Die Parlamentswahlen im Kosovo

Keine Macht für Hashim

Nach den Parlamentswahlen im Kosovo bleibt die Macht in den Händen der internationalen Protektoratsverwaltung.

Für den Vorsitzenden der Demokratischen Liga des Kosovo (LKD) ist es eine späte Genugtuung. Ibrahim Rugova, der bereits vor zehn Jahren zum Präsidenten der südserbischen Provinz gewählt wurde, wird das Amt erneut antreten können. Mit einem großen Unterschied: Hatte ihn nach seinen Wahlsiegen 1991 und 1998 bis auf die albanische Regierung kein Staat international anerkannt, kann Rugova sich wohlwollender Schulterklopfer nun kaum erwehren. Die LKD hat bei den Parlamentswahlen am Wochenende knapp 50 Prozent der Stimmen im Kosovo erhalten.

Zweieinhalb Jahre nach dem Einzug internationaler Verwalter und Militärs in die ehedem autonome serbische Provinz markierten die Wahlen die erste konstitutive Etappe auf dem Weg zur Schaffung eines souveränen Staates. Als »Riesenerfolg für die Menschen im Kosovo« bezeichnete die Sprecherin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Claire Trivina, den Urnengang gegenüber der Jungle World. Einen »herrausragendenen Schritt in Richtung Normalität« will Nato-Generalsekretär George Robertson in dem Votum erkannt haben.

Wie diese Normalität jedoch aussehen soll, d.h. welchen völkerrechtlichen Status das Kosovo eines Tages haben wird, ist auch nach den Wahlen unklar. Zwar warben Rugovas Demokratische Liga ebenso wie die beiden von früheren Kommandeuren der Kosovo-Befreiungsarmee UCK geführten Albaner-Parteien AAK (Allianz für die Zukunft des Kosovo) und PDK (Demokratische Partei) während des Wahlkampfes unentwegt für die Unabhängigkeit der Zwei-Millionen-Einwohnerprovinz. Am besten »heute oder morgen« solle es soweit sein, bekräftige Rugova seine Forderung am Sonntag.

So weit aber will es die Uno-Protektoratsverwaltung für das Kosovo (Unmik) nicht kommen lassen. Das beteuerte zumindest der Leiter der Mission, der Däne Hans Häkerrup, in den vergangenen Wochen immer wieder. Muß er auch, denn: »Jeder Versuch des neuen Parlaments, die Unabhängigkeit auf die Tagesordnung zu setzen, wäre ein Verstoß gegen die Uno-Resolution.« Mit diesem Beschluss hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach dem Ende des Nato-Bombardements im Sommer 1999 den Weg frei gemacht für den Einzug der internationalen Verwalter.

Auch wenn das Protektorat völkerrechtlich weiter zu Jugoslawien gehört, steht die Provinz seitdem unter Aufsicht der Uno. Für die militärisch-polizeiliche Absicherung des Waffenstillstandes zwischen der Nato und Jugoslawien ist die 38 000 Mann starke Kosovo Protection Force (Kfor) zuständig. Diese Privilegien aufgeben wollen Nato, Uno und die für die Organisation der Wahlen verantwortliche OSZE vorerst nicht.

Da der Abzug jugoslawischer Militär- und Polizeieinheiten zu keinem Zeitpunkt die erhoffte Ruhe in die Provinz gebracht hat, denkt in Brüssel oder Wien zur Zeit niemand daran, die Herrschaft über das quasistaatliche Gebilde den Kosovo-Albanern allein zu überlassen. Auch wenn die Kfor in den letzten beiden Jahren die Integration von mehr als 3 000 früheren UCK-Kämpfern in das Kosovo-Polizeikorps (TMK) sowie den Export zahlreicher Waffen und Ausbilder nach Mazedonien augenzwinkernd toleriert hat, sind die Sympathiewerte für die einstigen Verbündeten erheblich gesunken.

Das räumt auch Kfor-Sprecher Daz Slaven ein. Gegenüber der Jungle World bezeichnete er es außerdem als »unmöglich, die Grenze zwischen dem Kosovo und Mazedonien komplett abzuriegeln«. Die Möglichkeit, der frühere UCK-Kommandeur Hashim Thaqi könne nach der Niederlage seiner Demokratischen Partei zum bewaffneten Kampf zurückkehren, wollte Slaven jedoch nicht weiter kommentieren. Stattdessen verbreitet er Zweckoptimismus: Er sei zuversichtlich, »dass alle Parteien den Ausgang der fairen, freien und demokratischen Wahlen respektieren werden«.

