Die Rhetorik des Kalten Krieges und die PDS

Jetzt noch mehr Neue Mitte

Die Rhetorik des Kalten Kriegs verfängt nicht mehr. Mit ihrer neuen Ostpolitik profiliert sich die Sozialdemokratie als Vollenderin der deutschen Einheit.

Vor drei Wochen entschloss sich die Berliner SPD zum Ausstieg aus der von Eberhard Diepgen geführten großen Koalition. Gleichzeitig verlautbarten die Sozialdemokraten, man werde die Hauptstadt, falls die Mehrheitsverhältnisse es erzwingen, künftig auch gemeinsam mit der PDS regieren.

Zum Dank für diese Ankündigung half die PDS dem rotgrünen Übergangssenat unter Klaus Wowereit (SPD) ins Amt. Für den Fall einer Regierungsbeteiligung nach den demnächst stattfindenden Neuwahlen stellten führende Leute der PDS in Aussicht, tatkräftig an der allseits für notwendig erachteten Sanierung des Berliner Haushalts mitzuwirken. Spitzenkandidat Gregor Gysi erklärte, nur seine Partei sei in der Lage, »schmerzhafte Einschnitte überzeugend in die Bevölkerung hinein zu kommunzieren«.

Während daraufhin von links beklagt wurde, die PDS sei nicht kommunistisch genug, wurde von rechts moniert, die PDS sei zu kommunistisch. Der CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel schwor, er werde die Hauptstadt »nicht den Kommunisten zum Fraß vorwerfen«. Die Welt am Sonntag - »es begann in einem Brüsseler Hotel ...« - vermutete eine rosa-rote Verschwörung und präsentierte die nie verheimlichten Kontakte zwischen Sozialdemokraten und Sozialisten als Enthüllungsstory. Die Springer-Zeitungen, allen voran Bild, warnen täglich vor einer Regierungsbeteiligung der vermeintlichen Kommunisten.

Gleichzeitig sucht man intensiv nach Kronzeugen aus der SPD, die einer rot-roten Kooperation misstrauen oder - noch besser - ihren Parteiaustritt androhen. In »Report München« warnte der »Extremismusforscher« Eckhard Jesse, die PDS sei »keine demokratische Partei«. Einer der führenden Politologen Deutschlands, Werner Weidenfeld, bekräftigte, dass da »Maßstäbe zusammenbrechen«: »Leute, die die Diktatur bejaht haben, kommen nun in Schlüsselpositionen.«

Mit Blick auf die PDS sprach Helmut Kohl, den früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher falsch zitierend, von »rot angestrichenen Faschisten« und kündigte an, er werde mit »in die Schlacht ziehen«. Der Historiker Arnulf Baring sagte dem Tagesspiegel auf die Frage, ob ein »rückwärtsgewandter« CDU-Wahlkampf, der die »alten Ängste vor den Kommunisten« schüre, gerechtfertigt sei: »Was heißt hier rückwärtsgewandt. Es laufen viele Leute in der Stadt frei herum, die dafür verantwortlich waren, dass auf Menschen, auf Landsleute geschossen wurde.«

Ähnlich aufgekratzt äußerte sich der frühere DDR-Sänger Wolf Biermann in der Welt. Auf die Kooperationsbereitschaft der SPD zielend fragte er: »In welcher Not sind also solche Parteierotiker, dass sie bei ihrem perversen Machtspiel sich mit totalitären Verwesern ins Koalitionsbett legen müssen, also mit SED- und MfS-Kadern, die das kaum getrocknete Blut ihrer Opfer noch am Ärmel haben.«

Biermanns Text, der sich liest, als sei er zu vorgerückter Stunde am Kneipentisch entstanden, ist eine Ansammlung biologischer Metaphern: »Die PDS ist von Geburt an eine Nachgeburt des totalitären DDR-Regimes«; der - der Korruption überführte - sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf dürfe sich nicht wundern, »wenn seine Konkurrenten mit Hammer und Sichel kommen und ihn wegen einiger lächerlicher Privilegchen festnageln, und zwar mit drei Nägeln, die da heißen: Selbstgerechtigkeit, Heuchelei und Machtkalkül«. Im übrigen, so Biermann, solle ihm niemand damit kommen, die PDS sei durch Wählerstimmen »demokratisch legitimiert«. Schließlich habe Hitler bewiesen: »Auch eine Mehrheit kann sich ins Verderben wählen.«

Die Biermannsche Demonstration intellektueller Anspruchslosigkeit steht für die Qualität der ganzen Kampagne. Sie resultiert aus dem (vorläufigen) Ruin der Konservativen und ist nicht ernst gemeint, sondern eine Farce. Ihre politische Schlagkraft beschränkt sich auf die Mobilisierung der Stammwähler. Bei der Reaktivierung des antikommunistischen Ressentiments handelt es sich weniger um eine ans breite Publikum adressierte Agitation, sondern vielmehr um eine Rückbesinnung auf die eigene Identität.

Dass diese Selbstvergewisserung ausschließlich als Abgrenzung, also negativ daherkommt, ist der existenziellen Krise der Partei geschuldet. Insofern ist die zwanghafte Wiederholung von Schlagworten des Kalten Kriegs wie »Stasi«, »Mauerbau« oder »17. Juni« nicht einmal die rudimentärste Form einer öffentlichen historischen Debatte, also nicht einmal Demagogie, sondern Ausdruck einer kollektiven Psychopathologie.

