Die Saat geht auf

Die afghanischen Warlords verfügen über eine unabhängige ökonomische und militärische Basis. Ihre afghanischen Gegner sind nicht fähig und die ausländischen Interventionskräfte nicht bereit, sie zu entmachten.

Während in Kabul die Delegierten der Loya Jirga über die Verteilung von Posten und Pfründen streiten, gehen viele afghanische Bauern einer Arbeit nach, deren Ertrag ebenso bedeutend für die zukünftigen Machtverhältnisse in Afghanistan sein dürfte. Sie ernten Opium.

Auf 2 800 Tonnen schätzt die UN-Drogenkontrollbehörde die diesjährige Ernte, mehr als zehnmal so viel wie im Vorjahr. Die Taliban hatten den Opiumanbau verboten und diese Anordnung auch rigoros durchgesetzt. Sie kontrollierten mindestens 70 Prozent der Opiumproduktion der Welt, und die überraschende Maßnahme dürfte den Sinn gehabt haben, durch eine Verknappung den Preis hochzutreiben.

Doch just zur Zeit der Aussaat brach die Herrschaft der Taliban zusammen, und die afghanischen Bauern nutzten die neu gewonnene Freiheit, um die verbotene, aber begehrte Pflanze wieder anzubauen. Die Nordallianz, die ihren Krieg gegen die Taliban nicht zuletzt mit dem Opiumhandel finanziert hatte, brachte mit ihren Eroberungen weitere Anbaugebiete unter Kontrolle. Dass Hamid Karzais Interimsregierung im Januar den Opiumanbau verbot, beeindruckte niemanden. Versuche, Opiumfelder zu zerstören, führten zu Gefechten mit bewaffneten Bauern und Milizen und wurden schnell wieder aufgegeben.

John P. Walters, Leiter der US-Drogenkontrollpolitik, der militärische Maßnahmen gegen lateinamerikanische Kokainproduzenten propagiert, sieht die afghanischen Verhältnisse recht gelassen: »Was wir tun können, wird sehr begrenzt sein.« Die Duldung des Opiumhandels ist ein Teil des Preises, den die US-Regierung für die Stabilisierung Afghanistans zahlen muss. Denn die Besteuerung des Anbaus und Handels von Opium durch die afghanischen Warlords zu unterbinden, würde zu bewaffnetem Widerstand führen.

Ihnen diese Einnahmequelle zu lassen, stärkt allerdings ihre Position. Da sie in den von ihnen kontrollierten Territorien faktisch staatliche Macht ausüben, können sie auch Abgaben auf den legalen Handel erheben. So können sich einflussreiche regionale Machthaber wie Ismail Khan in Westafghanistan auf eine unabhängige ökonomische Basis stützen, seine Einnahmen sind höher als die der Zentralregierung. Für Herrscher wie ihn kann es nur zwei Gründe geben, sich einer Zentralregierung unterzuordnen: die Aussicht auf einträglichere Pfründe und die Furcht, von einer überlegenen Militärmacht geschlagen zu werden.

Warlord-Territorien wieder zu einem Staat zusammenzufügen, ist nicht unmöglich. Dem syrischen Präsidenten Hafiz al-Assad gelang es, den libanesischen Bürgerkrieg durch Intrigen, politischen Druck, Bestechung, die Zuweisung von Pfründen und nicht zuletzt militärische Gewalt zu beenden. Assad errichtete 1991 nach 15 Jahren Bürgerkrieg eine den geänderterten Machtverhältnissen entsprechende Regierungsstruktur, die Milizen gaben ihre Waffen ab, aus Warlords wurden Politiker. Die Kriegsverbrechen blieben ungesühnt, und das konfessionelle Proporzsystem entspricht nicht dem Standard säkulärer Demokratie. Dennoch ist der Libanon das liberalste Land der arabischen Welt.

Assad allerdings hatte es mit schwächeren Gegnern zu tun. Die Warlords im winzigen Libanon konnten nicht im Ernst auf dauerhafte Unabhängigkeit hoffen und verloren auch während des Bürgerkrieges nicht das Interesse an der Wiedererrichtung einer nationalen Ökonomie. Zudem musste der syrische Diktator sich nicht mit knauserigen Finanzministern und nörgelnden Menschenrechtlern herumschlagen.

Über das Budget westlicher Staaten dagegen wachen Menschen wie Hans Eichel, denen die Feinheiten afghanischer Machtpolitik ebenso unbekannt wie gleichgültig sind. Karzai, der für das Budget der Übergangsregierung 460 Millionen Dollar veranschlagt hat, erhielt bislang erst weniger als ein Zehntel dieser Summe. »Wir stehen vor der Tatsache, dass alles, was ins Land kommt, insgesamt unzureichend ist, und dass dies auch so bleiben wird«, beklagt der UN-Diplomat Nigel Fisher.

Während die Warlords eine gute Ernte und steigende Opiumpreise erwarten, kann Karzai nicht einmal seine Angestellten und Soldaten bezahlen. So kommt auch der Aufbau einer der Zentralregierung unterstellten nationalen Armee nur schleppend voran. Ein erstes Bataillon von derzeit etwa 400 Rekruten wird von US-Ausbildern trainiert. Allein Ismail Khan hält mehr als 15 000 Männer unter Waffen.

