Verfassungsreform in Mazedonien beschlossen

Das Tribunal muss ran

Mazedonien hat die von der albanischen Minderheit geforderte Verfassungsreform ratifiziert. Ihre Realisierung wird schwierig.

Von überbordender Freude spürt man bei Harald Schenker, Sprecher der OSZE-Mission in Skopje, nichts: »Jetzt haben die zwar die Verfassungsreform ratifiziert, aber richtig schwierig wird es erst, sie umzusetzen«, sagt er gegenüber Jungle World. Und wenn es ein konstantes Problem im mazedonischen Konflikt gibt, so ist es das der Umsetzung bereits erzielter Vereinbarungen. Papier, das zeigte sich in den vergangenen Monaten immer wieder, ist in dem kleinen Balkanland geduldiger und die Konfliktparteien sind ungeduldiger als anderswo.

Einen Tag, bevor die Parlamentarier in Skopje endlich die Verfassungsreform durchsetzten, die für eine Besserstellung der albanische Minderheit in Mazedonien sorgen soll, meldete sich etwa die aus der eigentlich aufgelösten UCK hervorgegangene »Albanische Nationalarmee« zu Wort: Nur mit Waffengewalt würden die Albaner zu ihrem Recht kommen. Und sie belässt es nicht bei Drohungen, fünf Tage vor der Abstimmung erschoss sie bei Tetovo drei Polizisten. Fast täglich kommt es zu Schusswechseln.

Die Bedrohungen durch die bewaffneten UCK-Nachfolger dürften auch nach der Ratifizierung der Reformen nicht so bald der Vergangenheit angehören. Arben Xhaferi, Chef der albanischen Demokratischen Partei, äußerte kurz nach dem parlamentarischen Akt: »Wir haben jetzt die Verfassung repariert, jetzt muss noch die Mentalität repariert werden.« Ein schwieriges Unterfangen. Denn im Klima von Opportunismus und Eitelkeit, wie es unter den Parlamentsparteien herrscht, konnte in den vergangenen Monaten kaum ein Konzept ausgearbeitet werden, um das gegenseitige Vertrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen wiederherzustellen.

Das will jetzt die OSZE besorgen. Mit nicht unbedingt durchschlagendem Erfolg: Noch bevor der Einmarsch mazedonischer Polizei in einige bislang von der UCK gehaltene Gebiete begonnen hat und noch bevor die rund 120 000 innerhalb des Landes Vertriebenen beider Bevölkerungsgruppen wieder in ihre alten Siedlungsgebiete zurückgekehrt sind, setzt der nächste Exodus schon ein. In Tetovo und Umgebung verlassen zahlreiche slawischsprachige Mazedonier ihre Wohnungen und Häuser. Ein Indiz dafür, dass Jordan Boschkow, Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses des mazedonischen Parlaments Recht behalten könnte mit der Prognose, die er vor einigen Wochen stellte: »Sie werden sehen, dass Tetovo bald eine hundertprozentig albanische Stadt sein wird. Die Mazedonier werden die Gegend verlassen.«

Jubel seitens der internationalen Gemeinschaft über die Ratifizierung der Verfassungsreform ist wohl auch deshalb verfrüht, weil es noch keine tatsächlichen Tests für die Nachhaltigkeit des Friedensschlusses zwischen mazedonischer Exekutive und den Rebellen gibt. Die Polizei des Landes ist erst in fünf Pilot-Dörfer eingerückt, die bislang von der UCK gehalten worden waren.

Die Zaghaftigkeit, mit der die Übernahme des Rebellen-Gebietes erfolgt, ist vor allem im Fehlen der wesentlichen politischen Voraussetzungen begründet. Das Parlament in Skopje konnte sich noch immer nicht über das notwendige Gesetz zur Amnestierung namhafter UCK-Chefs einigen, wie es in den Verhandlungen von Ohrid eigentlich angestrebt worden war. Solange die ehemaligen Guerilla-Bosse nicht sicher sein können, dass sie von der Exekutive unbehelligt bleiben, wenn die wieder das Land in Besitz nimmt, erscheint das Konfliktpotenzial als zu hoch.

