Geschichte wird verlacht

Stirnbänder, Netzhemden, »Dallas« und Nena waren nicht alles. Es gab auch Atomanlagen, Kabelfernsehen und den Kapitalismus. Neun Antis aus den achtziger Jahren.

Das große Achtziger-Jahre-Revival hat alle Teile der Gesellschaft erfasst. Nena tourt wieder überall rum, und es gibt Oliver Geißens große »Achtziger-Jahre-Show«, in der »Dallas«, »Unsere kleine Farm«, Föhnfrisuren und Zauberwürfel recycled werden. Waren das die Achtziger? Wenn ja, dann waren sie tatsächlich so sturzlangweilig und genauso passgerecht, wie Florian Illies in seinem Bravejungstagebuch über die »Generation Golf« geschrieben hat.

Andere erinnern sich jedoch ganz anders. Klar, die Siebziger waren vorbei, und damit auch die Zeit der Bombenlegerei, aber das hieß noch lange nicht, dass der Spaß nicht weiter ging. Denn auch die Gesellschaft legte jetzt den zweiten Gang ein und machte gigantische Fortschritte. Vor allem die Technik war revolutionär bzw. eben konterrevolutionär. Es traten auf den Plan: der bezahlbare Computer, der schwer programmierbare Videorekorder, der CD-Player, der Hochdruckwasserwerfer und der computergestützte Microzensus.

Zusätzlich drohte das Privatfernsehen, amerikanische Verhältnisse im deutschen Wohnzimmer zu schaffen. Aber das Tolle an diesem komischen Jahrzehnt war, dass es keine technische Neuentwicklung gab, zu der sich nicht sofort eine Anti-Gruppe bildete. Schöne Parolen waren ein weiterer Pluspunkt der Achtziger. »Keine neuen Atomwaffen, bevor die alten verbraucht sind« gehört zu den besten.

Was sonst noch gut war, lesen Sie hier.

 

Biermann-Combo

Natürlich war Biermann nicht der einzige KSZE-Sound der achtziger Jahre. Es gab den Solidarnosc- und den Charta 77-Sound, den Pater Brüsewitz-Blues, den Sacharow-, den Solschenizyn- und den Lew Kopelew-Groove, aber es war alles dieselbe klebrige New Wave-Kacke, ziemlich ungerecht. Die Produzenten und Impresarios verprassten den Surplus im Westen, und die Maskottchen, nach denen die West-Combos ihren Sound benannten, saßen im Osten, bis sie entlassen wurden.

Es wäre nun ein Irrtum zu meinen, dass meine politischen Freunde und ich in dieser Anti-ProCombo gespielt hätten, weil wir Biermann für besonders ergiebig hielten. Biermann war musikalisch und textlich irrelevant, ein Heino des German Folksongs, ein Wader auf der nach unten offenen Ernst-Busch-Skala, und Diether Dehm, der ihn damals managte, war ein sozialdemokratischer Degenhardt.

Im Übrigen waren die Gemeinsamkeiten der verfeindeten Biermann-Combos groß, und da die Biermann-Fans von damals es längst aufgegeben haben, die DDR zu befürworten, wissen wir auch, weshalb sie letztlich unterliegen mussten. Im Grunde spielte überhaupt keiner den Biermann. Man wusste nicht einmal, ob man dafür sein sollte, dass er seit 1976 im Westen dahinvegetieren und sich nach Margot Honecker verzehren musste.

Die Frage, wo man ihn lieber gesehen hätte, rein regional betrachtet, war nämlich ziemlich verzwickt. War man dafür, dass er im Westen blieb, so holte man sich quasi eine fünfte Kolonne des Ostens in den Westen, denn er kämpfte ja nach wie vor für den Sozialismus. Verlangte man hingegen, dass die DDR ihn wieder zurücknehmen müsse, so verlor man einen wichtiger Kader, denn drüben durfte er nicht mitreden. Die hatten ihn ja eben erst rausgeschmissen, weil er für den Sozialismus war, wenn auch für den richtigen.

Die Frage war ferner, ob es für Biermann wirklich ein solcher Nachteil war, im Westen leben zu müssen, wo er für den Sozialismus werben konnte, wo es in der DDR so viele arme Mitbürger gab, die gerne im Westen gelebt hätten, aber nicht durften, weil sie nicht für den Sozialismus waren oder für den falschen.

