Front National im Präsidentschaftswahlkampf

Halunken streiten sich

Im französischen Präsidentschaftswahlkampf verfolgt der rechtsextreme Front National nur ein Ziel: den Sieg von Jacques Chirac zu verhindern.

Manchmal vermag selbst Jean-Marie Le Pen zu überraschen. In der Märzausgabe des Mode- und Künstlermagazins Optimum posiert der rechtsextreme Politiker in einem arabischen Café in Paris, eine ägyptische Wasserpfeife in der Hand. Und auch im Interview schlägt der 73jährige ungewohnte Töne an: »Ich habe mehr Erfahrung, ich bin wie alle Männer meines Alters, die Zeit hat meine Energien besänftigt«, gibt der Anführer des Front National (FN) zum Besten. Und auf die Frage, wie er den israelisch-palästinensischen Konflikt bewerte, antwortet Le Pen, dass er anderen keine Ratschläge erteilen könne, da er es selbst nicht einmal schaffe, seine Ideen »zu Hause durchzusetzen«.

Angesprochen auf die Einwanderungspolitik und die »nationale Identität«, zieht Le Pen freilich in altbekannter Manier vom Leder. Doch während der vergangenen sechs Wochen konzentrierten sich seine Attacken ausschließlich auf eine Person. Den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac bezeichnet er als Halunken, Halsabschneider und erbärmlichen Lügner.

Früher war das Verhältnis zwischen den beiden Politikern anscheinend besser. Mitte Januar publizierte ein Journalist der konservativen Tageszeitung Le Figaro, Eric Zemmour, ein Buch über Jacques Chirac. Darin enthüllt der Experte für französische Innenpolitik, dass Chirac im Jahr 1988 den rechtsextremen Politiker heimlich getroffen habe - und zwar kurz vor dem zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl, bei der Chirac dem damaligen Amtsinhaber François Mitterrand gegenüberstand.

»Chirac war sehr nervös«, berichtete Le Pen dem Journalisten bei einem privaten Treffen im Januar 2001. »Er scharrte mit den Füßen. Er rauchte Zigarette auf Zigarette. Es war ihm peinlich. Und seine Peinlichkeit war mir peinlich. Er sagte zu mir: 'Ich kann Ihnen keine politischen Konzessionen machen.' Ich antwortete ihm, dass man unter diesen Bedingungen nichts machen könne. Er forderte mich auf: 'Helfen Sie mir, aber sprechen Sie bloß keine Wahlempfehlung für mich aus.'« Das Treffen wurde nach Angaben Le Pens von dem damaligen Innenminister der Regierung Chirac, dem konservativen Rechtsaußen Charles Pasqua, eingefädelt. Pasqua hat die Zusammenkunft inzwischen auch offiziell bestätigt.

Damals ließ sich Le Pen nicht lumpen und unterstützte den konservativen Präsidentschaftskandidaten indirekt. In seiner Rede auf der Demonstration des Front National zum 1. Mai 1988 sagte er : »Diejenigen, für die es das Wichtigste ist, Mitterrand und den Sozialismus zu verhindern, werden für den übrig gebliebenen Kandidaten votieren.« Anders ausgedrückt: für Chirac.

Dieses halbherzige Bündnis führte damals auch zu handfesten Konsequenzen. Am 5. Mai 1988 versuchte die Regierung Chirac, dem autoritären Teil ihrer Wähler Handlungsfähigkeit zu beweisen. Drei Tage vor dem alles entscheidenden Wahlgang gab Innenminister Pasqua den Befehl, die »Grotte von Ouvéa« zu stürmen, eine Höhle auf der von Frankreich kolonisierten Insel Neukaledonien, in der sich melanesische Unabhängigkeitskämpfer verschanzten, die einige französische Gendarmen als Geiseln gefangen hielten. Zwei Gendarmen und 19 melanesische Neukaledonier kamen bei der Aktion zu Tode.

Dennoch verlor Chirac am 8. Mai 1988 die Wahl gegen Mitterrand. Dieser löste daraufhin das Parlament auf und setzte Neuwahlen an, die im Juni 1988 stattfanden. Die Konservativen verweigerten nunmehr jede Listenverbindung mit den Rechtsextremen, die deshalb wegen des Mehrheitswahlrechtes ihrer Parlamentsfraktion beraubt wurden.

Seither scheint Jean-Marie Le Pen auf Revanche aus zu sein. Deutlich gegen Chirac sprach er sich bereits am 1. Mai 1995, ebenfalls zwischen zwei Durchgängen der Präsidentschaftswahl, aus. Und für die diesjährige Wahl lässt er durchblicken, dass er Chirac verlieren lassen wird, wenn dieser das Bündnis mit ihm verweigert.

In den neunziger Jahren hatte die strikte Verweigerung gegenüber den Konservativen noch einen Sinn. Sie war Teil einer politischen Strategie, die auf eine scharfe Polarisierung setzte, die zwischen den Linksparteien und den Neofaschisten kein bürgerliches Lager mehr übrig lassen sollte. Nach dem Bruch mit den Konservativen Ende der achtziger Jahre leitete Le Pen eine Radikalisierung seiner Partei ein. Der FN entdeckte die soziale Frage und erfuhr ab 1992 die »Proletarisierung« seiner Klientel, während er sich zuvor auf ein mittelständisches und bürgerliches Wählerpublikum gestützt hatte. Außerdem ergänzte der FN sein Ein-Punkt-Programm, das sich gegen »die Immigration« und die Muslime in Frankreich richtete, um einen stark antisemitisch aufgeladenen Diskurs. Damit verfügte die Partei über ein geschlossenes ideologisches System, das sie scharf von konservativen und liberalen Kräften abhob.

Heute jedoch hat sich der Zustand des FN erneut stark geändert. Denn nach der Spaltung in den Jahren 1998/99 nahm der ehemalige FN-Chefideologe Bruno Mégret die aktivsten Kader des FN in seine neue Partei mit, der MNR (Nationale und republikanische Bewegung). Der MNR fristet seither ein Dasein als aktivistische Splitterpartei, und der Rest des Front National wandelte sich von einer Bewegungspartei zu einer Partei, in der für die »normalen« Mitglieder Stillstand und Bewunderung des allein herrschenden Anführers angesagt sind.

Übrig geblieben ist bei Le Pen, der immer häufiger seine persönlichen Interessen über die seiner Partei stellt, der Hass auf Chirac, der ihn »verraten« habe. Jetzt bleibt ihm noch der Trost, dass er dem derzeitigen Staatspräsidenten den Wahlerfolg verderben könnte. Zwischen den beiden Wahlgängen will der FN eine heftige Kampagne betreiben unter dem Motto: »Chirac hinter Gitter«.