Nur einer scheint nun aus dem stillen Konsens zwischen Guerilla und Regierung auszuscheren. Innenminister Ljube Boskovski hat sich in der Vorwoche aus jenem Gremium zurückgezogen, das die Übergabe der betreffenden Gebiete an die Staatsmacht koordinieren soll. Boskovski gilt selbst Mazedoniern als Hitzkopf, der auch schon mal schießen lässt, bevor er über die Konsequenzen nachgedacht hat. Wenn die mazedonischen Polizei-Einheiten auf sein Geheiß nun die bisherigen Hochburgen der UCK betreten, würden die bisherigen Einigungen hinfällig.

Was Boskovski in die Sturm- und Drang-Phase treibt, ist der Umstand, dass sich Informationen über Entführungen und Exekutionen slawischsprachiger Mazedonier durch UCK-Rebellen während des Krieges verdichten. Noch immer gelten 13 Zivilisten als verschwunden, und nördlich der Stadt Tetovo vermuten mazedonische Regierung und OSZE ein Massengrab mit mindestens sechs Mazedoniern, die während des Krieges hingerichtet worden sein sollen. »Das Problem mit der Amnestie ist, dass man den Guerilleros klar machen muss, dass die Amnestie ganz sicher nicht für mögliche Kriegsverbrechen wie dieses gilt«, sagt OSZE-Diplomat Schenker.

Aber selbst wenn UCK-Chefs wie Ali Ahmeti in diese Bedingung einwilligen, ein mazedonisches Gericht werden sie niemals akzeptieren. »Mazedonische Gerichte sind bei denen nachhaltig diskreditiert, auch wenn ein möglicher Prozess rechtlich vollkommen in Ordnung wäre«, so Schenker.

Also wird der OSZE-Diplomat gemeinsam mit Vertretern der internationalen Gemeinschaft in Mazedonien in diesen Tagen die relativ delikate Aufgabe haben, die Chefanklägerin des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, Carla del Ponte, davon zu überzeugen, dass der Gerichtshof ein mögliches Verfahren wegen Kriegsverbrechen in Mazedonien an sich ziehen muss. Immerhin weilt del Ponte dieser Tage in Skopje und wird dort wohl auch von der mazedonischen Regierung bedrängt werden, sich der Sache anzunehmen. »Wir arbeiten schon seit Monaten mit dem Tribunal zusammen«, sagt etwa Georgij Trendafilow, Sprecher des mazedonischen Premiers Ljubco Georgivieskij gegenüber Jungle World.

Fest steht jedenfalls, dass Ermittler des Tribunals schon seit dem Spätsommer in Mazedonien nach möglichen Beweisen für Kriegsverbrechen beider Seiten suchen. Für die UCK wäre ein Prozess vor dem Haager Tribunal jedenfalls akzeptabel. Carla del Ponte hat sich seit dem Kosovo-Krieg ihren Ruf hart erarbeitet, flott gegen mutmaßliche serbische Kriegsverbrecher und lasch gegen mögliche Kriminelle auf Seiten der UCK zu ermitteln. »Wenn die del Ponte aber unseren Vorschlag nicht annimmt und den Fall nicht haben will, dann sitzen wir in der Tinte«, warnt OSZE-Diplomat Harald Schenker. Denn dann würden vermutlich die UCK-Chefs einen neuen Konflikt provozieren, um nicht vor ein mazedonisches Gericht zu müssen.

Noch aber ist nicht einmal sicher, ob es überhaupt zu einem Amnestiegesetz kommt. Vielleicht schon in dieser, wahrscheinlich aber in der nächsten Woche wird das Parlament aufgelöst, um den Weg für Neuwahlen Ende Januar 2002 freizumachen. Ob dann noch die Vereinbarungen zwischen den Parteien halten, ist fraglich. Gleichzeitig wird das Ende der derzeit noch amtierenden Regierung der nationalen Einheit, in der alle Parlamentsparteien zusammengefasst sind, und der beginnende Wahlkampf zu gefährlichen Eruptionen des Nationalismus führen, um Wähler zu binden.

Auch die Wahlen im Kosovo haben unterdessen Auswirkungen auf das südliche Nachbarland. Davor wenigstens warnt OSZE-Diplomat Schenker: »Die radikalen albanischen Parteien im Kosovo haben verloren. Wenn die jetzt ihren Einfluss im Kosovo verlieren, könnten sie versucht sein, in Mazedonien Unruhe zu stiften. Davon leben sie schließlich.«