Ich glaube, es waren diese Fragen, die zum Untergang der DDR führen mussten und dazu, dass seit einigen Jahren keiner mehr in einer Biermann-Combo spielen will - außer ihm selber natürlich.

peter o. chotjewitz

 

Anti-Ascho-Filmgruppe

Was zuerst da war, die Idee, einen Film zu machen, oder der Plan, die Allgemeine Schulordnung (Ascho) zu kippen, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Jedenfalls wurde die dreiköpfige Anti-Ascho-Filmgruppe an einem Baggersee in Moers-Schwafheim gegründet. Sie schwoll zwischenzeitlich - wenn man all die Statisten mitrechnet - auf 40 Leute an und zählte in ihren schwersten Stunden lediglich ein einziges Mitglied.

Es ging ihr darum, mit den Mitteln des Films bzw. den Mitteln, die der WDR für kritische Jugendliche locker machte, einen eklatanten Verstoß gegen die Mitbestimmung anzuprangern, und außerdem wollte ich gerne mal ins Fernsehen. Um den Technikkram, der beim Filmemachen anfällt, brauchten wir uns nicht zu kümmern; dafür wurden uns eigens zwei Volontäre des Senders an die Seite gestellt. Es waren zwei Schlakse von der Film- und Fernsehakademie, die sich ihr Praktikum beim WDR ganz anders vorgestellt hatten, und aus Frust, zu Kabelträgern der rein weiblichen Anti-Ascho-Filmgruppe degradiert worden zu sein, Unmengen von Puddingteilchen in sich hineinzustopfen begannen.

Drehorte waren zumeist die einschlägigen Versammlungen der Landesschülervertretungen, sodass etwa zwei Drittel des Films mit allgemeiner Laberei über die Aushöhlung der Meinungsfreiheit gefüllt werden konnten. Ansonsten gab es symbolhaltige Spielszenen, in denen Jutta, Andrea und ich mit »Ascho« beschriftete Bettlaken trugen und haufenweise Flugblätter verbrannten.

Noch während der laufenden Dreharbeiten kam es zum Eklat, als wir die Musterverträge des Senders unterschreiben sollten und der Redaktion erklärten, uns keinesfalls den medienkapitalistischen Verwertungsgesetzen unterwerfen zu wollen. Insbesondere der Passus über die Zweitverwertung durch den WDR war inakzeptabel.

Wir argumentierten, es sei nicht auszuschließen, dass der Sender die Aufnahmen unserer knospenden Körper an den Playboy verkaufen würde. Nichts konnte einem seriösen Erotikmagazin wie dem Playboy ferner liegen, als sich drei in Bettlaken gemummte Furien ins Heft zu holen, aber die von uns aufgezeigten Eventualitäten ließen die Redaktion und die Rechtsabteilung des WDR rotieren. Tatsache ist, dass die hoch aufgeschossene Jutta nur zwei Jahre später an einem griechischen Nacktbadestrand von einem Playboy-Fotografen angesprochen und zu Probeaufnahmen überredet werden konnte.

Unser Film war reiner Schrott, wurde aber dreimal im Nachmittagsprogramm ausgestrahlt. Mit etwas zeitlichem Abstand kann man sagen, dass der »Anti-Ascho-Film« für eine künftige Abschaffung der Meinungs- und Kunstfreiheit entscheidende Argumente geliefert hat.

heike runge

 

Anti-Kartentelefon-Bewegung

Ende der Achtziger wurden die öffentlichen Kartentelefone erfunden. Wir klebten die Schlitze zu und verübten auch sonst vielfältige Anschläge auf diese feindlichen Maschinen.

Vor allen möglichen Experten hatten ausgerechnet die technikfeindlichen Linken völlig richtig erkannt, dass Chipkartensysteme zu immer mehr Überwachung führen würden. Weitere Hintergründe sind nicht mehr rekonstruierbar. Irgendwie ging es auch um die Ablehnung des bargeldlosen Geldverkehrs. Gearbeitet wurde vor allen Dingen mit Kaugummi. Wrigley's Spearmint Gum oder Hubba Bubba Bubble Gum waren sehr beliebt. Profis spritzten Sekundenkleber in die Schlitze und schoben anschließend kleine Stecknadeln hinein. Richtig hip und beliebt bei den Girls war man aber erst, wenn man nachts mit einem Seitenschneider die Telefonhörer abschnitt.

