Deutsch-libysche Beziehungen

Schlechte Trips für Tripolis

Die so genannte Protokoll-Affäre wird nicht ohne Auswirkungen auf die deutsch-libyschen Beziehungen bleiben.

Auf Antrag der Unionsfraktion ließ Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eigens eine Sondersitzung einberufen. Vielleicht wird bei dieser Tagung des Auswärtigen Auschusses des Bundestags am Mittwoch ja einiges klarer. Denn kein Vertreter der Bundesregierung wollte in der vorigen Woche darüber Auskunft erteilen, wie es geschehen konnte, dass die geheimen Aufzeichnungen des Gesprächs zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem US-Präsidenten George W. Bush, das Ende März in Washington stattgefunden hatte, an die Öffentlichkeit gelangten.

Indiskretionen seien der Bundesregierung keinen Kommentar wert, lautete das knappe Statement des Regierungssprechers Uwe Karsten Heye. Dementis und ausweichende Antworten gab es auch zu den Spekulationen über einen möglichen Rücktritt des Kanzlerberaters Michael Steiner und die Abberufung des deutschen Botschafters in den USA, Jürgen Chrobog.

Zwei Tage nach dem Arbeitsgespräch Schröders und Steiners mit Bush im Weißen Haus hatte Chrobog, der Anfang Juli als Staatssekretär ins Auswärtige Amt (AA) wechseln soll, den Bericht über das Treffen auf niedriger Geheimhaltungsstufe an das Ministerium Joseph Fischers geschickt. »Verschlusssache - nur für den Dienstgebrauch«, stand darauf, was selbst nach Einschätzung des Außenministeriums etwa der Geheimhaltungsstufe eines Speiseplans entspricht, wie Die Zeit vorige Woche notierte.

Anfang vorletzter Woche fanden sich Inhalte der Depesche plötzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wieder; eine »Task Force« soll nun nach der undichten Stelle im Auswärtigen Amt suchen. Die Experten werden wohl noch eine ganze Weile beschäftigt sein, denn die Depesche ging nicht nur an mehrere Ministerien, sondern an alle, die die Unterhaltung im Weißen Haus betraf - darunter auch die diplomatischen Vertretungen in Pjöngjang, Skopje und Ramallah.

Im Ausland sorgte die diplomatische Panne bereits für Aufregung. Russlands Präsident Wladimir Putin sprach von einer Provokation, als er aus einer Passage des Fernschreibens erfahren musste, Bush und Schröder stimmten darin überein, »dass es keine weitere Finanzhilfen für Russland geben könne, solange ungeheure Summen ins Ausland geschafft würden«. Auch die Äußerung Schröders, dass der jordanische König Abdullah »einer der intelligentesten Führer in der Region sei, aber auch einer der machtlosesten«, dürfte bei dessen Besuch in Berlin am Montag keine Begeisterungsstürme ausgelöst haben.

Für weitaus größeren diplomatischen Wirbel sorgte bislang die Passage über die Rolle Libyens im internationalen Terrorismus. Während einer Begegnung mit dem Kanzlerberater Steiner habe Muammar al-Gaddafi im März in Tripolis eingestanden, dass sich Libyen an terroristischen Aktionen beteiligt habe, so 1986 am Anschlag auf die Berliner Diskothek La Belle und 1988 an der Sprengung eines PanAm-Jumbos über dem schottischen Lockerbie, nun aber dem Terrorismus abschwöre. Die libysche Führung dementierte prompt. Das angebliche Geständnis Gaddafis sei völlig aus der Luft gegriffen. Man verlange eine Entschuldigung oder doch zumindest eine Erklärung für die haltlosen Unterstellungen.

Eine Erklärung sucht das Kanzleramt einem Bericht der Welt am Sonntag zufolge nun vor allem in den USA. Das Protokoll sei von US-amerikanischen Stellen mit der Absicht lanciert worden, deutschen Wirtschaftsinteressen in Lybien zu schaden, vermuten die Berliner Beamten. Bei dem Gespräch in Gaddafis Wüstenzelt vor gut zwei Monaten sei es zwar um die Frage gegangen, wie man den internationalen Terrorismus bekämpft, »individuelle Fälle aus der Vergangenheit seien aber nicht diskutiert worden«, so Regierungssprecher Heye.