Die Betroffenen schlüpfen in die Rolle des Opfers und simulieren trotzigen Widerstand gegen einen übermächtigen Feind, der überall lauert. Die Übertragung der eigenen mentalen Zerrüttung auf einen äußeren Gegner bringt das verlogene Pathos, mit dem Kohl und seine Gefolgsleute in die Schlacht gegen die Kommunisten ziehen, ganz von alleine hervor. Damit einher geht ein Rollentausch: Während sich die PDS seriös und staatstragend gibt, wird die Berliner CDU zur Schmuddelpartei, mit der gegenwärtig niemand koalieren will.

Die Isolation der Berliner Christdemokraten ist das Werk der SPD-Bundeszentrale. Mit der Integration der PDS will man dort auf eine politisch kostenneutrale Weise ausprobieren, ob sich nicht bundesweit eine Parteienkonstellation schaffen lässt, die den eigenen Regierungsanspruch durch vervielfältigte Koalitionsmöglichkeiten festigt und die CDU auf längere Sicht neutralisiert. Unabhängig von der Frage, ob die Berliner SPD sich tatsächlich mit der PDS verbindet, muss deshalb zunächst geklärt werden, ob die Wähler es hinnehmen, dass sich die Neue Mitte eine Reserve dieser Art schafft. Mit den bisherigen Reaktionen dürften der SPD-Generalsekretär Franz Müntefering und Bundeskanzler Schröder aber ziemlich zufrieden sein.

Müntefering selbst hatte mit seiner Feststellung, eine Kooperation mit der PDS trage zur Vereinigung Deutschlands bei, eine Richtung vorgegeben. Das funktionierte. Bereits am 8. Juni kritisierte Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung die antikommunistische Kampagne der CDU: »Ausgerechnet die Partei der Einheit zeigt sich als Partei der Spaltung.« Eine Woche später bekräftigte ein weiterer Leitartikel der SZ: »Ausgerechnet die CDU, die sich als Partei der Deutschen Einheit versteht, wird einen Spaltungswahlkampf führen müssen. Sie wird den Westtteil der Stadt gegen den Osten aufhetzen, um an der Macht zu bleiben.«

In der Frankfurter Rundschau war zu lesen: »Mit der Diskussion um eine mögliche Regierungsverantwortlichkeit der PDS wird die DDR nun erstmals zum Gegenstand einer geschichtspolitischen Debatte, die gesamtdeutsch ausstrahlt.« Die Zeit kommentierte, die PDS sei »in die Pflicht zu nehmen und stärker zu integrieren - auch als systemkritische Opposition, die sie bleiben muss. Ihre Mitwirkung am Projekt der deutschen Einheit könnte im Osten Misstrauensblockaden auflösen.«

Auch die Wochenzeitung Freitag, die dem Mainstream der Neuen Mitte ansonsten nur kritisch folgt, stimmte in den Chor ein. »Ein weiterer Mauerrest fällt«, schrieb dort Michael Jäger. »Deutschland vereinigt sich stärker als in der Kohl-Ära.« Die »Berliner Wende« habe »keine größere, aber auch keine geringere Bedeutung als die eines weiteren wichtigen Kettengliedes der Vereinigung.« Die PDS, so Jäger, »weiß selber, was ihr nächster Beitrag zur deutschen Vereinigung sein müsste: dass sie sich als gesamtdeutsche sozialistische Partei etabliert.« Gysi - »ich stehe für Brücken, nicht für Mauern« - arbeitete diese Vorlagen so konsequent in seine Bewerbung ein, dass die Welt etwas irritiert feststellen musste, Gysi gehe es offensichtlich nicht um ein bestimmtes Amt. »Er begreift seine Rolle vielmehr als historische Mission. Er will als Bürgermeisterkandidat die deutsche Einheit vollenden.«

Auch der Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch bekräftigte, die PDS wolle sich im Wahlkampf als Partei der Einheit präsentieren. Noch ein Rollentausch: Das Copyright für diesen Titel hatte bislang die CDU.

Seitdem sich die PDS im Aufwärtstrend befindet, wird auch in den Spalten ihres informellen Zentralorgans Neues Deutschland frischer Offensivgeist spürbar. In einer Polemik gegen die antikommunistische Kampagne des Springerblattes B.Z. und dessen Chefredakteur schrieb dort Martin Buchholz: »In lustvoller Panik kreischen die Megären, dass die Hunnen ante portas stünden, um die Wilmersdorfer Witwen zwecks grausamer Schändung auf den westöstlichen Diwan zu zerren. (...) Zu ihrem Schutz hat man alle Berliner Kampfhunde aus der Springer-Hütte von der Leine gelassen. Der Meute voran hechelt Chef-Lumpi Gaffron. Der kackt jede leere Hirnschale, die er findet, gnadenlos zu mit seinen dumpfdampfigen Würstchen. Sein tägliches Hundeklo ist das Be-Zett-Klosett. Als oberster Dorfpinscher kennt er nur noch einen Kampfauftrag: Kote, Köter, kote!« Vergleicht man Buchholz mit Biermann, dann ist festzustellen: Die deutsche Einheit kommt tatsächlich voran. Zumindest stilistisch.