Vorwärts und vergessen

Nach dem Wahlsieg bemüht sich die Bundesregierung plötzlich wieder um ein gutes Verhältnis zu den USA.

Es gibt verschiedene Arten, sich zu entschuldigen. Berlins CDU-Vorsitzender Christoph Stölzl zum Beispiel zeigte in der vergangenen Woche gegenüber SPD, Grünen und PDS nur sehr verhaltene Einsicht: Sollte er sich »wirklich missverständlich ausgedrückt haben«, sagte Stölzl, dann tue es ihm »selbstverständlich Leid«. Er entschuldige sich bei allen, die »sich verletzt fühlen«.

Verletzt fühlten sich die rot-grünen Wahlsieger sowie die Verlierer von der PDS in der Tat. Stölzl habe sie mit den Nazis verglichen, so der Vorwurf. Der Berliner CDU-Vorsitzende hatte im Gespräch mit einem Radiosender das Votum für Rot-Grün bei den Bundestagswahlen als einen »Sieg der Unvernunft über die Vernunft« bezeichnet. »Die Deutschen haben immer Unglück gehabt, wenn sie sich irrationalen Stimmungen hingaben oder sich mit Propagandaphrasen in Gang bringen ließen. Das war 1914 so, das große Unglück der Erdrutsch-Wahlen von 1931/32 war so. Und sie waren immer im Glück, wenn sie nüchtern waren«, sagte er.

Ein neuer relativierender Vergleich also, nachdem zuvor bereits die noch amtierende Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin den US-Präsidenten George W. Bush mit Adolf Hitler in Verbindung gebracht hatte. Doch bei Stölzl scheint SPD, Grüne und PDS besonders gestört zu haben, dass sein Vergleich nicht auf Repräsentanten anderer Länder abzielte, sondern ein wahrlich deutsches Problem thematisierte. Auf den Sturm der Entrüstung reagierte der Christdemokrat mit einer Entschuldigung.

Auch die rot-grüne Bundesregierung kennt sich mit solchen Gesten bestens aus. Oder vielmehr damit, wie man sie vermeiden kann. Kaum war ihre Mehrheit im Bundestag bestätigt, bemühten sich die Vertreter der Regierung, den Schaden ihres antiamerikanischen Wahlkampfs zu begrenzen. Sah man im Kanzleramt wie im Auswärtigen Amt gleichermaßen bis zum Abend des 22. September angeblich keine Notwendigkeit für einen direkten Kontakt mit den Regierungsvertretern in Washington, so kam es nach dem Wahlsieg plötzlich zu hektischen diplomatischen Aktivitäten.

Bundeskanzler Gerhard Schröder wandte sich schriftlich an Bush, Außenminister Joseph Fischer kündigte eine dienstliche Reise nach Washington an, zum »frühestmöglichen Zeitpunkt«, wie es hieß. Und in London drängte die deutsche Seite auf eine kurzfristige Zusammenkunft zwischen Premierminister Tony Blair und Schröder - nur damit sich der Bundeskanzler dort am Dienstag vergangener Woche als Freund der Briten präsentieren konnte.

Sinn und Ziel der Bemühungen sind nach Aussage von Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye ganz simpel. »Wir werden mit Geduld und der notwendigen Intensität daran arbeiten, dass denkbare Verstimmungen sich auflösen.« Dass die Verstimmungen der US-Seite nicht nur »denkbar« sind, sondern von Anfang an wohl kalkuliert waren, sagt er nicht. Mit offenem Antiamerikanismus Wahlkampf zu machen, ist die eine Sache. Zuzugeben, dass dieses Ressentiment in Deutschland nach wie vor gut funktioniert, eine andere.

