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Talibanisierung ohne Taliban

Afghanistan. Kunden gibt es noch wenige, aber wer das Geld hat, kann in Kabul schon zwischen vier Anbietern von Kabelfernsehen wählen. Zu sehen gab es allerdings in der vergangenen Woche nichts, denn der Oberste Richter Fazl Hadi Shinwari verfügte die Abschaltung der Kabelnetze. »Nacktheit und Prostitution« in den Programmen hätten ihn zu dieser Entscheidung gezwungen, erläuterte er. Auch eine strikte Geschlechtertrennung will der islamistische Jurist wieder einführen: »Ich kann explizit sagen, dass Koedukation im Islam nicht erlaubt ist, und ich will, dass die Gesetze des Islam befolgt werden.« Im westafghanischen Herat gelten sie bereits, und sie führten dazu, dass ein großer Teil der Mädchen mangels Lehrerinnen keinerlei Ausbildung erhalten kann.

In der Regierung Hamid Karzais scheinen die Islamisten weiter an Einfluss gewonnen zu haben. Der Kulturminister Makhdom Raheen forderte zwar eine Debatte des Kabinetts über die Entscheidung Shinwaris. Ansonsten aber zeigen weder die in der Regierung vermuteten säkularen Kräfte noch die westlichen Interventionstruppen besonderen Eifer, die Retalibanisierung zu stoppen.

Nuklearer Deal

Indien. »Wir geraten in einen Strudel, der das Wettrüsten bei Atomwaffen und Raketen beschleunigt«, kommentierte Praful Bidwai von der indischen Coalition for Nuclear Disarmament and Peace. Auf wechselseitige Drohungen und Raketentests folgte Anfang der vergangenen Woche der Abschluss eines Rüstungsgeschäfts mit Russland, das Indien wesentlich bessere Möglichkeiten gibt, seine Atombomben ins Ziel zu bringen. Für insgesamt fast drei Milliarden Euro erhält Indien unter anderem vier Tu22-Langstreckenbomber und zwei Atom-U-Boote, die einen atomaren Vergeltungsschlag nach einem Überraschungsangriff ermöglichen. Beide Staaten vereinbarten außerdem die gemeinsame Entwicklung einer Cruise Missile, die ebenfalls nuklear bestückt werden kann.

Indische Militärstrategen, so Bidwai, seien zu dem Schluss gekommen, dass sie die Überlegenheit ihrer konventionellen Streitkräfte nicht erfolgreich gegen Pakistan einsetzen könnten, sehen aber weiter die Notwendigkeit, den feindlichen Nachbarn »bestrafen« zu können: »Eine solche Strategie würde ein hohes Niveau der Vorbereitung und Bereitschaft erfordern, nukleare Waffen einzusetzen.«

Falsch zitiert

Nigeria. »Ich habe keinen Leibwächter«, erklärte Isioma Daniel der BBC, »mir wird nicht die Priorität gegeben, die Salman Rushdie wahrscheinlich hatte, weil die Fatwa von einem säkularen Staat ausgesprochen wurde.« Die Journalistin hatte im November des vergangenen Jahres die Vermutung geäußert, der Prophet Muhammad wäre einer Heirat mit einer der Kandidatinnen zur Wahl der Miss World nicht abgeneigt gewesen (Jungle World, 49/02). Oligarchen und Islamisten im Norden Nigerias, wo die Sharia gilt, inszenierten daraufhin Ausschreitungen, bei denen mehr als 200 Menschen starben, und Mamadu Aliyu Shinkafi, der Vizegouverneur des Bundesstaats Zamfara, forderte »alle Muslime, wo immer sie sind«, auf, »die Tötung der Autorin als religiöse Pflicht zu betrachten«. Daniel lebt seither im Untergrund.

Zumindest von diesem Mordaufruf hat sich Gouverneur Ahmed Sani Yerima in der vergangenen Woche distanziert. Sein Stellvertreter sei »falsch zitiert« worden, er habe kein Todesurteil verhängt, sondern nur die »Position des Islam« formuliert. Sollte Daniel in Zamfara auftauchen, müsse sie jedoch mit einem Verfahren vor einem Sharia-Gericht rechnen.

Cointelpro in Neuauflage

USA. Die US-amerikanische Bundespolizei FBI hat begonnen, im Rahmen des »Krieges gegen den Terror« Verbindungen zu hunderten campus police departments aufzubauen oder zu verstärken. Mindestens an einem Dutzend Universitäten, berichtet die Washington Post, hat das FBI Universitätspolizisten als Mitglieder in lokale Joint Terrorism Task Forces integriert. Sie sollen nach offiziellen Angaben potenzielle terroristische Bedrohungen ausfindig machen und ein Auge auf die 200 000 ausländischen Studenten werfen.

Das erinnert auffällig an das Counter Intelligence Program (Cointelpro) des ehemaligen FBI-Chefs J. Edgar Hoover, das 15 Jahre lang, bis 1971, Bestand hatte. Es beinhaltete die Infiltration linker Antikriegs- und Bürgerrechtsgruppen, das Anlegen von Dossiers über Aktivisten, die Herausgabe von Campus-Zeitungen mit gefälschten Informationen, Provokationen und alles andere, was das Herz eines Counterinsurgency-Spezialisten erfreut.

Der Kreml lässt versteigern

Russland. 75 Prozent der Aktien von Slavneft, Russlands achtgrößtem Ölkonzern, haben den Besitzer gewechselt. Für rund 1,86 Milliarden Dollar. Das war kein hoher Preis. Die chinesische Firma CNPC war der Washington Post zufolge bereit, mehr als vier Milliarden zu bezahlen. Aber der russische Staat bevorzugt »patriotische« Oligarchen, vor allem wenn sie aus dem Dunstkreis des Kreml stammen. Und so gingen die Aktien an eine Gesellschaft, die zwei Rivalen repräsentiert: den Ölkonzern Sibneft, der dem Kremlinsider Roman Abramovich gehört, und die Ölgesellschaft TNK, die sich dafür die Kontrolle über einige Sibneft-Aktiva einhandelte.

Bereits im Sommer kursierten Gerüchte, der Kreml habe Sibneft zum Gewinner der Auktion um Slavneft bestimmt. Sibneft kontrolliert de facto Russlands größtes TV-Netzwerk Kanal 1. Es erreicht 97 Prozent der Haushalte in elf Zeitzonen und ist ein gutes Instrument, um Präsident Wladimir Putins Wiederwahl zu erleichtern.