Vertriebenenverbände wettern gegen den tschechischen Premier

Die Kolonne zieht weiter

Die Vertriebenenverbände machen mit Unterstützung der Bundesregierung und der Union gegen den tschechischen Ministerpräsidenten mobil.

Fährt er nun nach Tschechien oder nicht? Eigentlich hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder die Stippvisite in seinem Märzprogramm. Doch nun überlegt er es sich noch einmal. Denn ebenso wie deutsche und österreichische Rechtsextreme, Vertriebenenverbände und sein bayerischer Herausforderer Edmund Stoiber ist Schröder verärgert über den tschechischen Ministerpräsidenten.

In einem Interview mit dem österreichischen Magazin Profil äußerte sich Milos Zeman Ende Januar unter anderem zu dem Vorschlag des Obmanns der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich, Gerhard Zeihsel, in Tschechien zweisprachige Ortstafeln aufzustellen. Diese Forderung wies Zeman als Provokation und »kompletten Unsinn« zurück. Man dürfe »nicht vergessen, dass die Sudetendeutschen die fünfte Kolonne Hitlers waren, um die Tschechoslowakei als einzige Insel der Demokratie in Mitteleuropa zu zerstören«, außerdem seien sie vor dem Überfall Hitlers tschechoslowakische Staatsbürger gewesen. »Nach dem tschechischen Recht haben viele von ihnen Landesverrat begangen, ein Verbrechen, das nach dem damaligen Recht durch die Todesstrafe geahndet wurde«, mithin sei die Vertreibung »milder als die Todesstrafe« gewesen.

Da schäumten natürlich die Seelen der sudetendeutschen Berufsvertriebenen. Zeman sei »unbelehrbar« und »ewig gestrig«, polterte der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft in der Bundesrepublik, der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt. Die Äußerungen seien eine »plumpe Geschichtsfälschung und menschenrechtswidrige Aufwärmung der überholten Kollektivschuldthese«. Sein österreichischer Kollege, der Wiener FPÖ-Funktionär Zeihsel, sprach von »verbrecherischen Tatbeständen, wie Raub, Mord und Völkermord, die gewisse Benes-Dekrete ermöglicht« hätten. »Die 3,5 Millionen Sudetendeutschen wurden gegen ihren Willen in die 1. CSR gepresst.«

Eine bemerkenswerte Auffassung. Man braucht schon viel Mut zur geschichtlichen Verdrehung, um in der überwiegenden Mehrzahl der Sudetendeutschen Opfer statt Täter zu sehen. Die Tschechoslowakische Republik (CSR) hatte ihre Nationalitätenpolitik dem Schweizer Vorbild entlehnt.

Von einer »Unterjochung« der Sudetendeutschen kann in keiner Weise gesprochen werden. Bis zu ihrer Selbstauflösung und Eingliederung in die 1933 gegründete Sudetendeutsche Partei des glühenden Nationalsozialisten Konrad Henlein im Frühjahr 1938 stellten zwei bürgerliche Parteien der Sudetendeutschen sogar Minister. Trotzdem erhielt die Henlein-Partei, die den Anschluss an Deutschland forderte, bei den letzten freien Wahlen in der CSR, den Kommunalwahlen in Westböhmen im Mai 1938, insgesamt 91,44 Prozent aller deutschen Stimmen. Die Sudetendeutschen hatten sich für Hitler entschieden und bejubelten später auch die Okkupation.

Die Aussiedlung der »Volksdeutschen« nach 1945 war daher eine im Einzelfall vielleicht harte, insgesamt aber logische Konsequenz und basierte auf einem Beschluss der Potsdamer Konferenz der Siegermächte. Auch die bis heute von österreichischer Seite attackierten Dekrete der ersten linksbürgerlichen Nachkriegsregierung unter Edvard Benes, die die Enteignung und Umsiedlung der deutschen und anderer »staatlich unzuverlässiger Personen« aus der Tschechoslowakei regelten, sind entsprechend nachvollziehbar. Sie waren gegen diejenigen gerichtet, die mit ihrem Verhalten die nazistische Politik, die Okkupation und letzten Endes den Angriffskrieg Deutschlands unterstützt hatten. Denn nicht alle Deutschen wurden enteignet und ausgebürgert, Antifaschisten und Menschen, die sich aktiv am Kampf für die Befreiung der CSR beteiligt hatten, waren ausgenommen.

Aber die haben sich auch nicht in Vertriebenenverbänden organisiert und sind deshalb, gerade vor Wahlen, gänzlich uninteressant für die deutsche Politik. In seltener Einmütigkeit missbilligten die rot-grüne Bundesregierung und die CDU/CSU Zemans Äußerungen. Eine Kollektivschuld der Sudetendeutschen sei inakzeptabel, meinte Joseph Fischer, es habe schließlich auch solche gegeben, die loyal zum tschechischen Staat gestanden und Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hätten - was Zeman nie bestritt.

Die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach, im Nebenberuf Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, hielt Zeman vor, er verteidige »die Rassenpolitik Edvard Benes'« und habe von Menschenrechten und »vom Wertefundament Europas rein gar nichts begriffen«. Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber, als bayerischer Regierungschef auch Schirmherr der Sudetendeutschen, forderte gar schriftlich eine Entschuldigung von Zeman: »Die Vertreibung der Sudetendeutschen ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen.«

Das dürfte besonders den Bund der Vertriebenen gefreut haben. Denn damit hat Stoiber bereits eine der entscheidenden Fragen der »Wahlprüfsteine«, die der rechtsgerichtete Berufsvertriebenenverein für seine Mitglieder aufstellen will, befriedigend beantwortet: Wie setzen sich die Parteien dafür ein, dass die in den EU-Beitrittsländern Tschechien, Polen und Slowenien fortgeltenden »Vertreibungsdekrete« noch vor dem Beitritt aufgehoben werden? Jetzt schon legen sich CDU-Politiker für das vom BdV geplante »Zentrum gegen Vertreibung« ins Zeug. Auf einem Benefiz-Konzert für das »Zentrum« am 17. Februar in Frankfurt am Main wollen neben Steinbach auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch und die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth reden. Und sie werden dann auch wieder den sudetendeutschen Opfermythos beschwören und Zeman kräftig geißeln.

Denn er ist trotz des Drucks aus Berlin und München standhaft geblieben. Stoibers Aufforderung, sich zu entschuldigen, beschied er: »Für die Wahrheit entschuldigt man sich nicht.« Er kritisiere Kollaborateure grundsätzlich ohne Ansehen ihrer Nationalität, und ein »wesentlicher Teil« der Sudetendeutschen habe sich nun mal als »fünfte Kolonne Hitlers« an der Zerschlagung der Tschechoslowakei beteiligt. »Wenn Herr Stoiber das nicht versteht, dann kennt er leider die historischen Fakten nicht.« Oder will sie nicht kennen. Damit ist er nicht allein.