Potemkinsche Arbeit

Die Aufgabe der Arbeitsämter ist schon lange nicht mehr die Vermittlung von Arbeit, sondern die Disziplinierung der Arbeitslosen.

Personelle Konsequenzen sind in der Politik für gewöhnlich ein Ersatz für substanzielle Veränderungen. Nach Affären rollen Köpfe, damit das alte Spiel mit neuem Personal unverändert weitergehen kann.

Der vom Bundesrechnungshof aufgedeckte Skandal um frisierte Vermittlungsziffern bei den Arbeitsämtern gehört zu den Ausnahmen von dieser Regel. Die Debatte um die Zukunft der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit ist mit dem Abschied Bernhard Jagodas noch lange nicht zu Ende. Die Kritik an der Praxis der Arbeitsämter fällt zu einheitlich aus und die präsentierten Reformvorschläge fügen sich zu gut in langfristige Tendenzen und Bestrebungen, als dass die Blamage folgenlos bleiben könnte.

Scharfmacher wie der Kommentator des Handelsblatts, Dietrich Creutzburg, sehen angesichts der kreativen Buchführung gleich die soziale Selbstverwaltung, die Kontrolle der Sozialversicherungen durch paritätisch von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden besetzte Gremien, zur Disposition gestellt. Ludwig Braun, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, fordert angesichts des angeblich zu laxen Umgangs der Arbeitsämter mit widerborstiger Klientel eine rigorose Begrenzung der Ansprüche auf Arbeitslosengeld. Wer jünger ist als 30, soll nur noch vier bis sechs Wochen lang Zahlungen aus dieser Kasse erhalten.

Auch wenn derart weitgehende Vorstellungen kaum vollständig verwirklicht werden dürften, geben sie doch die Marschrichtung an, die nicht nur Liberale und Christdemokraten, sondern auch die rot-grüne Bundesregierung einschlagen. Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) denkt laut über die ersatzlose Streichung aller Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach. Geht es nach der Arbeitsmarktexpertin der Grünen, Thea Dückert, dann sollen die Arbeitsämter starke Konkurrenz von privaten Vermittlern bekommen. Bundeskanzler Gerhard Schröder dagegen holt seine alte Idee von der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe aus der Schublade.

Damit kommt er insofern den Vorstellungen der Wirtschaft entgegen, als nach diesem Modell ein Gutteil der Arbeitslosen aus dem Zuständigkeitsbereich der Bundesanstalt herausfiele. Arbeitslosmeldungen, die nur dem Bezug von Kindergeld bzw. dem Übergang in die Rente dienen, sollen künftig aus der Statistik herausgenommen werden. Geht es nur um freundlichere Zahlen oder kündigt sich auch eine veränderte Praxis an?

Meinungsmacher und Politiker benutzen die vorhandenen Ressentiments gegen die Bürokratie. Permanent ist von Ineffizienz, himmelschreiender Schlamperei und fehlender Kontrolle in der Bundesanstalt die Rede. Das offizielle Ziel sieht dementsprechend aus: Die dröge Behörde soll sich in ein modernes »kundenorientiertes Dienstleistungsunternehmen« verwandeln.

Mit dieser Propaganda lässt sich zweifellos Politik machen. Ihre Erklärungskraft aber tendiert gegen null. Die von allen Beteiligten stillschweigend gedeckten systematischen Statistikmanipulationen sind weniger ein Resultat organisatorischer Unzulänglichkeiten, sie gehen vielmehr auf ein Gentlemen's Aggreement zurück.

Dieses ermöglichte es, die doppelbödige Aufgabenstruktur der Arbeitsämter zu kaschieren. Offiziell sind sie für die Arbeitsvermittlung da. Zusätzlich spielen sie aber den Part des Beschäftigungstherapeuten und des Disziplinators. Und diese Funktionen kommen einander in die Quere. Die gefälschten Erfolgsziffern erlaubten es, die Gesamtaktivitäten der Arbeitsämter als Teil des Vermittlungsauftrags zu verkaufen.

Doch ob die Arbeitsämter ihre Maklerrolle auf dem Arbeitsmarkt nun schlecht oder gut ausfüllen, große Teile der Bevölkerung sind schon seit geraumer Zeit vom Standpunkt der kapitalistischen Verwertung überflüssig geworden. Sie bringen wegen ihrer Qualifikation, ihres Alters oder ihrer persönlichen Lebensumstände nicht die Voraussetzungen mit, um von Unternehmern noch für der Ausbeutung wert befunden zu werden.

Die Ware Arbeitskraft aber unterscheidet sich von anderen Waren durch eine lästige Eigenschaft. Die lebendigen Träger stellen ihre Lebensfunktionen auch dann nicht ein, wenn sich das Gut, das sie feilbieten, als unverkäuflich erweist. Die Gesellschaft weigert sich jedoch, dieses Faktum anzuerkennen und ein einigermaßen erträgliches Auskommen vom Zwang zur Arbeit zu befreien. Und die Arbeitsämter exekutieren diese Realitätsverleugnung.

