Palästinenser mit neuer Strategie?

Erzwungene Wende

Palästinensische Organisationen haben angekündigt, nur noch militärische Ziele anzugreifen. Diese neue Strategie könnte die Politik Ariel Sharons delegitimieren.

Was islamistische Killerkommandos in den Fußgängerzonen Tel Avis oder Jerusalems seit Beginn der Al-Aqsa-Intifada trieben, antizipierte der PFLP-Generalsekretär George Habash schon 1970: »Im Zeitalter der Revolution der unterdrückten Völker kann es keine geografischen, politischen oder moralischen Grenzen für die Operationen des Volkes geben.« Daher sei niemand »in der Welt von heute unschuldig, niemand neutral«.

Der Prediger Ahmed Abu Halbiya hat Habashs Schriften wohl nie gelesen, dennoch gelang es ihm, ihren Gehalt wiederzugeben. »Die Terroristen sind die Juden (...) Sie sind diejenigen, die geschlachtet und getötet werden müssen«, sagte der Geistliche im Oktober 2000 in einer vom palästinensischen Fernsehen übertragenen Ansprache.

Doch nach 17 Monaten Al-Aqsa-Intifada scheinen sich nun palästinensische Organisationen an die Trennung von Kombattanten und Nichtkombattanten zu erinnern, die sozialrevolutionäre Guerillabewegungen von faschistischen Terrortruppen in der Vergangenheit unterschied. So erklärte der Führer der Tanzim-Milizen Marwan Barghouti kürzlich der israelischen Zeitung Ma'ariv, seine Kämpfer würden fortan nur noch innerhalb der palästinensischen Gebiete operieren und gegen Soldaten und Siedler vorgehen. Es sei ein taktischer Fehler gewesen, den Krieg nach Israel zu tragen, denn damit habe man eine künstliche Einheit zwischen Siedlern und Israelis geschaffen.

Im Januar gab selbst die Hamas in einer Kommandoerklärung bekannt, künftig auf Selbstmordattentate innerhalb Israels verzichten zu wollen. Diese Ankündigung, an die sie sich bislang nicht gehalten hat, war wohl mehr den Folgen des 11. September als einer Lektüre der Schriften Maos und Che Guevaras oder einer humaneren Neuauslegung des Koran geschuldet. Nach langem Zögern und nur auf immensen äußeren Druck nämlich hatte Yassir Arafat endlich begonnen, wenn auch halbherzig, Terrorismus, also gezielte Attentate auf Zivilisten, zu verurteilen und Islamisten festnehmen zu lassen.

Dies wurde als Erfolg des israelischen Premierministers Ariel Sharon gewertet, der im Dezember erklärt hatte, einen unbarmherzigen Krieg gegen den Terrorismus in den palästinensischen Gebieten führen zu wollen. Nicht aus moralischer Einsicht, sondern sich äußerem Zwang beugend haben Fatah-Milizen und andere Kämpfer nun offenbar ihre Strategie geändert. Sie erklären nun, vorerst auf die Terrorisierung der Zivilbevölkerung verzichten zu wollen.

Sollten also in Zukunft die Innenstädte Israels für Passanten sicher bleiben, wäre dies ein beachtlicher Sieg der harten Linie Sharons. Und zugleich könnte es der Anfang seines Endes sein, denn jetzt setzen die Palästinenser auf eine gezielte Demoralisierung der feindlichen Truppen. Und spätestens als am 15. Februar ein bislang als unzerstörbar geltender israelischer Panzer in die Luft flog und vier Tage später sechs Soldaten eines Checkpoints der Armee bei Ramallah bei einem Überfall erschossen wurden, begriffen die israelische Regierung und die Öffentlichkeit den Wandel. Umgehend erklärte Sharon, das Vorgehen der Armee ändern zu wollen. In Zukunft sollen kleine Anti-Guerilla-Einheiten in den palästinensischen Gebieten operieren und Sicherheitszonen entlang der Grünen Linie geschaffen werden. Solche Mittel erinnern an den verlustreichen Krieg im Südlibanon, wo sie nur geringe Erfolge gezeitigt haben.

