auch nicht, sondern zitiert allenfalls aus welchen, in denen sich Minarette und Moscheen in Bajonette und Kasernen verwandeln.

Die Diskrepanz zwischen der Anerkennung im Ausland und Problemen mit den Behörden im Inland erlebt aber auch Erdogan. So wurde der Vorsitzende der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) nach deren Wahlsieg im November in Europa und den USA de facto als Staatsgast empfangen, erst in der letzten Woche vertrat er die Türkei in Davos. Kurz zuvor hatte das türkische Verfassungsgericht beschlossen, dass Erdogan mit seinem Rücktritt als Gründungsmitglied der AKP auch »automatisch« als deren Vorsitzender zurückgetreten sei.

Inzwischen aber hat die Regierung das Parteiengesetz geändert, auf dessen Grundlage Erdogan im letzten Herbst das passive Wahlrecht entzogen wurde, sodass er als Parteigründer zurücktreten musste. Keine 24 Stunden später wählte ihn der Vorstand der AKP erneut zum Vorsitzenden. Ein Zeichen für einen Machtkampf ist diese Eskapade allerdings wohl kaum, sondern sie bezeugt nur den Starrsinn türkischer Richter, die nicht nur Hikmet in den Knast schickten, sondern auch Franz Kafka verknacken wollten. 70 Jahre nach dessen Tod.

In der Luft I

Griechenland. Zum Symbol ihrer EU-Ratspräsidentschaft hat die griechische Regierung eine fliegende Schwalbe gewählt. Damit habe er ein Zeichen für die »Wiedergeburt und für die Vereinigung von Ost- und Westeuropa« schaffen wollen, erklärte der Künstler Pavlos Xenikoudakis. Für Flüchtlinge könnte es allerdings eher ein Zeichen dafür sein, wie sie künftig in die Union gelangen können.

Die strengere Bewachung und Kontrolle der Grenzen ist eine der Prioritäten des griechischen Regierungschefs Kostas Simitis. »Europa soll die bereits hier lebenden Ausländer aufnehmen und gleichzeitig die Außengrenzen effektiv überwachen, um die Flut der Wirtschaftsflüchtlinge zurückzuweisen. Die Gesellschaften können sie nicht mehr verkraften«, lautet seine Devise. An der griechischen Küste und an der Landesgrenze zur Türkei sind die Ergebnisse dieser Politik bereits jetzt zu beobachten. Allein in den vergangenen drei Wochen sind dort nach offiziellen Angaben etwa 20 Flüchtlinge ums Leben gekommen.

In der Luft II

Frankreich. Nicht nur die Einreise nach Europa ist oft lebensgefährlich. Auch die erzwungene Abschiebung kann für Flüchtlinge tödlich enden. Am Dienstag der vergangenen Woche wurden drei Polizisten vom Dienst suspendiert, die wenige Tage zuvor den somalischen Füchtling Getu Hagos Mariame bei seiner Abschiebung bewachten. Während des Flugs von Paris nach Mogadischu wurde er bewusstlos. Zwei Tage später starb er in einem Pariser Krankenhaus. Eine Autopsie soll nun die Todesursache klären. Allerdings besagt eine »natürliche Todesursache«, wie sie beispielsweise bei Ricardo Barrientos festgestellt wurde, nicht besonders viel. Der 52 Jahre alter Argentinier starb am 30. Dezember während seiner Abschiebung. Wie die Tageszeitung Libération berichtete, wurde er während des Fluges von zwei Beamten gezwungen, sich nach unten zu beugen. Beim Versuch, sich gegen die Zwangsmaßnahme zu wehren, erlitt er einen Herzinfarkt. Die Leiche wurde wenig später, wie Augenzeugen berichteten, »wie ein Sack Kartoffeln« weggetragen.

Geld auf der Flucht

EU-Finanzpolitik. Jahrelang haben sich die Mitgliedsstaaten der EU nicht darüber einigen können, wie sie mit den so genannten Steuerflüchtlingen umgehen sollen. Jetzt ist der deutsche Finanzminister Hans Eichel endlich glücklich. Von einem »historischen Kompromiss« war nach dem Treffen der EU-Finanzminister am Dienstag der vergangenen Woche in Brüssel die Rede. Die Minister vereinbarten, im nächsten Jahr eine einheitliche Steuer auf Zinserträge einzuführen und gegenseitig Informationen auszutauschen. Nur Österreich, Luxemburg und Belgien wollen noch bis zum Jahr 2010 warten. Damit ist es den europäischen Finanzministerien erstmals möglich, innerhalb der Union die Steuerflucht zu unterbinden. Allein das Ministerium in Berlin rechnet damit, dass 100 Milliarden Euro wieder nach Deutschland zurückfließen werden. Es sei denn, die Anleger überlegen es sich doch noch anders und flüchten mit ihrem Kapital auf die Bahamas.