Der sanfte Faschismus

Für die schleichende gesellschaftliche Akzeptanz der Rechtsextremenen in Italien ist vor allem Gianfranco Fini verantwortlich.

Es schien eine günstige Gelegenheit für Vizepremier Gianfranco Fini, endlich aus dem Schatten des italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi herauszutreten. Nachdem Berlusconi vor zwei Wochen Außenminister Renato Ruggiero entlassen hatte, zögerte Fini nicht lange und brachte sich unverzüglich als Nachfolger ins Gespräch. Auch Berlusconi schien nichts dagegen zu haben. Er erklärte, Fini sei ein möglicher Kandidat.

Der ehemalige Neofaschist Fini, Generalsekretär der Alleanza nazionale, als italienischer Außenminister? Was man im Ausland vor allem als Provokation empfände, bedeutete in Italien eine endgültige Etablierung der autoritären Rechten. Noch vor wenigen Jahren wäre diese Entwicklung unvorstellbar gewesen. 1992 feierte der Movimento sociale italiano (MSI) den 70. Jahrestag des faschistischen Marsches auf Rom unter einem riesigen Porträt Benito Mussolinis. Fini war damals der Parteivorsitzende. Zwei Jahre später bezeichnete er Mussolini als einen der größten Staatsmänner des Jahrhunderts. Seine Äußerung rief eine derartige internationale Empörung hervor, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich von ihr wieder zu distanzieren.

Alles vergessen und vorbei? Für die schleichende gesellschaftliche Akzeptanz der Faschisten ist vor allem Fini verantwortlich. Als nach dem Zusammenbruch der so genannten Ersten Republik Anfang der neunziger Jahre ein Machtvakuum in der italienischen Politik entstand, erkannte er die Chance, seine Partei aus ihrer Randposition herauszuführen. 50 Jahre lang hatte der MSI nie mehr als acht Prozent der Wählerstimmen erhalten. Fini verpasste der Partei aus Alt- und Neofaschisten ein neues Erscheinungsbild.

Als Wendepunkt gilt dabei der Parteitag im Januar 1995 in Fiuggi. Die Partei legte endgültig den Namen MSI ab und nannte sich Alleanza nazionale. Ein Statut sollte die italienische Öffentlichkeit von der demokratischen Wende überzeugen. Scheinbar sagte sich die Partei vom Faschismus los. »Der Antifaschismus war das entscheidende historische Moment, um zu den demokratischen Werten zurückzukehren, die der Faschismus unterdrückt hatte«, heißt es in dem Statut.

Der linke Soziologe Marco Revelli weist jedoch auf den wenig beachteten Kontext hin, in dem diese Worte erschienen sind. Denn nur wenige Zeilen darauf wird der Antifaschismus als ein Phänomen des Kalten Krieges abgetan: »Der Antifaschismus ist jedoch kein Wert an sich. (...) Er wurde von einem zufälligen historischen Moment zur Ideologie befördert von den kommunistischen Staaten und der PCI, die sich damit in der Nachkriegszeit zu legitimieren versuchten.«

Zwar ist Fini der saubere Vorzeigemann der AN. Doch die faschistischen Wurzeln der Partei sind auch seine eigenen. Schon als 19jähriger Psychologiestudent schloss er sich der Fronte della gioventù an, der Jugendorganisation des MSI. Seine Karriere setzte er anschließend in der Mutterpartei fort, deren Generalsekretär er 1987 wurde.

Dieses Amt musste er von 1990 bis 1991 an seinen Konkurrenten Pino Rauti abtreten, einen ehemaligen Angehörigen der faschistischen Marionettenrepublik von Salo. Noch heute muss sich Fini in seiner Partei gegen den Vorwurf wehren, zu moderat zu sein. Zu seinen Kritikern gehören Prominente wie der Präsident der Region Lazio, Franscesco Storace, und Alessandra Mussolini. Die Enkelin des »Duce« hält den Parteichef für zu »weich«.

Mit öffentlichkeitswirksamen Gesten versuchte Fini in den letzten Jahren, seine faschistische Vergangenheit abzuschütteln. Er besuchte Gedenkstätten nationalsozialistischer Gräueltaten in Italien, 1999 legte er einen Kranz an der Exekutionsmauer in Auschwitz nieder.

