Alternative Lebensformen

Einen Espresso auf Ehrenburg

Ein Käffchen in Ehren kann niemand verwehren. Warum sollte es also jemand anstößig finden, auf den sowjetischen Schriftsteller Ilja Ehrenburg anzustoßen? Das dachten sich auch Lutz Penndorf und Sangare Siemsen und tauften ihr Café in der Karl-Marx-Allee 103 auf den Namen »Ehrenburg Espresso Bar«.

Der Ort könnte passender nicht sein. Wo sonst, wenn nicht an der ehemaligen Stalinallee ließe sich ein nach dem 1967 gestorbenen Schriftsteller benanntes Etablissement eröffnen? So pompös die Allee, so unscheinbar ist die kleine Bar. Durch einen Grünstreifen von der Straße getrennt, fällt das Café lediglich mit seinen ausladenden Fensterfronten auf.

Auch im innern ist alles sehr streng und minimalistisch. Ein Parkettboden, eine Bar im Zentrum des Raumes. Wände und Inneneinrichtung sind in zartem Apricot gehalten. Im Regal stehen die gesammelten Werke von Karl Marx, Wladimir Iljitsch Lenin und - natürlich - von Ehrenburg. Ein Porträt des Namensgebers, das ihn als nachdenklichen Intellektuellen zeigt, ziert die Wand. Nur der Sound, der aus den Boxen plätschert, passt nicht ganz ins sowjetische Flair.

Einen Kaffee zu Ehren des bekannten Dichters zu trinken, ist für Antideutsche fast so schön wie ein Toast auf Henry Morgenthau oder eine Party auf den ersten toten deutschen Soldaten im Kosovokrieg, auf den sie vergeblich warten mussten. Denn Ehrenburg sorgte im Zweiten Weltkrieg schreibend für die Moral der Roten Armee. »Ein Tag, an dem du keinen Deutschen getötet hast, ist ein verlorener Tag«, heißt es in einer seiner Propagandaschriften.

Und man ist geneigt, ihm Recht zu geben. Als Antideutscher sowieso, aber auch stolze Deutsche bemühen sich, ihren Teil zur Bestätigung dieser Aussage beizutragen. So drohen sie auf Flugblättern, sie würden »der Verherrlichung des Psychopathen Ehrenburg« entgegentreten - »mit geeigneten Maßnahmen«. Die Eröffnung der Bar bedeutet für sie schlicht: »Das jüdische Leben breitet sich aus.« Ab und zu tauchten sogar Neonazis vor dem Lokal auf und versuchten, Gäste am Eintreten zu hindern.

»Stalins Hausjude« hat schon Adolf Hitler den Sowjetliteraten genannt. Als Intellektueller, als Kommunist und Jude war er den Nazis gleich ein mehrfaches Feindbild. Sie behaupteten gar, Ehrenburg habe zur Vergewaltigung deutscher Frauen aufgerufen. Die nüchterne Antwort des Schriftstellers: »Früher einmal haben die Deutschen Staatsdokumente gefälscht. Jetzt sind sie so weit, meine Artikel zu fälschen.« Und sich über den Namen eines Cafés zu ereifern, möchte man ergänzen.

Das Betreiberduo denkt glücklicherweise nicht daran, den Namen zu ändern. Warum auch? Wird doch durch die Querelen der Radical Chic noch mit einem Hauch von Authentizität versehen. Dann schmeckt das Käffchen in Ehren gleich noch besser.