Leben für die Macht

In der vergangenen Woche starb der Unternehmer Giovanni Agnelli. In den letzten 35 Jahren bestimmte er die Politik Italiens mit. von wibke bergemann

Über Jahrzehnte war die Wirtschaftsmacht in Italien sehr einfach strukturiert. In der Mitte stand das Unternehmen Fiat und an dessen Spitze stand Giovanni Agnelli. Mit seinem Tod am Freitag der vergangenen Woche geht in Italien eine Epoche zu Ende.

Agnelli war der Patriarch eines der letzten großen europäischen Familienunternehmen. Im Nachkriegsitalien sorgte es dafür, dass aus einem Agrarland die fünftgrößte Industrienation der Welt wurde. Die Umsätze von Fiat übertrafen um das Fünf- bis Sechsfache die der anderen großen Industrieunternehmen des Landes. Unter Agnellis Führung gelang es, den typisch italienischen Kleinwagen zu einem Exportschlager zu machen.

Unterdessen kaufte Fiat die inländische Automobilproduktion auf: Alfa Romeo, Lancia und die Luxusmarke Ferrari. Zudem erwarb die Familie Anteile an Banken, Versicherungen, Unternehmen in der Schwerindustrie oder an Verlagen wie dem Mailänder RCS, der auch die Tageszeitung Corriere della Sera herausgibt. Zum weit verzweigten und unüberschaubaren Imperium Agnellis gehören auch die Turiner Tageszeitung La Stampa, die Kaufhauskette Rinascente und der Fußballverein Juventus Turin.

Doch das Ende der Erfolgsgeschichte kündigte sich bereits zu Beginn der neunziger Jahre an. Zu sehr verließ sich Agnelli auf ein mittlerweile veraltetes System aus niedrigen Löhnen und staatlichem Protektionismus. Zugleich verpasste er es, in die Forschung zu investieren und Innovationen zuzulassen. Innerhalb eines Jahrzehnts sank der Marktanteil des Unternehmens in Italien von 60 auf 30 Prozent. Zahlen für das Jahr 2002 liegen noch nicht vor, erwartet werden aber weitere Verluste, die zehn Prozent über denen des Vorjahres liegen sollen. Das Unternehmen ist nach Schätzungen mit mehr als drei Milliarden Euro verschuldet. Die Mehrheit der zu Wohlstand gekommenen Italiener fährt inzwischen importierte Wagen.

Agnellis gleichnamiger Großvater gründete das Unternehmen im Jahr 1899. Er war der erste italienische Industrielle, der in den USA den Fordismus studierte, um ihn in seinen eigenen Produktionsstätten einzuführen. Als sein Enkel 1966 Fiat übernahm, hatte er keine Ahnung von der Automobilproduktion. Bisher hatte sich Giovanni Agnelli vor allem als Lebemann im internationalen Jet Set getummelt und Hollywood-Diven wie Rita Hayworth den Kopf verdreht. Immerhin war er der Abkömmling eines Clans, der für die Italiener ungefähr das ist, was die Royals für die Briten sind.

Seine Fabriken betrat Agnelli so gut wie nie. 130 000 Arbeiter beschäftigte das Unternehmen, als er die Führung übernahm. Drei Jahre später, im heißen Herbst von 1969, erreichten die Proteste auch die Fiat-Werke. Es folgten die Siebziger, die »Jahre der Anarchie und der allgemeinen Zerstörung«, wie Agnelli sie bezeichnete. Die sozialen Auseinandersetzungen bescherten Fiat zahlreiche Streiks. Sein Gesicht zierte unzählige Demo-Plakate. 1973 wurde das Turiner Werk Mirafiori besetzt. Gerüchten zufolge dachte Agnelli in jenen Jahren ernsthaft darüber nach, das Unternehmen ins Ausland zu verlagern.

1975 sah sich er sich als Vorsitzender des Industrieverbandes Confindustria zu Zugeständnissen genötigt. Er unterzeichnete den Vertrag über die so genannte Scala Mobile, die automatische Anpassung der Löhne an die Inflation. Doch Agnelli gab sich nicht geschlagen. 1979 entließ er 61 Arbeiter mit der Begründung, sie hätten sich des Terrorismus verdächtig gemacht. Ein letzter Höhepunkt der Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften war der »Marsch der 40 000« im Herbst 1980 in Turin. Von Agnelli bis zu den Neofaschisten wurden alle möglichen Personen als Drahtzieher hinter der erfolgreichen Demonstration der Streikbrecher vermutet. Danach wurde es ruhiger in seinen Werken.

Als Agnelli 75 Jahre alt wurde, gab er die Führung des Konzern ab. Doch auch als Ehrenvorsitzender behielt er bei Fiat die Fäden in der Hand. Der Ehrensenator auf Lebenszeit war über Jahrzehnte einer der mächtigsten Männer des Landes. Als Chef des größten Konzerns ließ Agnelli immer wieder seinen Einfluss spielen. So wurden Autobahnen gebaut, damit die Italiener ihre Fiats ausfahren konnten. Einfuhrzölle bis 45 Prozent schützten die heimische Automobilindustrie vor ausländischer Konkurrenz. Agnelli wusste stets seine engen Beziehungen zur jeweiligen italienischen Regierung zu nutzen. Noch in der neuen Rechtsregierung machte er seinen Einfluss geltend. Ministerpräsident Silvio Berlusconi ernannte Agnellis Vertrauten Renato Ruggiero zum Außenminister.

Agnellis Tod kam nicht überraschend. Im Frühling des vergangenen Jahres gab der 81jährige bekannt, dass er an Prostatakrebs erkrankt sei. Einen Wunscherben hatte er auch bereits auserkoren. Sein Aktienpaket von über 30 Prozent übertrug er seinem Enkel John Elkann. Der 26jährige ist nun Mehrheitsaktionär der Familien-AG. Neuer Vorsitzender wird vorerst der jüngere Bruder des Verstorbenen, der 68jährige Umberto Agnelli.

Ihm stehen keine leichten Zeiten bevor. Er muss sich mit 70 weiteren Angehörigen des Clans einig werden. Der Anteil der Familie am Konzern liegt zudem mittlerweile nur noch bei 30 Prozent, große Teile sind in den Händen der Gläubigerbanken. Für das kommende Jahr hat sich General Motors die Option gesichert, die Autosparte von Fiat ganz zu übernehmen. Eine Verlagerung der Produktion ins Ausland wäre dann so gut wie sicher. Der neue Chef Umberto Agnelli soll schon seit längerem dafür eintreten, dass die Familie ganz aus der Automobilindustrie aussteigt.

Denn ein Ende der Krise bei Fiat ist nicht in Sicht. Rund 8 000 Angestellten droht die Kündigung. So reagierten selbst die Arbeiter in den Fiat-Werken, die seit Monaten mit wiederholten Streiks gegen Massenentlassungen und die Werksschließung in Termini Imerese protestieren, betroffen auf Agnellis Tod. Die Metallergewerkschaft Fiom sagte den für Freitag geplanten Streik in den Turiner Mirafiori-Werken ab. Viele der Beschäftigten, die um ihre Arbeitsplätze fürchten, sahen eine letzte Hoffnung darin, dass sich der Patriarch für »seine« Arbeiter einsetzen werde.

Bezeichnenderweise reagierte die italienische Börse positiv auf die Meldung von Agnellis Tod. Mehr als vier Prozent gewann die Aktie am vergangenen Freitag. Offenbar versprechen sich die Anleger, dass nun, nach dem Tod des Ehrenvorsitzenden, der Weg frei ist für die geplanten Umstrukturierungen bei Fiat.