Dem charismatischen Parteiführer ist es damit gelungen, in der Öffentlichkeit ein Image von Besonnenheit und Vernunft zu erzeugen. Neben dem polternden Umberto Bossi wirkt der Fünfzigjährige fast wie ein seriöser Politiker.

In der regierenden Koalition mit Berlusconis Forza Italia und der sezessionistischen Lega Nord tritt die AN als Partei auf, die sich für die sozialen Rechte einsetzt. Mit Großkundgebungen hat sie in den letzten Jahren versucht, die Straße zurückzuerobern. Noch immer unterhält sie eine Arbeitslosenorganisation, den Movimento nazionale per l'Occupazione.

Zwar stehen sich der Sezessionismus der Lega Nord und der auf Rom zentrierte Nationalismus der AN konträr gegenüber. Doch spätestens beim Thema Immigration überwinden die beiden Regierungsparteien ihre Differenzen. Für Fini befindet sich Italien im Verfall. Er sieht sowohl das italienische Nationalgefühl als auch die öffentliche Ordnung von Flüchtlingen bedroht. »Italien ist - gemeinsam mit anderen europäischen Völkern - Gründerin einer zivilen, rechtlichen, ästhetischen, ethischen und philosophischen Kultur, die nicht aufgelöst werden darf in einer undefinierten, vermischten Pseudokultur«, erklärte er 1998 auf einem Parteikongress.

Einig sind sich die beiden Parteien auch in der Ablehnung der Homosexualität. Zur Gay Parade im vergangenen Juni in Rom ließ die AN entlang der Kundgebungsstrecke Plakate kleben mit der Aufschrift: »Hinter jedem Homosexuellen versteckt sich ein Pädophiler.« Und in einer Fernsehshow verkündete Fini 1998: »Es ist moralisch nicht vertretbar, dass ein erklärter Homosexueller als Lehrer arbeitet. So wie ich denken 95 Prozent der Italiener.«

Auch seinen autoritären Stil hat er nicht aufgegeben. Im vergangenen Juni, vor dem G 8-Gipfel in Genua, forderte Fini, dass die Regierung das italienische Militär gegen die Globalisierungsgegner einsetzen solle. Seine Rolle bei den Übergriffen der Polizei während der Demonstrationen ist bislang nicht geklärt. Schließlich hielt er sich, gemeinsam mit anderen AN-Parlamentariern, während des Gipfels im Forte San Giuliano auf, der Einsatzzentrale der Carabinieri.

Fini ist sich der Vorbehalte gegen seine Kandidatur bewusst. Der Postfaschist im Amt des Außenministers würde nicht nur Italiens Beziehungen zu Israel ernsthaft gefährden, sondern auch das Land innerhalb Europas weiter isolieren. Doch vorläufig wird nichts aus seinen ehrgeizigen Plänen. Berlusconi ernannte sich erst einmal selbst zum Interimsminister.

Der Chef der Farnesina, des italienischen Außenamtes, müsse »ein Unternehmer, ein Organisator, ein Erneuerer« sein, verkündete Berlusconi. Und wer könnte geeigneter für den Posten sein als er selbst? »Diese Aufgabe gefällt mir, ich glaube, sie gut zu können und werde mich dabei sogar gut amüsieren«, sagte Berlusconi. Schießlich sei auch Europa keine »Bruderschaft, sondern ein Bündnis aus Ländern, die miteinander konkurrieren«.

Der Unternehmer, der gleichzeitig Ministerpräsident und Minister ist, will voraussichtlich für sechs Monate in der Farnesina amtieren, lange genug, um das Ministerium neu auszurichten. »In der Farnesina brauchen wir einen absolut vertrauenswürdigen Mann, einen vollstreckenden Arm des Ministerpräsidenten«, beschrieb Roberto Antonione, der Parteikoordinator der Forza Italia, den Wunschkandidaten. Fini wird also noch ein wenig stillhalten und seinen Gehorsam unter Beweis stellen müssen, bis seine Zeit kommt.