Prozess gegen vietnamesische Zigarettenhändler

Viel Rauch um nichts

Die Zeiten, als Berlin einem Open-Air-Duty-Free-Shop glich, sind vorbei. Die »vietnamesische Zigarettenmafia« ist höchstens noch im Plädoyer der Staatsanwaltschaft präsent.

Rauchen ist eine teure Angelegenheit. Verständlich also, dass sich Raucher über jede Gelegenheit freuen, bei der Kippenbeschaffung die eine oder andere Mark zu sparen. Heutzutage bleiben meist nur zwei Möglichkeiten: Entweder man wartet den ganzen Abend in einer Kneipe auf das Promotion-Team einer Zigarettenfirma, die einem die Teilnahme an mehr oder weniger intelligenten Spielchen mit einer Packung vergelten. Oder man ersteht die Rauchwaren im Ausland bzw. steuerfrei im Duty-Free-Shop.

Steuerfreie Zigaretten waren früher wesentlich einfacher zu haben. Ein kurzer Gang zur nächsten großen Kreuzung, zu einem nahe gelegen U-Bahnhof oder anderen belebten Plätzen reichte meist aus, um ein Schnäppchen zu machen. Man konnte sie kaum übersehen: Vietnamesen, die gelangweilt an irgendeiner Ecke herumstanden, die Klamotten meist in Beige-, Braun- und Grautönen gehalten, zu ihren Füßen eine Plastiktüte mit Zigarettenstangen - unverzollt, unversteuert, billig eben.

Das Geschäft florierte, bis Zoll, Polizei und Politik in den Krieg gegen die billigen Kippen zogen. Wer genau schaut und sich auskennt, kann in Berlin auch heute noch sein Schnäppchen machen. Es ist aber schwerer geworden, denn spätestens im vergangenen Jahr haben Polizei und Zoll die Wege ermittelt, auf denen die begehrte Schmuggelware nach Deutschland gelangt. Mehr als eine Milliarde Zigaretten wurden im Jahr 2000 beschlagnahmt, aus Deutschen und Osteuropäern bestehende Verteilerbanden vor Gericht gestellt.

Gleichzeitig versucht die Europäische Union mit einer Zivilklage gegen die US-amerikanischen Tabakunternehmen Philip Morris und JR Reynolds die Quelle für den Zigarettenschmuggel zu verstopfen. Im vergangenen November reichte die grüne EU-Kommissarin Michaele Schreyer die Klage wegen »vermuteter Beihilfe zum Zigarettenschmuggel« ein.

Wo es weniger zu verticken gibt, gibt es auch weniger zu verdienen. Die »vietnamesische Zigarettenmafia« findet heute kaum noch Beachtung. Nach einer Reihe von Verhaftungen im September 1996 macht ihr jetzt vor allem das schlechte Geschäft zu schaffen.

Dabei hatten diese Gruppen ohnehin nie mit der Beschaffung und Verteilung der unversteuerten und unverzollten Zigaretten zu tun. Sie sind Trittbrettfahrer, die den illegalen Status der Straßenhändler ausnutzen, um von ihnen Schutzgelder zu erpressen. Allerdings boten sie Schutz nur vor den eigenen Übergriffen, aber nicht vor der deutschen Polizei noch vor rechten deutschen Schlägern oder konkurrierenden Banden.

Die Mitglieder der so genannten Mafia sind zumeist jünger als 35 Jahre. Einen Aufenthaltstitel nach dem Ausländergesetz haben nur die wenigsten. Sie befinden sich entweder noch im Asylverfahren, oder sie sind abgelehnte Asylbewerber. Einige sind ehemalige Vertragsarbeiter, die das Aufenthaltsrecht längst verloren haben. Ihr Bildungsstand ist zumeist niedrig. Oft entstammen sie armen Bauernfamilien, die in der Flucht nach Deutschland einen Ausweg aus ihrer miserablen wirtschaftlichen Lage sahen. Es gibt unter ihnen aber auch gescheiterte Funktionärssöhne, die meinten, in Deutschland bequem zu Geld kommen zu können. Kein einziges polizeilich ermitteltes Bandenmitglied erhielt bereits in Vietnam eine Vorstrafe.

Grenzen sie sich einerseits von ihren Eltern und dem vietnamesischen Lebensstil ab, so sind die vermeintlichen Zigarettenmafiosi doch nicht in die deutsche Gesellschaft integriert. Die Gesellschaft außerhalb der vietnamesischen Community ist ihnen gleichgültig. Ihr Erfolgsrezept besteht einzig und allein darin, sich auf das Schweigen ihrer Landsleute zu verlassen.

Wenn Vietnamesen gegen die Mitglieder solcher Banden aussagen, wie zum Beispiel im derzeit laufenden Prozess gegen die Ngoc-Thien-Bande, dann müssen sie mit Zeugenschutzprogrammen von ihrer Umwelt abgeschirmt und zumeist auch mit einer neuen Identität versehen werden.

Die Berliner Polizei fand im Mai 1996 sechs tote Vietnamesen, die in einer Marzahner Wohnung gefesselt und per Kopfschuss hingerichtet worden waren. In der Presse wurde der spektakuläre Mord damals als »Blutbad« und Höhepunkt eines Bandenkriegs beschrieben. Die Ngoc-Thien, benannt nach dem Spitznamen ihres Anführers Le Duo Bao - »der Barmherzige« -, soll für den sechsfachen Mord verantwortlich sein und gilt der Hauptstadt-Polizei als die einst größte »Vietnamesen-Bande«. Fast zwei Drittel aller Verkäufer in Berlin soll sie abkassiert haben.

Der Prozess vor dem Berliner Landgericht geht in diesen Tagen zu Ende. Voraussichtlich in der nächsten Woche wird der Staatsanwalt sein Plädoyer halten. Anfang Mai könnte das Urteil gesprochen werden. Von ehemals 16 Angeklagten sitzen aber nur noch fünf übrig geblieben. Die anderen wurden bereits im vergangenen Herbst wegen illegalen Waffenbesitzes, Bildung einer kriminellen Vereinigung und erpresserischen Menschenraubes verurteilt. Sie erhielten Haftstrafen zwischen drei und siebeneinhalb Jahren. Das Verfahren gegen einen jugendlichen Angeklagten wurde nach einer fast zweijährigen Untersuchungshaft eingestellt.

Den fünf Männern auf der Anklagebank werden außer dem spektakulären Verbrechen in Marzahn drei weitere Morde und eine Entführung zur Last gelegt. Eine dieser Mordanklagen wurde inzwischen allerdings zurückgezogen, weil die Beweislage mehr als dürftig ist. Ähnlich sieht es auch im Fall des Marzahner Blutbads aus: Beweismittel, die auf die Angeklagten hinweisen, liegen kaum vor. Nur der Hauptangeklagte Le Duo Bao hat am Tatort einen Fingerabdruck hinterlassen, der aber nicht aus der Tatnacht stammen muss.

Die Staatsanwaltschaft hat nicht mehr vorzubringen als die Aussage einer jungen Frau, die, wie es in der Anklageschrift heißt, von der Bande vier Monate lang als Gefangene gehalten wurde und den Haushalt für sie führen musste. Vor ihr, so behauptete die 33jährige Vietnamesin im Gerichtssaal, hätten die Männer mit der Tat geprahlt.

Ob diese Aussage den Richtern für eine Verurteilung reicht oder nicht, die Nachfrage nach günstigen Kippen wird ihr Urteil ohnehin kaum beeinträchtigen.