Als Erfolg dieser Aktionen kann gewertet werden, dass es heute immer noch vereinzelt Münztelefone gibt. Die Abschaffung des Bargeldes konnte verhindert werden. Ansonsten trägt heute jeder Linke ein Handy mit sich herum und ist damit jederzeit vom Großen Bruder zu orten. Festnetztelefonierer gelten als eigenwillig-kauzige, picklige, völlig uncoole Nerds, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Kaugummis sind total out.

ivo bozic

 

Digitalistische Weltorganisation

Hans, Harald, Fritz, Rüdiger und ich, das war die Digitalistische Weltorganisation. Wir gründeten sie 1979. Das erste digitalistische Manifest wurde Anfang 1980 in der Nummer 5 unserer Zeitung, dem legendären Dreck-Magazin, veröffentlicht. Die Überschrift lautete »Think Digital«, wir hatten sie aus dem Daily Telegraph vom 8. November 1979 ausgeschnitten.

Ich, der ich bereits eine christliche, romantische, maoistische, dadaistische, surrealistische und anarchistische Phase (nacheinander, zum Teil auch durcheinander) durchlaufen hatte, übernahm die Formulierung des Manifestes. Ich war von uns der Beste in Manifesten. Ich schrieb: »Digitalismus ist das Leben in der Etoschapfanne. (...) Der Digitalist ist ein Spieler, der nicht auf den Ausgang des Spiels hofft. Er spielt nicht, er ist die Kugel im Roulette. (...) Die Digitalisten träumen von ihrer Revolution, die niemals stattfinden wird. Die Digitalisten haben die Revolution schon längst gemacht, aber außer ihnen hat es keiner gemerkt. (...) Die Digitalistische Weltorganisation, die ihren Sitz in der Schweiz hat, speichert in einem gigantischen Computer jedes Detail, das die Digitalisten ausspähen. (... ) Die ultrageheime Digitalistische Weltorganisation hat Bielefeld zur ersten digitalistischen Stadt des Planeten erkoren. Sie hat beschlossen, diese Stadt zu überrennen, sie mit Idiotie, Schmutz und Schund zu überfluten und ein digitalistisches Beispiel zu schaffen.«

Wie man liest, hatte die Digitalistische Weltorganisation mit digitalem Denken nicht viel am Hut. Wir hatten einfach am Klang des von uns erdachten Wortes Digitalismus Gefallen gefunden.

Eine größere Öffentlichkeit erreichte die Digitalistische Weltorganisation erstmals anlässlich der Kommunalwahlen von 1979. Noch in der Wahlnacht klebten wir überall in unserer Heimatstadt Bielefeld Plakate, auf denen wir behaupteten, die DWO habe die Wahl mit 98 Prozent der Stimmen gewonnen. Wir untermauerten diese Behauptung, indem wir sämtliche bürgerlichen Parteien kurzerhand zu Subdivisionen der DWO erklärten.

Besonders stolz waren wir auf den Sieg unseres Spitzenkandidaten Schwerdt. Tatsächlich war die etwa 60jährige Gisela Schwerdt die ewige dritte Bügermeisterin Bielefelds. Sie trug eine Betonfrisur (oder war's eine Perücke?) und war in der FDP. Wir verbreiteten, Frau Schwerdt habe sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen, heiße nunmehr Giselher und sei in Wahrheit ein manisch-größenwahnsinniger Digitalist. Nach dieser Plakataktion war die Digitalistische Weltorganisation in Bielefeld berühmt.

Vorgeblich als Auffangbecken für alle Sympathisanten gründeten wir mehrere Unterorganisationen; von nun an zeichneten neben der DWO u.a. die Digitalistische Weltoffensive, das Hans-Zarkoff-Institut für angewandten Weltschmerz und die Söhne der Finsternis alle digitalistischen Verlautbarungen, z.B. das »Manifest der Wichser«.

Natürlich standen hinter all diesen Organisationen nur wir fünf, außer den Söhnen der Finsternis, denn das waren Hans und ich. Diese Gruppe wurde zur Vorbereitung einer gigantischen Party erfunden; die Söhne der Finsternis luden dazu etwa 100 Prominente aus der ganzen Welt ein, u.a. Marlene Dietrich und Woody Allen. Keiner kam, aber immerhin erhielten wir Absagen von Claude Levi-Strauss aus Paris, von Paul Bowles aus Tanger und ein Telegramm von Martin Scorsese aus Hollywood. An die Echtheit des letzteren wollten wir zunächst nicht glauben, sondern vermuteten, unser Redaktionsmaskottchen Ingo Hornig habe uns irgendwie reingelegt; doch das Telegramm war echt.

