US-Feindschaft in Lateinamerika

Ladens Latin Lovers

In Lateinamerika bringt ein lang gepflegter linker Antiamerikanismus dem islamistischen Terror Sympathien ein. Viele Linke feierten die Anschläge vom 11. September.

Schon wenige Tage nach den Anschlägen vom 11. September waren sich in El Salvador Mitglieder einer linken StudentInnenorganisation, deren Mutterpartei eine der Gruppierungen in der linken Befreiungsorganisation FMLN ist, im Klaren, auf wessen Seite sie stehen, wenn die USA angegriffen werden: »Ussama bin Laden - Führer der Menschlichkeit« war nach einer Demonstration auf dem Hauptplatz San Salvadors zu lesen.

Ähnlich sieht das auch Hebe de Bonafini, prominente Vorsitzende der Madres de la Plaza de Mayo, einer Menschenrechtsorganisation, die von Müttern der während der argentinischen Militärdiktatur Verschwundenen gegründet wurde. Als seit Jahren gern gesehener Gast auf internationalen Menschenrechts- und Universitätskonferenzen hielt sie sich während einer Vortragsreihe am 29. September an der Universität von Buenos Aires mit ihrer Freude über die Attentate des 11. Septembers nicht zurück. Sie habe sich zu diesem Zeitpunkt gerade in Kuba aufgehalten, erzählte sie dem Publikum, und fühlte sich »sehr glücklich über die Nachricht«. »Ich will nicht falsch sein: Es tat mir nicht im geringsten leid, (...) weil ich in meinen Vorträgen immer sage, dass unsere Kinder an jenem Tag gerächt werden, an dem das Volk, irgendein Volk, glücklich ist. Ich spürte, dass es sehr tapfere Frauen und Männer gab (...) die sich vorbereiteten und ihr Leben für uns gaben. Ich stieß an auf meine Kinder, ich stieß an auf so viele Tote.«

Für den ebenfalls auf dem Podium vertretenen argentinischen Schriftsteller Vivente Zito Lema ist Ussama bin Laden »ein Kämpfer, ein Revolutionär«. Sein Kollege David Viñas feierte die Anschläge gar als »eine ganz neue Form des Klassenkampfes«.

Auch in Guatemala gibt es jede Menge Linke, die im Feind ihres Feindes einen Freund sehen wollen. Auf der jährlichen Demonstration zum Jahrestag der guatemaltekischen Revolution von 1944 am 20. Oktober trugen DemonstrantInnen T-Shirts mit dem Bild bin Ladens und dem Schriftzug: »Die Stunde der Erniedrigten, sich gegen den Imperialismus zu erheben, ist gekommen! Genesis 9:11.« Und für jene, die immer noch nicht wissen, auf wessen Seite sie zu stehen haben, wurde auf der Rückseite des T-Shirts klargestellt: »Die Vereinigten Staaten erleben heute, was wir seit Jahren erleben. Sie bekommen das, was sie verdienen, zurück.«

Während wir kopfschüttelnd beobachten, wie einige dieser DemonstrantInnen auf der US-Fahne herumtrampeln, kommen zwei befreundete BasisaktivistInnen der ehemaligen Guerilla URNG zu uns und meinen, dass sie die T-Shirts nicht verstünden: »Bin Laden ein Revolutionär? Was soll an dem fortschrittlich sein? Der ist doch kein Linker!«

»Aber ein Antiimperialist!« hatte auf denselben Einwand einige Tage zuvor eine in Guatemala lebende Österreicherin geantwortet. Und auch die meisten guatemaltekischen Linken deuten die Anschläge nach den Denkmustern, die ihre antiimperialistischen VorbeterInnen jahrzehntelang propagierten. Auch in Livingston an der guatemaltekischen Karibikküste bekommt man Sprüche zu hören wie »Die USA haben es nicht anders verdient!« und »Wir sind für Ussama bin Laden! Er ist ein Revolutionär und ein Freund der Völker des Südens!«

Europäische Solidaritätsbewegte und RevolutionsromantikerInnen haben den Nationalismus und Antiamerikanismus der lateinamerikanischen Linken immer für harmlos oder gar für fortschrittlich gehalten. Doch auch wenn der Hass auf die USA vielleicht nirgendwo auf der Welt verständlicher ist als in ihrem lateinamerikanischen »Hinterhof«, so ist er hier doch genauso dumm und potenziell gefährlich wie anderswo.

In Guatemala etwa, wo 1954 ein CIA-gesteuerter Militärputsch die demokratische Regierung Jacobo Arbenz' stürzte, eint die Linke seither ein unversöhnlicher Hass auf die USA, die eine Reihe von Militärregimes an die Macht brachten, die in den achtziger Jahren die schlimmsten Massaker in Lateinamerika anrichteten. Die KämpferInnen der Guerillaorganisationen, die sich 1982 zur URNG zusammenschlossen, wurden in den Jahrzehnten des bewaffneten Kampfes jedoch vor allem an der Waffe geschult. Politische Diskussionen hatten hier nur selten Platz und wurden innerhalb der Guerilla auch so manchem zum Verhängnis. Das politische Bewusstsein der meisten Angehörigen der Guerilla und ihrer Vorfeldorganisationen kam dadurch kaum über ein manichäisches Weltbild und eine personalisierende Kapitalismuskritik, die in den USA den Feind schlechthin sah, hinaus.

Daran hat sich auch nach dem Friedensschluss von 1996 wenig geändert. Obwohl die URNG die Waffen abgegeben und sich als politische Partei konstituiert hatte, blieb die militärische Denklogik mit ihrer Theorie- und Diskussionsfeindlichkeit bestehen. KapitalismuskritikerInnen, die sich nicht mit einem linksnationalistischen Antiamerikanismus zufrieden geben, finden sich deshalb heute eher am Rand oder außerhalb der URNG. Und während einige junge Leute vor der US-Botschaft pazifistische Kundgebungen gegen den Krieg abhielten und sich dabei auch klar gegen die Terroranschläge aussprachen, zeigte sich auf der Großdemonstration vom 20. Oktober, wo die Sympathien anderer Linker liegen. Keine Gruppierung hatte versucht, die Verkäuferin der Bin Laden-T-Shirts von ihrer Tätigkeit abzuhalten. Die innerhalb kürzester Zeit ausverkauften T-Shirts kleideten nicht nur manches Mitglied der URNG-Jugend, sondern auch einige GewerkschafterInnen und StudentInnen.

Wie in Guatemala ist die Linke auch in anderen lateinamerikanischen Ländern gespalten. Überall gibt es signifikante Gruppen, die jeden noch so blutigen Selbstmordanschlag gegen Ziele in den USA begeistert begrüßen. Eine Allianz frustrierter Restlinker mit den islamistischen Extremisten ist dennoch unwahrscheinlich. Da der Großteil potenzieller Freiwilliger unter der Herrschaft der Taliban wegen Missachtung von Kleidungsvorschriften ausgepeitscht oder wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs zu Tode gesteinigt würde, dürfte sich die Zahl linker Mudschaheddin aus Lateinamerika in Grenzen halten.