Kriminalisierung baskischer Nationalisten

Im falschen Film

In Spanien gilt die Pressefreiheit nur für Gegner der Eta.

Baltasar Garzón ist Spaniens bekanntester Jurist. Der oberste Untersuchungsrichter hat nicht nur Augusto Pinochet mit Haftbefehl suchen lassen; er ist auch federführend bei der Kriminalisierung des legalen baskisch-linksnationalen Politspektrums. Am Montag der vorletzten Woche las Garzón einem prominenten Untersuchungsgefangenen aus seiner 61seitigen Anklageschrift vor: Pepe Rei stehe als Journalist in den Diensten der Organisation Eta-Kas und arbeite an der Formierung »eines Staates parallel zum spanischen«. Am Freitag darauf kam Pepe Rei wegen Herzbeschwerden ins Krankenhaus, erhielt aber keine Haftverschonung.

Pepe Rei ist Chefredakteur der Zeitschrift Ardi Beltza (Schwarzes Schaf), der seit Monaten in spanischen Medien Unterstützung der Eta vorgeworfen wird (Jungle World, 48/00). Garzón teilte ihm mit, dass nun nicht mehr wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, sondern wegen Mitgliedschaft in einer solchen gegen ihn ermittelt werde.

Der Richter begründete dies mit angeblich neuen Erkenntnissen aus einer Großrazzia vom 5. März, die sich gegen die baskische Jugendorganisation Haika richtete. Unter dem Codenamen Schlangenbrut - Axt und Schlange bilden das Symbol der Eta - fanden Dutzende von Hausdurchsuchungen statt, 15 Mitglieder von Haika sitzen seitdem in U-Haft.

Pepe Rei, der sich für die staatliche Unabhängigkeit des Baskenlandes einsetzt, sitzt bereits zum vierten Mal in U-Haft; dreimal musste er aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Im aktuellen Verfahren wirft Garzón ihm vor, mit der Veröffentlichung von Informationen über bestimmte Personen und deren Lebensgewohnheiten der Eta Ziele vorzugeben. So heißt es in der Anklageschrift, von 400 in Ardi Beltza im letzten Jahrgang namentlich kritisierten Personen hätten sich 116 auf Eta-Listen mit potenziellen Anschlagsopfern wiedergefunden. Das wird als Beweis gehandelt, obwohl jedem klar sein müsste, dass die genannten Personen - Politiker, Journalisten, Industrielle - so exponiert sind, dass es keines Zeitungsartikels bedarf, damit die Eta sie in Erwägung zieht.

Handfestes Material gegen Ardi Beltza und Pepe Rei scheint die Polizei allerdings nicht in der Hand zu haben. Stattdessen beschlagnahmte die Guardia Civil bei Festnahmen angeblicher Eta-Mitglieder mehrmals Ausgaben von Ardi Beltza. So soll wohl suggeriert werden, dass Etarras die Zeitschrift brauchen, um sich auszusuchen, wen sie als nächsten abknallen. Im Dezember etwa erklärte die Polizei, in einer Eta-Wohnung seien zwölf Exemplare von Ardi Beltza gefunden worden. Die waren aber wohl kaum für den Handverkauf beim nächsten Eta-Kommandotreffen gedacht, wie Ralf Streck, Mitarbeiter von Ardi Beltza, gegenüber Jungle World betont: »Die Ausgaben von Ardi Beltza wurden in der Privatwohnung von Iñigo Muerza gefunden und nicht, wie unterstellt, in einer geheimen Wohnung, in der auch Waffen lagerten. Es handelte sich um zwölf verschiedene Ausgaben von Ardi Beltza, nämlich alle, die bis dahin erschienen waren. Und dass Muerza überhaupt Eta-Mitglied war, muss im übrigen erst noch bewiesen werden.«

Bereits im November brachte Ardi Beltza auch ein Video heraus: »Journalisten - Das Geschäft des Lügens«. Darin werden spanische Journalisten dafür kritisiert, dass sie die Verfolgung von Sympathisanten der Eta fordern und die Propaganda des Innenministeriums gegen die Eta und die legale baskische linksnationale Bewegung übernehmen würden. Etliche Journalisten werden namentlich genannt und für ihre angebliche Zusammenarbeit mit dem spanischen Staat kritisiert. Am Schluss heißt es pathetisch zum Sonnenuntergang über dem Strand von Gros: »Lügen, Manipulationen - alles wird gegen dieses Volk eingesetzt. Am Ende wird - bedauerlich für diese Medien - das Baskenland sein, was es sein will, und die Leute werden frei über ihr Leben entscheiden.«

Zwei Tage nach dem Erscheinen des Videos verübte die Eta auf eine der Genannten, Aurora Intxausti, ein Attentat. Danach behaupteten die in dem Video aufgeführten Journalisten, die großen spanischen Medien sowie die konservative PP-Regierung, dass die für das Video Verantwortlichen eine Mitschuld an dem Anschlag tragen würden. Am 19. Januar wurde Pepe Rei, der Produzent des Videos, verhaftet. Öffentliche Vorführungen des Videos wurden auf Betreiben der Staatsanwaltschaft am Staatsgerichtshof verboten und unterbunden, Ermittlungen wurden gegen Organisationen eingeleitet, die solche Vorführungen organisierten. Im März fanden in Barcelona Durchsuchungen statt, um vor einer geplanten Vorführung Videokopien zu beschlagnahmen.

Auch Ralf Streck geriet ins Kreuzfeuer der Kritik. Im Abspann des Videos wird er als Interviewer genannt. Tatsächlich enthält das Video Auszüge aus vier Interviews, in denen Journalisten etwa sagen: »Garzón hatte Recht, Egin (linksnationalistische Tageszeitung) zu verbieten« (Carmen Gurruchaga), »der Vogel Pepe Rei saß ja schon einmal wegen Kollaboration mit der bewaffneten Bande Eta im Gefängnis« (Luis del Olmo). Die Interviewten sagen, die Gespräche seien unter Vorspiegelung falscher Auftraggeber erschlichen worden.

Ralf Streck hingegen erklärte der Jungle World, die Recherchen seien für eine deutsche Produktionsfirma geführt worden und hätten die Pressefreiheit als ganze zum Thema gehabt: »In dem Anschreiben hieß es unzweifelhaft: 'Unsere Produktionsfirma erstellt einen Film über die Situation der Pressefreiheit. Sie wurden uns von Freunden als jemand genannt, der in seiner Arbeit beeinträchtigt ist.'« Allerdings suggeriert der Zusammenschnitt, ihre Angst vor der Bedrohung durch die Eta sei kaum ernst zu nehmen, die Bedrohung der Meinungsfreiheit gehe vielmehr nur vom Staat und der Macht der Presseoligarchen aus. In spanischen Tageszeitungen haben die betroffenen vier Journalisten zudem verbreitet, sie hätten Anzeige gegen Streck erstattet. Der erklärte, ihm sei davon nichts bekannt.

Die Einstellung des Verfahrens gegen Pepe Rei zu fordern, ist wichtig, weil es um einen politischen Streit geht, der nicht vor ein Gericht gehört. Das bedeutet aber keineswegs, seinem nationalen Pathos beizupflichten, etwa wenn er in Ardi Beltza vom Februar aus dem Knast schreibt: »Die Zukunft gehört uns (...) Der Leser wird sehen, dass, wenn alle Möglichkeiten gut genutzt werden, diese Vorfälle nur das Vorspiel zur Unabhängigkeit sind.«