Tempo, Tempo

Geht es nach den Falken in der Administration von George W. Bush, ist der Präventivschlag gegen die Diktatur von Saddam Hussein überfällig. Aber welche politischen Ziele werden mit dem Angriff auf den Irak verfolgt?

Saddam Hussein und Ussama bin Laden haben etwas gemeinsam. Ihr Verhältnis zu den USA hat sich seit den achtziger Jahren deutlich verschlechtert. In der Reagan-Administration war bin Laden der Gotteskrieger gegen das Reich des Bösen, Saddam Hussein ein sunnitischer, den USA halbwegs freundlich gesonnener Staatsmann, in dessen Nachbarschaft der Iran sich einige Jahre zuvor per Revolution und islamistischer Konterrevolution vom festen Partner der USA zu einem schiitisch-fundamentalistischen Gottesstaat entwickelt hatte.

In der heutigen Doktrin aber sind beide Protagonisten der »Achse des Bösen«, und wenn sich US-Präsident George W. Bush, sein Vize Richard Cheney, Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld, die nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sowie weitere neokonservative Falken aus der Regierung und dem Kongress mit ihrer Meinung durchsetzen, wird auf den Krieg gegen die Taliban in Kürze ein weiterer Krieg gegen den Irak folgen.

Gemessen an den Normen nationalen und internationalen Rechts hatte bereits der Krieg gegen Afghanistan eine dürftige Basis. Nach der US-Verfassung kann nur der Kongress einen Krieg erklären. Das ist im Falle Afghanistans nicht geschehen. Im internationalen Recht ist Krieg als Zustand zwischen zwei Staaten definiert. Der Angriff auf Afghanistan richtete sich, formal gesehen, nicht gegen den afghanischen Staat, sondern gegen das »Terrornetzwerk« Ussama bin Ladens. Da die Taliban-Regierung bin Laden nicht ausliefern wollte oder konnte, wurde ihre Absetzung ebenfalls zum Kriegsziel.

Obwohl es für die Bewohner von Kabul gleichgültig ist, ob ihrer Bombardierung eine juristisch korrekte Kriegserklärung vorausgeht oder nicht, hatte diese Missachtung juristischer Normen durch die US-Regierung, und mehr noch ihre Duldung durch den völlig gelähmten Kongress, weitgehende politische Folgen. Ohne nennenswerten Widerstand wurde etabliert, dass beim »Krieg gegen den Terror«, der sich in der Ausführung und Wirkung von anderen Kriegen durch nichts unterscheidet, eine parlamentarische Kontrolle der Regierung weder notwendig noch erwünscht ist. Außerdem wurde der Präzedenzfall eines unerklärten Krieges mit dem Ziel, die Regierung eines fremden Staates abzusetzen, geschaffen.

Nun ist es vor allem Vizepräsident Richard Cheney, der sich für einen möglichst baldigen Präventivkrieg gegen den Irak stark macht. »Die Risiken der Tatenlosigkeit sind höher als die Risiken des Krieges«, behauptete er Ende August im Jargon eines strategischen Planspiels. Das Ziel des Angriffs sei die Vollendung des Irak-Krieges von 1991, die Absetzung Saddam Husseins. Dieser verfüge bereits über chemische Massenvernichtungswaffen, und er müsse daran gehindert werden, seine Forschungen an biologischen und nuklearen zu vollenden. Selbst der uneingeschränkte Zugang für UN-Waffeninspektoren zu allen irakischen Industrieanlagen sei unzureichend, da die Möglichkeit bestehe, Waffen und Labore zu verstecken und im Land zu bewegen.

Cheneys worst case scenario ist eine Kooperation zwischen Hussein und der al-Qaida. Hussein liefert die Waffen, bin Ladens Selbstmordattentäter bringen sie in US-amerikanischen Großstädten zur Anwendung. Erst am vergangenen Wochenende forderten Präsident Bush und der britische Premierminister Tony Blair in Camp David ein schnelles und entschlossenes Handeln gegen den Irak. Bagdad stehe kurz vor der Entwicklung von Atomwaffen. Angeblich gebe es neue Beweise für eine solche Bedrohung.