Gelänge es den Palästinensern, die Autonomiegebiete in einen zweiten Südlibanon zu verwandeln, könnten sie die israelische Regierung in eine schwere Legitimationskrise stürzen. Solange Selbstmordattentäter in israelischen Städten Zivilisten massakrierten und palästinensische Führer zur Vernichtung des »zionistischen Gebildes« aufriefen, unterstützte die Mehrheit der Israelis die Reaktionen der Armee als notwendige Selbstverteidigungsmaßnahmen. Nun mehren sich nicht nur in der Linken, sondern auch in der Armee und im Sicherheitsapparat die Stimmen, die für einen grundlegenden Wandel der israelischen Politik plädieren.

Der ehemalige Bürgermeister von Tel Aviv und frühere General Shlomo Lahat kritisierte kürzlich, die israelische Armee habe kein moralisches Recht mehr, in den palästinensischen Gebieten zu bleiben. Immer mehr Soldaten und Reservisten weigern sich, zum Schutze der Siedlungen eingesetzt zu werden (Jungle World, 9/02), und nicht die Opposition, sondern die konservative Zeitung Jerusalem Post fragte, ob Sharon noch eine politische Vision für die Zukunft habe.

In Israel wächst der Unmut über eine Politik, die scheinbar lediglich auf eine militärische Lösung des Konflikts setzt. Während die Armee ihre Aktionen in den Palästinensergebieten ausweitet, versucht die Regierung, ein neues Waffenstillstandsabkommen auszuhandeln. Am vergangenen Mittwoch traf sich deshalb Verteidigungsminister Benyamin Ben-Eliezer mit dem palästinensischen Sicherheitschef von Gaza, Mohammad Dahlan, und dem Berater Arafats, Muhammad Rashid. Gleichzeitig verhafteten palästinensische Sicherheitskräfte drei mutmaßliche Attentäter, die für den Anschlag auf den Tourismusminister Rechavam Zeevi verantwortlich sein sollen. Die israelische Regierung reagierte mit der Aufhebung des Hausarrests für Arafat, der Ramallah allerdings weiterhin nicht verlassen darf.

Während Arafats Autonomiebehörde offiziell von einem »totalen Krieg« spricht, den Israel führe, scheint der Wandel in der palästinensischen Taktik neue Handlungsoptionen zu eröffnen. Es mag verfrüht sein, wenn der palästinensische Kabinettssekretär Ahmed Abdel Rahman erklärt: »Wir sind nur zehn Minuten von unserer Unabhängigkeit entfernt.« Erstmals seit langem scheint es aber wieder möglich, dass ein palästinensischer Staat entsteht - weil die Mehrheit der Israelis keine andere Option sieht und nicht, weil französische, deutsche oder irakische Außenminister ihn wünschen. Denn nicht wegen des äußeren Druckes hat sich Israel aus dem Südlibanon zurückgezogen, sondern weil der Widerstand gegen eine perspektivlose Militärpolitik innerhalb des Establishments immer stärker wurde.

Sollten sich die Palästinenser in Zukunft darauf beschränken, einen Krieg nur gegen Soldaten und Siedler zu führen, werden sie mit einem gewissen Verständnis in der israelischen Öffentlichkeit rechnen können, die in ihrer überwältigenden Mehrheit weiterhin für die Schaffung eines palästinensischen Staates votiert. Massendemonstrationen bewegten 1982 die israelische Regierung zum Abzug aus Beirut, wachsender Unmut über eine perspektivlose Besatzungspolitik zwang 1991 Yitzhak Shamir an den Verhandlungstisch in Madrid. Und nur dieser Druck der israelischen Bevölkerung - und nicht die Verlautbarungen arabischer Länder, ihrer europäischen Alliierten oder jener »antisemitischen Internationale«, die sich in Durban (Jungle World, 35 und 36/01) zusammenfand - ist die einzige verlässliche Unterstützung für die Palästinenser.

Trotz der Ausweitung der militärischen Aktionen hat man in Israel also auf den bislang rein taktischen Wandel zu einer Guerillastrategie reagiert. Denn man weiß aus eigener Erfahrung, dass Kriege, die nur gegen Kombattanten und für erreichbare Ziele geführt werden, in Verhandlungen auch beendet werden können. Um Killerkommandos zu bekämpfen, die im Namen von Allah, Blut und Ehre Menschen massakrieren, nur weil sie Juden sind, hilft dagegen nur Gewalt.