Russische Proteste bei Olympia

Kollektiv betrogen

Das russische Parlament, die Duma, war zusammengetreten, der russische Staatspräsident meldete sich empört zu Wort, dem Chef der russischen Olympia-Equipe lief die Galle über, und eine Abreise der einst so erfolgreichen Sportnation wurde erst im letzten Moment verhindert.

Benachteiligt worden seien die Russen, schimpften die Abgeordneten der Duma, schimpfte Präsident Wladimir Putin, schimpfte der Chef des Teams, und einer, dem solches Denken nicht fremd ist, der deutsche NOK-Präsident Walther Tröger, äußerte Verständnis. Bei einer Langlaufstaffel der Damen gewannen die Deutschen, weil die Russen disqualifiziert wurden, eine Goldmedaille im Eiskunstlauf der Paare ging nachträglich und zusätzlich an das erkennbar bessere kanadische Paar, weil die siegreichen Russen nur durch Schiebung Gold erhalten hatten.

Solche Fälle gab es einige, und hatte man sich in der russischen Öffentlichkeit erst mal darauf verständigt, Opfer einer Verschwörung zu sein, hatte man auch gleich ein Interpretationsmuster für die Sportwettbewerbe in Salt Lake City gefunden. Hinter jedem Sturz beim Eisschnelllauf, jedem Einfädeln beim Slalom und jedem Fehlschuss beim Biathlon steckten böse fremde Mächte.

So konstituiert sich, das hat Putin begriffen, die Nation: kollektiv betrogen, kollektiv nach Vergeltung schreiend und kollektiv die Bösen in Amerika sehend. Dass da auch mit Antisemitismus nicht gespart wird, wundert keinen, der weiß, was russische Zeitungen so schreiben und russische Duma-Abgeordnete so erzählen. Vor allem aber steckt hinter dem russischen Jammern die Weigerung anzuerkennen, dass Russland keine Weltmacht mehr ist, die auch einem Ereignis wie den Olympischen Spielen ihre Regeln zumindest teilweise aufzwingen kann.

Mit dem Niedergang der Sowjetunion ist auch im Sport ein kaum gezügelter (und also: politisch nicht so leicht zu instrumentalisierender) Kapitalismus eingezogen. Die letzten rein staatlich finanzierten Olympischen Spiele fanden 1980 in Moskau statt, die ersten rein privat finanzierten 1984 in Los Angeles. Jetzt jammern russische Politiker und Sportfunktionäre, der Kalte Krieg werde in Salt Lake City fortgesetzt. Dabei war (und ist) der Kalte Krieg ihre Existenzgrundlage.

Gerade weil sie sich beim Eiskunstlauf noch aufgeführt haben, als würde eine Goldmedaille die Überlegenheit wenn schon nicht mehr des Gesellschaftssystems, so doch wenigstens der Nation beweisen, sind sie in Verruf geraten. Nun unterstellen sie, dass die anderen, allen voran die Amerikaner, genauso handelten, nur geschickter. Dass Betrüger Betrüger Betrüger schimpfen, wäre unangenehm genug. Noch unangenehmer ist es, weil es wahrscheinlich noch nie stimmte.

Die abgehalfterte Weltmacht Russland ärgert sich bloß, dass man sie nicht agieren lässt wie damals, als sie noch unter dem Label Sowjetunion als Weltmacht handelte. Was sich im Sport zeigen könnte und sollte (und ein Grund ist, warum der Sport so eng mit dem Kapitalismus verbändelt ist), ist die freie Konkurrenz, die keiner gut finden muss, die aber doch - immerhin - nationalistischen Borniertheiten kaum Platz lässt.

Der Sieger in der Nationenwertung der Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City heißt aber Deutschland. Und die Nationenwertung, die solche nationalen Überlegenheiten dokumentiert, wurde im Jahr 1936 eingeführt.