Anlass, ihre Zurückhaltung aufzugeben, hätten die ausgebooteten Ex-Guerilleros schon bald. So hatte die Chefanklägerin des Uno-Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, für Dienstag ihren Besuch in der mazedonischen Hauptstadt Skopje angekündigt (siehe gegenüberliegende Seite). Neben Übergriffen der albanisch-mazedonischen Nationalen Befreiungsarmee UCK sollten dem Vernehmen nach auch mögliche Verbrechen des früheren Kosovo-UCK-Kommandeurs und heutigen Leiters des Polizeikorps der Provinz, Agim Ceku, thematisiert werden.

Nach dem Einzug der Kfor 1999 war Ceku von der internationalen Protektoratsverwaltung an die Spitze der Organisation berufen worden. Offiziell eine Art Technisches Hilfwerk diente es seither als Sammelbecken für arbeitslos gewordene UCK-Kämpfer. Zu deren Nebentätigkeiten zählte dabei stets die Lieferung von Waffen und Ausbildern nach Mazedonien (Jungle World, 13/01). Sollten die Ermittlungen gegen Ceku oder andere Ex-UCK-Führer tatsächlich zu deren Auslieferung nach Den Haag führen, wäre ein Aufruhr wahrscheinlich. Denn der Ärger der kosovo-albanischen Bevölkerung darüber, dass Unmik und Kfor ihr vermeintliches Versprechen auf Unabhängigkeit bis heute nicht eingelöst haben, ist ohnehin schon groß genug.

Auch die ersten Parlamentswahlen seit dem Ende der serbischen Herrschaft in der Provinz besänftigen die Separatisten kaum. So fallen die meisten für einen souveränen Staat konstituierenden Elemente weiter in den Zuständigkeitsbereich der Protektoratsverwaltung. Die Ressorts Inneres, Äußeres, Verteidigung und Justiz werden deshalb gar nicht erst besetzt, Minister darf die künftige Regierung lediglich für die Bereiche Finanzen, Landwirtschaft, Umwelt, Kommunikation und Gesundheit stellen.

Außerdem muss Unmik-Chef Häkerrup jedem von den 120 Abgeordneten verabschiedeten Gesetz zustimmen. Ihm steht das Recht zu, sämtliche Entscheidungen der Legislative außer Kraft zu setzen. Eine angesichts der erdrückenden albanischen Mehrheit im Parlament einhellig erwartete Unabhängigkeitserklärung könnte auf diese Weise problemlos für ungültig erklärt werden.

Für Unmut unter den Kosovo-Albanern sorgt außerdem die Regelung, dass 20 der 120 Parlamentsmandate an Listen und Kandidaten der Minderheiten vergeben werden. Unabhängig vom endgültigen Ausgang der Wahlen erhalten die Vertreter der Kosovo-Serben zehn Sitze, die der Roma und der albanisch-sprachigen Ashkali vier, die der muslimischen Bosnier drei, die der Türken zwei und die der Gorani einen.

Nach der Vertreibung Zehntausender Kosovo-Serben in die angrenzenden jugoslawischen Republiken Montenegro und Serbien 1999 hatte die Uno-Verwaltung besonderes Augenmerk auf die Teilnahme der serbischen Minderheit gelegt. Ein Boykott wie bei den Kommunalwahlen im Herbst letzten Jahres sollte unbedingt vermieden werden.

Aber erst nach wochenlangen Verhandlungen gab die Regierung in Belgrad dem Drängen Häkerrups nach und rief die serbische Minderheit zur Beteiligung an der Wahl auf. Im Gegenzug garantiert das von Häkerrup und dem stellvertretenden serbischen Innenminister, Nebojsa Covic, unterzeichnete Papier der serbischen Regierung, dass die Uno-Resolution 1244 durch »keinerlei Handlung der provisorischen Regierungsinstitutionen geändert werden kann«. Ein gutes Jahre nach dem Sturz Slobodan Milosevics erkennt die Unmik die Regierung in Belgrad damit zum ersten Mal als legitimen Verhandlungpartner auf der Suche nach dem künftigen Status des Kosovo an. Und immerhin ging fast die Hälfte der stimmberechtigten serbischen Bevölkerung am Wochenende zur Wahl.

Wie lange der Optimismus Covics anhalten wird, das Streben der Kosovo-Albaner nach Unabhängigkeit aufzuhalten, ist damit jedoch nicht gesagt. »Dieses Dokument steht symbolisch für die beginnende Rückkehr Serbiens und Jugoslawiens auf ihr Territorium im Kosovo«, freute er sich nach der Unterzeichung des Abkommens am 5. November.

Zwei Wochen später sieht es so aus, als ob sich am Ende doch eher die entstehenden kosovo-albanischen Institutionen durchsetzen werden. Die albanischen Parteien, die ausnahmslos die Unabhängigkeit fordern, stellen etwa 85 Prozent im neuen Parlament in Pristina. Einer Rückkehr jugoslawischer Soldaten und serbischer Polizisten wird dieses Plenum nie zustimmen.