Aus den Söhnen der Finsternis wurde im Laufe der Achtziger ein Wilde-Liga-Fußballclub, der sich später in Finsterlinge umbenannte, doch damit hatten wir nichts mehr zu tun. Die Finsterlinge soll es in Bielefeld immer noch geben. Auch Hans gibt es noch, seine Weltorganisation ist heute die Tageszeitung die Welt, für die er eine tägliche Kolumne schreibt. Fritz wurde weltberühmt mit lustigen Filmen fürs Fernsehen, und Rüdiger ist ein weltweit operierender Maler. Harald ist tot. Nur aus mir wurde nichts. Wie man sieht, schreibe ich auch heute noch in Spinnerblättern, z.B. in der Jungle World.

christian y. schmidt

 

Robin Wood, Abteilung Müll

Bei Robin Wood musste man sich Mitte der Achtziger in einer von acht Gruppen zu »relevanten Fragen« engagieren. Nach langem Überlegen entschied ich mich gegen die Tropenholz- und für die Müllgruppe. Ein folgenschwerer Fehler. Statt nach Brasilien zu reisen, stand ich auf Berliner Müllkippen herum.

Man war sich diffus einig, dass zu viel Müll produziert wird und wir alle in einer »Wegwerfgesellschaft« leben. Man wollte die Öffentlichkeit auf die Gefahr von nicht adäquat entsorgtem Abfall und auf vermüllte Landstriche hinweisen. Man muss hierbei bedenken, dass erst Mitte/ Ende der achtziger Jahre Otto und Emma Normalverbraucher anfingen, ihren Müll getrennt zu sammeln und Batterien bei Kaiser's abzugeben.

Wir standen mit riesigen Warnschildern stundenlang auf entlegenen Berliner Müllkippen herum. Meistens morgens um sechs oder sieben, wenn die Ladungen ankamen. Dann brüllten wir noch wild in unsere Megaphone. So meinten wir, könnten wir müllabladende Lasterfahrer davon abhalten, ihr »Teufelswerk« zu verrichten.

Wir standen bis zu den Knien in Bananenschalen, Milchtüten, Fischgräten und benutzten Kondomen. Von den Lastwagenfahrern sahen wir meist nicht viel mehr als eine auf uns einregnende Müllfuhre. Unsere Megaphone wurden vom Geräusch des herabprasselnden Mülls vollkommen übertönt. Man kann jedoch konstatieren, dass sich die allgemeine Haltung gegenüber der sinnlosen Anhäufung von Müll und dessen Entsorgung in den achtziger Jahren geändert hat, auch wenn sich kaum ein Lastwagenfahrer an uns erinnern wird.

tanja dückers

 

Dichter gegen Kapital

Nahtlos anknüpfend an die Sechziger und Siebziger
Fuhr in den Achtzigern ich fort
Linken Widerstand zu leisten
Und zwar nicht nur »so la la«
Sondern auch bei Wind und Wetter, sowie im Akkord

Wie in den Sechzigern und Siebzigern
So hörte ich auch in den Achtzigern nicht auf
Zu machen basiskritisch wie auch überbaubezüglich
Ganz schön einen drauf

Denn als wahrer Linker bleibt man unbeeindruckt
von dezennienspezifischen Moden der Jargons und
der Musiken und der Klamotten
Als wahrer Linker hat man eines nur im Sinn: Den
Kapitalismus, die Geißel des Globus, zu stoßen
aus seinen vom Schreiten über Leichen blutigen Botten.

horst tomayer

 

Anti-Bauzaun-Zelle

Wackersdorf, Pfingstcamp 1986. Die Ausgangsbedingungen waren optimal. Die Bewegung hatte Erfahrung im Kampf gegen Atomanlagen, der Schrottreaktor von Tschernobyl hatte gerade Dampf abgelassen, der Zorn der örtlichen Bauernschaft auf die geplante nukleare Wiederaufbereitungsanlage, die »WAA«, war groß. Für die Gewaltfreien sah es schlecht aus. Handeln war gefragt.