Die etablierte, aus der Ära Kohl überkommene Verleugnungspraxis beruhte auf zwei Eckpfeilern. Zum einen auf der Annahme, außer Kurs gesetztes Humankapital sei in der Regel zu den gleichen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt wieder unterzubringen, unter denen es zuletzt genutzt worden war. Diese Fiktion spricht zwar den rasanten Veränderungen in der Berufswelt Hohn, sie wurde dennoch recht konsequent durchgehalten und fand ihren Niederschlag in den so genannten Zumutbarkeitsregeln.

Zum anderen leistete sich der Staat den Luxus eines vom kapitalistischen Verwertungsbetrieb abgelösten Sektors potemkinscher Beschäftigung. Die durch die Teilnahme an Umschulungs- oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen demonstrierte Arbeitsbereitschaft wurde vergleichsweise großzügig mit der Sicherstellung des Lebensunterhalts abgegolten. Diese Praxis steht jetzt zur Disposition.

Schon in den vergangenen Jahren ließen sich die Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit immer weniger von einem Kampf gegen die Arbeitslosen unterscheiden. Die Kontroll- und Schikanefunktion gegenüber den Betroffenen nimmt in der Tätigkeit der Arbeitsämter mittlerweile einen derart breiten Raum ein, dass die Vermittlungsaufgabe partiell darunter leidet.

So gingen beispielsweise Ende der neunziger Jahre die Arbeitsämter dazu über, ihre Klientel monatlich zum Appell zu zitieren. Diese sinnlosen, mit der Bekämpfung von Schwarzarbeit begründeten Pflichttermine nahmen die Arbeitszeit der Vermittler derart in Anspruch, dass schließlich nichts anderes als die Rückkehr zur alten Vierteljahrespraxis übrig blieb.

Aber nach wie vor beschweren sich die Industrie und die Handelskammern darüber, dass ihre Mitglieder unter dem Anziehen der bürokratischen Daumenschrauben in der Arbeitslosenverwaltung zu leiden haben. Die Personalabteilungen vieler Unternehmen stöhnen angesichts völlig gegenstandsloser Bewerbungen, die nur deshalb anfallen, weil Arbeitslose durch irgendwelche Aktivitäten bei der Jobsuche gegenüber dem Amt ihre Arbeitsbereitschaft zu dokumentieren haben.

Die allenthalben propagierte Privatisierung der Arbeitsvermittlung schafft die Spannung zwischen realer Arbeitsvermittlungsaufgabe, Schikanen gegenüber den Arbeitslosen und einer monetären Mindestversorgung der Unverwertbaren jedoch nicht aus der Welt. Die alten Widersprüche nehmen lediglich eine neue Form an. Die Sprechblase von der »kundenorientierten« Arbeitsvermittlung hat von vornherein nur für Arbeitgeber und Menschen mit halbwegs gefragten Qualifikationen einen Sinn. Für diejenigen, die nichts Marktgängiges anzubieten haben, gewinnt sie einen bedrohlichen Unterton.

Natürlich wird der eine oder andere private Träger auch an der Vermittlung Langzeitarbeitsloser verdienen. Warum das billiger sein soll als die Tätigkeit des Arbeitsamts, bleibt unerfindlich. Arbeitgeber, Volkswirtschaftslehrer und die Bundesregierung glauben, eine Lösung für das Problem der Unverkäuflichkeit der Arbeitskraft in petto zu haben. Ob Arbeit abzusetzen ist, hänge nur vom Preis ab. Billiglohn gilt diesem Dogma als Heilsweg zu mehr Beschäftigung.

Schon der Unterschied der hiesigen Diskussion zur US-amerikanischen sollte freilich zu denken geben. Im klassischen Land der Working Poor und der Mac-Jobs diskutiert das Establishment mittlerweile heftig darüber, ob nicht die Rückkehr zu einer sozialen Mindestsicherung das Gebot der Stunde sei.

Und zwar aus gutem Grund. Die massenhafte Zunahme von Mac-Jobs in den USA war ein Abfallprodukt des großen kasinokapitalistischen Booms. Mit dessen Ende ist die Nachfrage nach Billigarbeitskräften im Dienstleistungsbereich aber stark zurückgegangen. In dieser Situation bleibt nur die Alternative, an der Entstaatlichungsideologie um den Preis von Hunger, Seuchen und hochschnellender Kriminalität festzuhalten oder eine von der Lohnarbeit entkoppelte Minimalabsicherung zu schaffen.

Im Land des so genannten rheinischen Kapitalismus dagegen plant die Regierung, dem ersten Arbeitsmarkt die Funktionen des zweiten zu implantieren. Im staatlich subventionierten Billiglohn sollen betriebliche Verwertung, sozialstaatliche Sicherung und die Disziplinierung Arbeitsunwilliger zusammenfinden. Dummerweise scheinen die allzu sehr auf reibungslose Betriebsabläufe fixierten Arbeitgeber aber wenig Interesse an der Übernahme der mäßig honorierten Zusatzaufgaben zu entwickeln.

Auf welchem Gebiet auch immer, bei Privatisierungsprogrammen bietet sich stets das gleiche Bild. Entweder fällt die Bilanz für die Betroffenen und die Reproduktionsfähigkeit der Gesellschaft negativ aus oder sie scheitern im Ansatz. Die nicht gerade enthusiastische Teilnahme am Mainzer Kombilohn-Modell deutet an, dass die Pläne der Bundesregierung zur Umgestaltung der Arbeitslosenverwaltung wohl in die zweite Kategorie fallen.