Doch anders als beim Angriff auf Afghanistan im vergangenen Oktober will sich die US-Regierung diesmal nach dem verfassungsgemäßen Ablauf richten und am 12. September dem Kongress Rede und Antwort stehen. Dieses Vorhaben dürfte weniger der Erkenntnis der Verfassungswidrigkeit eines Alleinganges der Regierung geschuldet sein, als dem Umstand, dass auch in den USA wenig Einigkeit über den Sinn eines sofortigen Angriffes besteht. In Umfragen befürwortet eine knappe Mehrheit der Bürger den Sturz Husseins, aber nur, wenn die eigenen Verluste gering sind. Die Tatsache, dass sich Bushs Administration bisher in keiner Weise dazu geäußert hat, welche weiteren Ziele, abgesehen von Husseins Sturz, sie mit einem Angriff verfolgt, macht vor allem die Kongressmitglieder misstrauisch. »In dieser Situation haben wir vor allem sehr viel Bedarf an Informationen«, sagte der Konservative Henry Lugar.

Auch in der Umgebung der Regierung ist man sich über den Sinn eines Angriffs bei weitem nicht einig. »Saddams Ziele haben wenig gemeinsam mit denen der Terroristen, die uns bedrohen«, meinte beispielsweise Brent Scowcroft, ein ehemaliger Sicherheitsberater von George Bush senior. Er hält Hussein für einen »machthungrigen Überlebenskünstler«, der eine nukleare Erpressung wegen der unweigerlich vernichtenden Antwort der USA nicht riskieren würde. Der frühere Außenminister James Baker meint, die USA hätten in diesem Punkt keine Wahl, als »den moralisch überlegenen Standpunkt einzunehmen«.

In der »Achse des Bösen« kommt der Irak als Hauptfeind eigentlich kaum in Frage. Der Iran hat historisch wesentlich engere Bindungen zum internationalen Terrorismus, und Nordkorea verfügt über ein Atomwaffenprogramm und Trägerraketen. »Wann also wurde der Irak zum dringendsten dieser Probleme, zu dem, um das man sich zuerst kümmern muss?«, fragte der Journalist David Sanger in der New York Times. »Die Antwort lautet: 'Irgendwann nach dem 11. September'. Vorher wurde der Irak als regionale Bedrohung eingeschätzt, deren konventionelles Militär wesentlich schwächer ist als vor dem Golfkrieg von 1991.« Kritiker Cheneys argumentieren, dass sich daran nicht viel geändert habe. Einen Beweis des Gegenteils hat die Regierung bisher nicht erbracht.

»Woher kommt diese plötzliche Eile?«, fragte General Wesley Clark, ein Golfkriegsveteran, der einer Gruppe ehemaliger Militärs angehört, die die Regierung in den Medien zur Zurückhaltung aufforderten. »Hussein verfügt seit 20 Jahren über Massenvernichtungswaffen. Er hat kein nukleares Material«, ist sich Clark sicher. Ein Zusammenbruch der Überwachung und Eindämmung der Verbreitung von spaltbaren Nuklearstoffen wäre nicht unentdeckt geblieben.

Der ehemalige Präsident William Clinton meinte zum gleichen Thema, die Regierung solle die Operation in Afghanistan erst einmal zu Ende bringen und später über die Irak-Politik entscheiden. Auffällig still in dieser Frage verhält sich Außenminister Colin Powell. Es ist kein Geheimnis, dass er den Radikalismus der Regierung im »Krieg gegen den Terror« nicht unumschränkt teilt und lieber diplomatsich handeln möchte.

»Die Leute hier denken, dass das Gefühl der Dringlichkeit fabriziert ist«, meinte Stephen Cohen vom liberalen Israel Policy Center nach einer Rundreise durch den Mittleren Osten. »Man spürt, die USA haben eine Menge Energie in den Krieg gegen den Terror investiert. Jetzt ist irgendwie die Luft raus, und dies ist eine Möglichkeit, die Dinge wieder ins Rollen zu bringen.« Die linke Zeitschrift Counterpunch teilt diese Einschätzung. Bin Laden sei leider bisher nicht so freundlich gewesen, seine Leiche für ein Siegerfoto zur Verfügung zu stellen. Damit nicht der Eindruck der Untätigkeit entstehe, müsse jetzt Hussein herhalten.

Zudem könnten mit einem Angriff auf den Irak die anderen arabischen Staaten eingeschüchtert und wieder auf Linie gebracht werden. Und eine Besetzung würde die Kontrolle über die dann vermutlich brennenden irakischen Ölfelder mit sich bringen. Tatsächlich ist es auffällig, dass die Falken in der Regierung, vor allem Bush, Cheney und Rumsfeld, der Ölindustrie recht nahe stehen. Und Condoleezza Rice wurde jüngst von dem Ölkonzern Chevron-Texaco sogar mit der Taufe eines Tankers auf ihren Namen geehrt.