Deswegen sah sich bisher aus den rot-grünen Regierungsreihen noch niemand zu einer Entschuldigung bemüßigt. Im Gegenteil. Kaum wird die Belastung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses eingestanden, sind die Hauptverantwortlichen dafür gefunden: Die US-Regierung selbst ist der Übeltäter. Diese, so zeigt sich nämlich der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler überzeugt, habe »wirklich alles getan, um hier die Opposition zu unterstützen«. Eine Parteinahme, die »keineswegs internationalen Gepflogenheiten« entspreche und jetzt offenbar den außenpolitischen »deutschen Weg« rechtfertigen soll. Wenn Deutsche sich mal wieder daneben benehmen, sind eben traditionell die anderen schuld.

Dass der transatlantische Verbündete nun für immer grollt - oder gar seine in Deutschland stationierten Truppenverbände in Nachbarländer verlegt, »die die USA unterstützen und im 21. Jahrhundert bedeutend für die Allianz sein wollen«, wie es der konservative US-Senator Jesse Helms bereits gefordert hat -, glaubt hierzulande niemand. Und so wird außer in den Lippenbekenntnissen des ehemaligen Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber die Forderung nach einer Entschuldigung in Richtung Washington nicht erhoben.

Viel wichtiger scheint nämlich, und da sind sich Bundesregierung, PDS, Bild-Zeitung und die zuständigen Diplomaten einig, jetzt bloß nicht vor den USA zu Kreuze zu kriechen. Geht es nach dem Springer-Blatt, so soll der grüne Außenminister genau das verhindern: »Vielleicht holt Fischer die Kastanien aus dem Feuer. Er hat Kopf und Mumm dazu. Ohne sich und uns zu demütigen.«

Nach dem Motto »Vorwärts und schnell vergessen« setzt die deutsche Diplomatie darauf, dass sich die Beziehungen wieder normalisieren. Mit der Zeit würden sich die Gemüter in den USA schon wieder beruhigen, so die einhellige Meinung. Bis zu den US-Kongresswahlen am 5. November erhofft man keine großen Fortschritte. Wie mit dem gezielten Lancieren von Feindbildern Wahlen gewonnen werden, weiß Rot-Grün ja schließlich aus eigener Erfahrung.

Noch vor dem Nato-Gipfel am 21. und 22. November rechnet die Regierung in Berlin offenbar fest mit einem Treffen zwischen Bush und Schröder. Und wenn Deutschland ab dem 1. Januar nächsten Jahres im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) Platz nimmt und einen Monat später sogar turnusgemäß den Vorsitz des UN-Gremiums übernimmt, wird sich das rot-grüne Kabinett als Regierung eines bedeutenden Global Players präsentieren können.

Denn Schröders im Wahlkampf beschworener »deutscher Weg« war vor allem der deutliche Anspruch einer Möchtegern-Weltmacht. Die Bundesregierung kann es durchaus mit den USA aufnehmen, so die Botschaft. Zugleich setzte sie sich damit auch über andere Bündnispartner hinweg.

So war selbst das gegenüber den USA grundsätzlich negativ eingestellte Frankreich alles andere als begeistert über den Vorstoß Schröders. Der Bundeskanzler hatte seine Position nicht mit Paris abgestimmt, sondern lieber gleich an die Presse gegeben.

Und das nicht aus Versehen. Schröder gilt nicht ohne Grund als Medienkanzler. Der Appell »Greifen Sie zum Telefon, Herr Schröder«, wie ihn beispielsweise der Direktor des Aspen-Institutes für transatlantische Beziehungen in Berlin in der vergangenen Woche publik machte, ist folglich wenig geeignet, das Problem zu lösen.

Handeln nämlich muss ein anderer. In einem Mitte September veröffentlichten Strategie Papier der US-Regierung zur Gefahr des Antiamerikanismus heißt es dazu: »Aus gesundem Menschenverstand und Selbstverteidigung heraus wird Amerika gegen solche sich entwickelnden Bedrohungen vorgehen, bevor sie sich voll ausgebildet haben.« Entsprechend geht es für Washington künftig darum, »dass die Gefahr erkannt und bekämpft wird, bevor sie unsere Grenzen erreicht«.