Alles nur ein Missverständnis zwischen Steiner und seinem Protokollanten Chrobog? Wohl kaum, wurde doch die Authentizität der Veröffentlichung bislang weder vom Kanzleramt noch vom AA angezweifelt. Und auch Kanzlerberater Steiner hüllt sich nach wie vor in Schweigen.

Das könnte sich bereits am 5. Juni ändern, wenn in Berlin der La-Belle-Prozess mit der Vernehmung Steiners fortgesetzt wird. Die Anwälte der 40 Opfer haben sich das angebliche Geständnis zunutze gemacht, um Libyens Staatschef zur Entschädigung ihrer Mandanten zu bewegen. Für die Bundesregierung steht dabei viel auf dem Spiel, denn sie muss sich wegen der einschlägigen Passage im Botschafterprotokoll den Vorwurf gefallen lassen, dem Gericht wichtige Informationen vorenthalten zu haben.

Doch damit nicht genug. Der Ausgang der schon als »Diplo-Gate« titulierten Affäre wird nicht ohne Auswirkungen auf die jahrelang mühsam aufgebauten Beziehungen zum einst geächteten Schurkenstaat bleiben. Dabei standen, anders als im Fall des Iran, schon seit langem die Zeichen auf Versöhnung.

Das dürfte auch der Grund für die Missstimmung in Washington sein, die sich schon zu Beginn des Monats während eines Besuchs des deutschen Außenministers ankündigte. Die einflussreichen Senatoren Jesse Helms und Joseph R. Hiden Jr. ermahnten Fischer, das Kasseler BASF-Tochterunternehmen Wintershall, der größte deutsche Erdöl- und Erdgasproduzent, solle endlich damit aufhören, in Libyen auf Kosten der US-Amerikaner Geschäfte zu machen. Ansonsten würden die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den USA erheblich belastet.

Wintershall will in Libyen Anteile an staatlichen Ölfeldern im Syrte-Becken erwerben und konkurriert im Bieterverfahren mit Shell, BP und Total Fina. Die beiden Senatoren gehen davon aus, dass die Ölfelder früher im Besitz von US-Unternehmen gewesen seien. Susanne Ulitzsch, eine Sprecherin von Wintershall, widerspricht allerdings: »Wir sehen nicht, dass wir die Rechte von dritten verletzen«, sagte sie der Welt am Sonntag.

Schon während des Wirtschaftsembargos gegen Libyen hatte Deutschland mehrfach den Versuch unternommen, zwischen den Vereinten Nationen und der Führung in Tripolis zu vermitteln. Offen für politische Gespräche mit dem Oberst zeigte sich Kanzler Schröder im April letzten Jahres während des EU-Afrika-Gipfels in Kairo. Und Außenminister Fischer reiste mit seinem Staatssekretär Ludger Volmer zum Dank für den Freikauf der europäischen Geiseln von Jolo wenige Monate später nach Tripolis und verkündete die frohe Botschaft, die Beziehungen Deutschlands zu Libyen im Rahmen des Barcelona-Prozesses weiter ausbauen zu wollen.

»Libyen ist Deutschlands Tor zu Afrika - die Normalisierung der Beziehungen wäre für alle rentabel«, frohlockte auch Gaddafi. Das sieht man in Berlin genauso, ungeachtet aller Berichte von Menschenrechtsverletzungen, wie zuletzt von rassistischen Übergriffen auf Migranten aus dem subsaharischen Afrika. Deutschland ist nach Italien der zweitwichtigste Handelspartner Libyens. Rund zwölf Prozent aller libyschen Importe kommen aus Deutschland.

Umgekehrt ist der Maghreb-Staat einer der größten Rohöllieferanten für die Bundesrepublik. Seit der Rehabilitation Gaddafis und der Verbesserung der politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Libyen wittern außer Wintershall weitere deutsche Wirtschaftsunternehmen lukrative Geschäfte im Erdölsektor. Nicht zuletzt deshalb, weil die Konkurrenz aus den USA zur Zeit das Nachsehen hat. Wegen der fortbestehenden Wirtschaftssanktionen werden US-amerikanische Firmen seit 1986 daran gehindert, in dem nordafrikanischen Land zu investieren.