Die Bildungspolitik der Bundesregierung

Komm nach Harvard!

Die Bundesregierung will die Quote der Studierenden deutlich erhöhen. Mit Eliteschulen und Studiengebühren wird ihr das nicht gelingen.

Der deutsche Stolz wurde wieder einmal zutiefst verletzt. »Die Bundesrepublik erleidet eine weitere schwere Bildungsschlappe«, schrieb die Frankfurter Rundschau in der vorigen Woche nach der Veröffentlichung der Studie »Bildung auf einen Blick« der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Tatsächlich war das Ergebnis der jährlichen Erhebung »verheerend«, wie es die Zeitung ausdrückte. Besagte es doch nichts anderes, als dass die Deutschen bei der Zahl der Hochschulabschlüsse immer weiter zurückfallen.

Nur etwa 30 Prozent eines Jahrgangs erlangen momentan in Deutschland die Hochschulzugangsberechtigung. Im Durchschnitt der Länder der OECD sind es immerhin 45 Prozent, in Finnland fast 70 Prozent eines Jahrgangs, die eine Universität besuchen. Deutschland hat zu wenig Studenten. Wer hätte das gedacht?

Geht es nach der rot-grünen Koalition, dann sollen demnächst 40 Prozent der Schüler eines Jahrgangs studieren. So steht es zumindest im Koalitionsvertrag. Selbst diese Quote wäre nicht wirklich hoch. Doch die Bundesregierung hat bisher nicht erklärt, wie sie ihr Ziel erreichen will. Nötig wäre eine grundlegende Reform des Schulwesens sowie der Regelung des Hochschulzugangs. Doch von einer solchen Reform ist in den Bundes- und Landesministerien kaum die Rede.

Selbst das überaus peinliche Abschneiden bei der Pisa-Studie brachte die Verantwortlichen nicht dazu, eine gemeinsame Linie für eine umfassende Bildungsreform zu finden. Gern wird eine Umverteilung innerhalb des Bildungswesens gefordert. Dabei fehlen an Kindergärten, Schulen und Hochschulen gleichermaßen die Mittel für das Personal, für die pädagogisch-didaktische Ausbildung und die technische Infrastruktur.

Statt über die Erhöhung der Studentenzahl diskutieren die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und andere einflussreiche Akteure wie das von der Bertelsmann AG gegründete Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) lieber über die Auswahlverfahren und eine stärkere Selektion beim Hochschulzugang. Baden-württembergische Hochschulen sind bereits dabei, Eignungsprüfungen für verschiedene Studiengänge im großen Maßstab einzuführen.

In den letzten Jahren hat sich der Trend fortgesetzt, das Angebot an öffentlichen Hochschulen nicht weiter auszubauen. Stattdessen entstand eine ganze Reihe von Elitehochschulen. Sie werden auch und gerade in sozialdemokratisch regierten Ländern mit staatlichen Mitteln unterstützt. Meist könnten diese Hochschulen ihren Lehrbetrieb ohne öffentliche Zuschüsse nicht aufrechterhalten.

Zwei Hochschulen, die in letzter Zeit besondere Aufmerksamkeit erlangten, waren die International University Bremen (IUB) und die European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin. Die IUB ist eine Zweigstelle der Rice University Texas. Sie wurde vom Land Bremen mit 118 Millionen Euro gefördert. Die ESMT wurde am vergangenen Donnerstag in Berlin von 25 Unternehmen und Verbänden und im Beisein von Bundespräsident Johannes Rau gegründet. Ihr wurde gleich ein Gebäude in der Berliner Innenstadt zur Verfügung gestellt. Die Sanierung soll 25 Millionen Euro kosten. Staatliche Beihilfen sind im Gespräch.

»Gemeinsam ist allen Projekten eine große Selektivität. Diese Hochschulen verstehen sich als Eliteeinrichtungen, an welchen nur die 'Besten' ihren Platz haben. Solche Vorstellungen sollen unter anderem über Zugangsprüfungen geregelt werden. Das heißt selbstverständlich auch, dass Eliteschulen keine allgemein zugänglichen Hochschulen mehr sind, da sonst der Elitecharakter nicht gewahrt werden kann«, kritisiert Lars Schewe vom Vorstand des freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften.

Der Elitecharakter dieser Hochschulen erklärt auch das Interesse von Unternehmen, sie zu fördern. Die Elitehochschulen verstehen sich weniger als Bildungseinrichtungen, sondern als Auswahleinrichtungen, in denen die »besten« StudentInnen gefunden werden sollen, um sie für den Markt zu formen. So nehmen diese Hochschulen den Firmen in der Personalauswahl die Arbeit ab.

Dass die staatliche Förderung von Privathochschulen im Gegensatz zum allseits verkündeten Sparzwang steht, scheint niemanden zu stören. Gerade das Konzept der Elitenbildung findet in der Politik großes Interesse. Eine Erhöhung der Studentenquote mit dem Aufbau von Eliteschulen erreichen zu wollen, ist jedoch völlig abwegig.

Ebenso wenig wird die Einführung von Studiengebühren jemanden an die Universitäten locken. »Studiengebühren spielen im Hinblick auf den Hochschulzugang eine wesentliche Rolle. Gerade das scheinen die rot-grünen BildungspolitikerInnen noch nicht begriffen zu haben«, kommentiert Markus Struben vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren die Pläne zur Vermehrung der Studenten.

Die Bundesregierung verabschiedete im Juli ein Änderungsgesetz zum Hochschulrahmengesetz, mit dem die Einführung von Studiengebühren de facto beschlossen wurde. Zwar sollte das neue Gesetz angeblich ein gebührenfreies Erststudium sichern, stattdessen wurden aber bestehende Studiengebührenmodelle, wie die Gebühren für so genannte LangzeitstudentInnen in Baden-Württemberg oder die Zweitstudiumsgebühren in Bayern, gesetzlich erlaubt.

Das hat für die Studierenden weit reichende Folgen. In Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wurde die Einführung verschiedener Studiengebührenmodelle beschlossen, in anderen Bundesländern wird über die Modelle leidenschaftlich diskutiert. Sie haben einen enormen Einfluss auf die Studentenquote und die Zusammensetzung der Studierenden.

Kinder aus Familien mit niedrigen Einkommen können sich schon heute wegen hoher Lebenshaltungskosten und unzureichender Bafög-Förderung häufig kein Studium mehr leisten. Die Einführung von Studiengebühren wird noch mehr Jugendliche vom Studium ausschließen.

Als vor drei Jahren in Baden-Württemberg Studiengebühren für so genannte LangzeitstudentInnen eingeführt wurden, verschwanden 40 Prozent von ihnen aus den Statistiken, ohne dass sich diese Zahl in einem Anstieg der Studienabschlüsse widergespiegelt hätte. Abbruch statt Abschluss - das ist die reale und messbare Wirkung von Studiengebühren im Allgemeinen. Tausende Studierende mussten und müssen wegen der Einführung von Gebühren ihr Studium abbrechen und die Hochschule ohne Abschluss verlassen.

»Die geplante Erhöhung der Studierquote ist eine Farce. Bei einer Schaffung neuer Zugangsbarrieren zum Hochschulstudium gleichzeitig die Studierquote erhöhen zu wollen, ist unmöglich«, erklärt Struben.