Neue Biografie über Brigitte Reimann

Ich will da durch

Brigitte Reimann taugt zur gesamtdeutschen Heldin der Literaturszene. Eine jetzt erschienene Biografie arbeitet an ihrer Ikonisierung.

Schon in der DDR war Brigitte Reimann eine legendäre Person. Zu Lebzeiten erschienen von ihr, neben Zeitschriftenartikeln, allerdings nur wenige schmale Bücher. Ihr wichtigster Roman, »Franziska Linkerhand«, Ergebnis zehnjähriger Arbeit, zuletzt dem Krebs abgetrotzt, blieb unvollendet.

Sein Thema ist die tragisch aufgefasste Divergenz zwischen dem sozialistisch-humanistischen Ideal und der als trist erachteten Wirklichkeit, abgehandelt am Beispiel des Städtebaus in der DDR. Bis 1991 wurden 300 000 Exemplare des Romans gedruckt und verkauft. 1998 brachte der Aufbau Verlag die unzensierte Originalfassung auf den Markt. Sie ist nur eine von sieben Publikationen Reimanns, die nach der Wende erschienen sind, aber die wichtigste. Die Neugier richtete sich vehement auf die persönlichen Dinge der 1973 verstorbenen Schriftstellerin. Zugänglich wurden ihre Briefe, darunter Korrespondenzen mit Christa Wolf und dem Architekten Hermann Henselmann, und die intimen Tagebücher: viel Leben, viel Unerhörtes, viel Sex, viel Politik und viel DDR-Prominenz.

Tatsächlich verdankt sich die heutige Popularität von Brigitte Reimann zum großen Teil ihrer freizügigen Lebensweise, ihrer Leidenschaft für Männer und Alkohol. Sie brachte es auf vier Ehen, hatte wohl hundert Liebschaften und war mit fast jedem zweitklassigen Schriftsteller der DDR im Bett, manchmal auch mit zwei zweitklassigen Schriftstellern zugleich. »Ein Parlando, in dem der Odem großer Literatur weht«, begeisterte sich Marcel Reich-Ranicki im »Literarischen Quartett« für die Tagebücher, ihm gefielen die stets gegenwärtige »Sehnsucht nach Liebe«, die »Sinnlichkeit« und »Intensität« der Autorin.

Die achte Publikation zum Thema ist nun folgerichtig eine Biografie. Die Journalistin und Literaturkritikerin Dorothea von Törne, selbst in der DDR aufgewachsen, nahm die Erfolg versprechende Aufgabe auf sich. Das Buch heißt »Brigitte Reimann. Einfach wirklich leben« und ist im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen.

Das Interesse an Brigitte Reimann wäre freilich nicht so groß, gäbe es nur ihre erstaunliche chronique scandaleuse. Mindestens ebenso anziehend wirken ihre kritische Haltung zur DDR-Kulturpolitik, ihre Konflikte mit Funktionären und mit der Staatssicherheit, ihre ständigen Zweifel. War sie noch für ihre Verleger und ihre Beschützer in der DDR, bis hin zu Walter Ulbricht, eine vorbildliche Nachwuchs-Autorin, die man nur etwas korrigieren und erziehen musste, ein Enfant terrible, dessen Launen man nicht wirklich ernst nahm, so gilt sie heute als Bezweiflerin und schließlich Gegnerin des Sozialismus. War sie das?

Mit überschäumender Energie produzierte schon die Schülerin Laienspiele, Agitationsstücke und Artikel, mit denen sie ihre Lehrer und die Genossen erfreute und erste Preise gewann. Sie blieb auch später ein braves Kind, bemüht, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Politisch blickte sie, darin Prototyp ihrer Innung, freilich nicht durch. Deutlich wurde nur ihre Sicht auf das Ende des Zweiten Weltkriegs als Zäsur in der Geschichte Deutschlands und auf den sozialistischen Neubeginn in der DDR als eine Notwendigkeit.

Hinzu kam die kritische Auseinandersetzung mit einigen Aspekten der Politik dieses Landes. Sie wollte Bürgerin der Welt sein und bezog ihre Vorstellungen darüber, ihre Weltanschauung, wie fast alle DDR-Bürger, vornehmlich aus (West-) Medien. Fehlende Kenntnisse wurden durch Illusionen und Utopien ersetzt. Das macht die Lektüre von »Franziska Linkerhand« für Kapitalismuskritiker nicht erfreulich. Zusätzlich beschwert wird sie durch die allgegenwärtige falsche Romantik und eine beträchtliche Neigung zur Trivialität. DDR-Lektoren schritten mildernd ein, doch die Herausgeber von 1998 zeigten sich unerbittlich: »Was der verklemmte Rotstift der 'Bearbeiter' strich«, so von Törne, »prangt nun wieder in erotisch eindeutigen Passagen. 'Luftballongroße Brüste', 'sengende Küsse' und flugs in Eigeninitiative aufgezogene Reißverschlüsse.«

Erzählfreude, detailreiche Schilderungen aus dem DDR-Alltag, sympathische Lebenslust und Anflüge eines koketten Humors entschädigen allerdings für die stilistischen Schwächen. Mit beeindruckendem »Ich will da durch«-Pathos stürmte Reimann gegen Weinerlichkeit und Depressionen an, die sich ihrer in Liebesenttäuschungen, Krankheit und Schmerzen immer wieder bemächtigen wollten. Wenn es sein musste, ging sie mit dem Kopf durch die Wand.

Mit »Franziska Linkerhand« trotzte sie sich einen Roman ab, der auch in Zukunft gelesen werden wird und im Unterschied zu anderen Büchern aus der DDR dem Westleser kaum Rezeptionsschwierigkeiten bereiten dürfte und dem die bleibende Aufmerksamkeit der Germanistik sicher ist.

Dorothea von Törne gibt in ihrer Abhandlung der politischen und der erotischen Seite des Lebens von Brigitte Reimann ungefähr gleich viel Raum. Dabei stützt sie sich im Wesentlichen auf die Tagebücher und Briefe sowie auf einige Gespräche mit Angehörigen und Freunden.

Der Abstand der Biografin zu ihrem Gegenstand ist nicht eben groß. Ihre Methode besteht darin, Reimanns Äußerungen in direkter und indireketer Rede wiederzugeben und sie mit zeitgenössischem Verstand zu kommentieren. »Pogromstimmung« fällt ihr beispielsweise zur scharfen Kritik an Peter Huchel (Sinn und Form) auf dem VI. Parteitag der SED 1963 ein.

Vom Niveau ihres Urteils, das im Brigitte-Stil formuliert wird, muss sich kein Leser überfordert fühlen. Sie schreibt über ihre Heldin: »Sie kann Günter Kunert nicht leiden, sie versteht eher die menschlich Behutsamen wie (Reiner) Kunze als die aggressiveren Ironiker, die längst keine Illusionen mehr haben. Sie ist immer noch bemüht, den Zorn der Genossen auf Peter Hacks nachzuvollziehen, der verlauten ließ, er könne weit und breit keine Helden entdecken.« Und so weiter und so fort.

Heute schon selbstverständlich bei dieser Art Biografien: Die Sekundärliteratur wird nicht genannt, ein Quellenverzeichnis und Anmerkungen gibt es nicht. Was fehlte Brigitte Reimann zur großen Schriftstellerin? Genau bedacht alles. Was fehlt diesem Buch zur Biografie? Dasselbe.

Dorothea von Törne: Brigitte Reimann. Einfach wirklich leben. Eine Biografie. Aufbau, Berlin 2001, 300 S., DM 16,90