Wie dann an diesem Abend alles anfing, lässt sich nicht mehr genau nachvollziehen. Jedenfalls schien der Tag schon vorbei, alle saßen am Feuer, erzählten Geschichten - Bauzaun, Barrikaden, Bullen usw. -, als eine Nachricht die Runde machte: »Wir haben einen Bagger.« Irgendjemandem, der angeblich Erfahrung im Baggerfahren hatte, war diese Maschine über den Weg gelaufen. Die Chance schien gekommen, den verhassten grünen Metallzaun, gegen den man den ganzen Tag angerannt war, platt zu machen.

Ein-, zweitausend Leute stapften durch den Wald, angeführt von diesem gelben Dieselmonster. Die Stimmung war gut. Doch am Zaun angekommen, stieß die Bewegung an ihre Grenzen. Es stellte sich heraus, dass niemand den Hebel für die Schaufel bedienen konnte. Zwar versuchten sich einige an der Technik, hin und her, hoch und runter, doch letztlich kam die Schaufel nie an den Zaun ran. Am Schluss fasste sich jemand ein Herz und fackelte die Maschine ab. Wir gingen zurück. Die WAA wurde nie gebaut, die atomare Wiederaufbereitung schien nicht mehr lukrativ. Eine große bayrische Automobilfirma hat das Gelände gekauft. Der Zaun ist weg.

wolf-dieter vogel

 

Anti-Kabelgruppe

Nur wenige erkannten Anfang der achtziger Jahre die Gefahren, die von dem Zeug ausgingen, das direkt vor ihrer Haustür vergraben wurde. Als Bauarbeiter getarnte Agenten des Militärisch-Industriellen Komplexes (MIK) verlegten damals so genannte Glasfaserkabel. Mit dieser raffinierten Technik sollte die Menschheit in gefügige Teletubbies verwandelt werden.

Die Anti-Kabelgruppe startete eine wirkungsvolle Aufklärungskampagne, verteilte Flugblätter und klebte Plakate. Anwohner wurden aufgefordert, verdächtige Gruben und auffällige Löcher zu melden. In mühevoller Nachtarbeit schütteten die Aktivisten zahlreiche Baustellen wieder zu, überklebten Werbeplakate und machten Werkzeuge unbrauchbar. Zahlreiche Sympathisanten schlossen sich spontan dem neuen Teilbereichskampf an. Überall entstanden Initiativen mit ähnlichen Schwerpunkten (Siehe Anti-Kartengruppe).

Der MIK reagierte leider umgehend mit einer massiven Propaganda-Offensive. Die Oberpostdirektion organisierte so genannte Bürgergespräche, in deren Verlauf die Anwohner mit unbekannten Fachausdrücken (ISDN, PC, Pro7) von der vermeintlich harmlosen Technik überzeugt wurden. Mit diesem Trick hatte die Anti-Kabelgruppe nicht gerechnet. Sie bemühte sich zwar sofort um technisches Know-How, konnte aber den Informationsvorsprung nicht mehr aufholen. Einige Mitglieder beschlossen daraufhin den langen Marsch durch die Informatik und kämpfen heute in der IuK (Informations- und Kommunikationsbranche) gegen den MIK.

anton landgraf

 

NVA

Der deutsche Herbst schien gelaufen, RAF, RZ etc. ließen nach, da stieß ich zum letzten bewaffneten Arm der deutschen Linken, zur NVA, die damals eine regelrechte, ja, man kann schon sagen, Armee war, also sogar Waffen hatte, Panzer und Raketen, die täuschend echt wirkten, die Uniformen ausgab mit Kragenblenden, Ordensspangen und lustigen Schiffermützchen, die überall so genannte Kasernen unterhielt, in denen sie den ganzen militärischen Jokus akkurat nachstellte, die ähnlich wie Joschka Fischers Putztruppe auch Manöver genannte Übungen im Wald veranstaltete mit Schießen im Gebüsch. Das alles tat sie keineswegs im Untergrund, sondern unter aller Augen, mitten in Deutschland. Es gab Paraden, Prozessionen und Appelle - Fasching ohne Ende, oder vielmehr mit.

Was die in der NVA nicht wussten: Sie waren nur die Komparserie in einem enormen Historienfilm, einer sowjetisch-amerikanischen Koproduktion. Nach Drehschluss wurden alle nach Hause geschickt und mussten ihr Geld wieder auf andere Weise verdienen. Trotzdem war es eine schöne Zeit.

rayk wieland