Grund genug für westliche Politiker, die Warlords schonend zu behandeln. Afghanische und internationale NGO haben diese Politik heftig kritisiert. Da die Warlords die Wahlen erfolgreich manipuliert haben, so Sam Zia-Zarifi von Human Rights Watch (HRW) am vergangenen Mittwoch anlässlich der Publikation des Afghanistan-Berichts seiner Organisation, »wird den Afghanen wieder die Möglichkeit genommen, ihre eigenen Führer zu wählen und eine zivile Gesellschaft aufzubauen«. Um das zu verhindern, müsse die Uno jene Delegierten der Loya Jirga, die wegen ihrer Verbrechen nicht hätten gewählt werden dürfen, aus der Versammlung ausschließen. HRW und säkular-demokratische afghanische Organisationen wie die Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans (Rawa) fordern nun von der »internationalen Gemeinschaft« ein entschiedenes Vorgehen gegen die Warlords, vor allem eine Verstärkung der Isaf und die Erweiterung ihres Einsatzbereichs über Kabul hinaus.

Die westlichen Interventionsmächte haben jedoch die Grenzen ihres Engagements deutlich gemacht. Für Deutschland ist der Einsatz in Afghanistan vor allem ein Mittel, um sich als Interventionsmacht zu profilieren und an weltpolitischem Einfluss zu gewinnen. Auf möglicherweise verlustreiche Kämpfe möchte man sich nicht einlassen, deshalb bestand die Bundesregierung immer darauf, den Isaf-Einsatz auf den Großraum Kabul zu beschränken.

Auch die US-Regierung, die sich der Aufgabe des nation building ohnehin nur widerwillig gewidmet hat, will eine Konfrontation mit den Warlords vermeiden. Um den Krieg gegen die Taliban und die al-Qaida ungestört weiter führen zu können, benötigen die USA Stabilität. Die Förderung der Demokratie aber ist immer eine Maßnahme, die bestehende Herrschaftsverhältnisse destabilisiert.

Zumindest in diesem Fall aber ist es wohl besser, wenn die Rufe nach einer Intervention zur Erzwingung demokratischer Verhältnisse ungehört verhallen. Denn die Durchsetzung gesellschaftlichen Fortschritts mit Hilfe ausländischer Truppen ist in Afghanistan schon einmal gescheitert. Die KP-Regierung, zu deren Unterstützung die sowjetischen Truppen 1979 einmarschierten, hatte ja ein durchaus emanzipatorisches Programm. Dass ihre Soldaten die Mädchen dann mit Gewehrkolben in die Schule prügelten, hat jedoch nicht dazu beigetragen, die konservative bäuerliche Bevölkerung für die Frauenbildung zu begeistern.

Westliche Interventionstruppen würden vor ähnlichen Problemen stehen. Sie müssten die Normen bürgerlicher Demokratie in einer Gesellschaft durchsetzen, in der es keine einflussreiche politische Organisation oder gesellschaftliche Schicht gibt, die eine solche Politik unterstützen könnte. Dass das so ist, liegt auch an der westlichen Intervention in den achtziger Jahren. Ohne die Unterstützung der westlichen und arabischen Staaten im Kampf gegen die sowjetische Armee wären die afghanischen Islamisten nicht in der Lage gewesen, ihre liberalen, konservativen, maoistischen und royalistischen Konkurrenten zu beseitigen.

Bedeutender für die derzeitige Schwäche demokratischer und emanzipatorischer Kräfte ist allerdings die Unfähigkeit des modernen Kapitalismus, Staaten wie Afghanistan zu integrieren.

Von Junkies abgesehen, braucht niemand afghanische Produkte. Und auch als Durchgangsland für eine Pipeline zu den Öl- und Erdgasvorräten Zentralsiens wird Afghanistan an Bedeutung verlieren, wenn sich die Anbindung Russlands an den Westen festigt. Von der Integration in den kapitalistischen Weltmarkt hat das Land also wenig zu erwarten.

Die Brutalität und die Dauer des Konflikts in Afghanistan und anderer Warlord-Kriege erklären sich vor allem aus dieser Perspektivlosigkeit. Wo wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten fehlen, dominiert der Kampf um das wenige Vorhandene, die Plünderung und die Etablierung einer illegalen Ökonomie, die jene Einnahmen beschaffen soll, die der legale Handel nicht bieten kann.

Guerillabewegungen in der Zeit des Kalten Krieges propagierten ein gesamtgesellschaftliches Projekt, sie hielten ihren geschlagenen oder kapitulierenden Feinden die Möglichkeit offen, sich in dieses Projekt zu integrieren. So war selbst die bewaffnete Konterrevolution gezwungen, ein besseres Leben für alle zu versprechen. Moderne Warlords dagegen lassen ihren Feinden nur die Wahl zwischen Massengrab und Flüchtlingslager.

Die US-Regierung, so der HRW-Anwalt Tom Malinowski, glaube, dass sie »die Warlords freundlicher und netter machen kann, aber das wird nicht geschehen«. Tatsächlich dürfte der Versuch, sie zu domestizieren, auf große Schwierigkeiten stoßen. Der Versuch, ihre Macht mit einer militärischen Intervention zu brechen, wäre allerdings ein weit riskanteres Abenteuer.